Der risikobereite Pekinger Schriftsteller

Liu Xiaobo, Präsident des unabhängigen PEN-Clubs in China, weiß, was Zivilcourage ist: Wiederholt wurde der Autor in den vergangenen zwei Jahrzehnten von der Polizei verhört, immer wieder unter Hausarrest gestellt oder inhaftiert. Er habe die „nationale Sicherheit“ gefährdet, warf man ihm vor, weil er in seinen Artikeln die Regierung kritisierte.

Als Kind erlebte Liu, 1955 in Changchun geboren, die Kulturrevolution (1966–76) – mit den von Mao Tse-tung angefachten Massenkampagnen, der Führerverehrung und den Kampfsitzungen gegen vermeintliche „Konterrevolutionäre“ und „Abweichler“. Als die Hochschulen in den 1970ern wieder öffneten, gehörte Liu zu den Glücklichen, die einen Studienplatz an der berühmten Peking-Uni erhielten. Mit seinen Literaturkritiken und philosophischen Schriften machte er sich einen Namen und gehörte bald zu den wichtigsten Köpfen der Demokratiebewegung.

Als sich die Studenten im Frühjahr 1989 auf dem Tiananmen-Platz versammelten, kehrte er von einem Forschungsaufenthalt in New York nach Peking zurück und beteiligte sich an einem Hungerstreik. Nach der Niederschlagung der Proteste am 4. Juni verschwand er für 18 Monate im Gefängnis. Er verlor seinen Dozentenjob – und erregte immer wieder den Zorn der Behörden, wenn er sich dafür aussprach, das Tiananmen-Massaker aufzuklären. 1996 wurde er für drei Jahre ins Arbeitslager verbannt.

Wie viele Chinesen, die in Ungnade fielen und ihre Texte in China nicht mehr publizieren dürfen, fand Liu im Internet eine geistige Heimat. „Mit den elektronischen Medien in China und im Ausland kann man die Zensur der chinesischen KP zerschlagen“, schrieb er. „In diesem Spiel, in dem sich Verbote und Gegenverbote ablösen, wächst der Raum für die freie Meinungsäußerung des Volkes Millimeter für Millimeter.“ Als die KP-Propagandaabteilung die Medien 2006 anwies, den Jahrestag der Kulturrevolution zu ignorieren, schrieb er unter dem Titel: „Das Verbot einer Diskussion über die Katastrophe der Kulturrevolution ist eine neue Katastrophe“: Den „Preis des Schweigens und der Lügen wird die ganze Gesellschaft zahlen müssen“.

Nach den Unruhen in Tibet, die Chinas Medien derzeit als Folge einer Verschwörung der „Dalai-Clique“ und anderer Mächte im Ausland darstellen, gehört Liu nun erneut zu jenen Chinesen, die gegen den Strom schwimmen: Als einer von 29 Schriftstellern und Bürgerrechtlern unterzeichnete er ein Manifest, in dem die Regierung aufgefordert wird, mit dem Dalai Lama zu reden, echte Religionsfreiheit zuzulassen und die chinesische ebenso wie die internationale Presse nach Tibet reisen zu lassen. JUTTA LIETSCH