Bangladeschs Klimaflüchtlinge: Salzige Mangroven

An der Südküste Bangladeschs häufen sich die Katastrophen: Wirbelsturm "Sidr" hat dort gewütet. Der steigende Meeresspiegel versalzt die Reisfelder.

Für die Jüngeren in Bogi sieht es nicht gut aus. Bild: dpa

Offiziell gibt es weder Umwelt- noch Klimaflüchtlinge. Die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 erkennt Umweltzerstörung nicht als Fluchtgrund an. Dabei sind inzwischen laut Weltkatastrophenbericht des Roten Kreuzes bzw. Roten Halbmonds mehr Menschen aufgrund von Umweltzerstörung auf der Flucht als wegen Kriegen: 25 Millionen.

Bis 2050 werden 150 Millionen Klimaflüchtlinge unterwegs sein - davon geht der Weltklimarat (IPCC) aus. Der australische Klimatologe Graeme Pearman schätzt, dass die bis Ende dieses Jahrhunderts erwartete Erwärmung der Atmosphäre um 2 Grad 100 Millionen Küstenbewohner direkt bedrohen wird. Für die Menschen im Süden Bangladeschs ist es bereits jetzt Zeit, zu gehen. Nur durch internationale Spenden können die Bewohner der Sundarbarns noch überleben. BPO

Die Männer von der Rangerstation Sharonkhola präsentieren stolz ihre Gewehre: einen Karabiner und ein Schnellfeuergewehr. Dann zeigen sie ihre Narben: Einen von ihnen hat beim Gefecht mit Holzdieben ein Schuss in die Wange getroffen. Der andere präsentiert die Stellen am Bein und am Bauch, wo ihn ein Bengaltiger angefallen hat: Ein "Maneater" sei das gewesen, ein Menschenfresser. Sie haben ihn getötet, klar.

Mit ihren Schilderungen wollen die Ranger der Sharonkhola-Station im Sundarbarns-Nationalpark vermitteln: Wir haben alles im Griff. Selbst der illegale Holzeinschlag sei hier, an der Südküste von Bangladesch, kein Problem mehr. Schließlich habe in der Hauptstadt Dhaka das Militär die Gewalt übernommen, und "für Korruption braucht es Politiker", erklärt lakonisch Alamgir Hossin, der Leiter der Station. Illegale Shrimpsfarmen, Wilderei? Alles unter Kontrolle.

Das kann man glauben oder nicht. Auf der anderen Seite des Bhola-Flusses, nur 300 Meter von der Rangerstation entfernt, leuchten die blauen Plastikplanen, die die UNO an die Ärmsten der Armen verteilt hat. Dort haben sich die Überlebenden von Bogi, dem kleinen Fischerdorf, ihre neuen Unterkünfte gezimmert, seit ihr Dorf untergegangen ist. Der Ort lag im Zentrum des vernichtenden Zyklons "Sidr", der hier am 15. November vom Meer aufs Land traf. Mit 240 Stundenkilometern und einer Flutwelle von sechs Meter Höhe verwüstete er die Küste. In Bogi gab es in jeder Familie Tote, die Existenz der Dorfbewohner ist vernichtet. Nur weil immer wieder Hilfslieferungen eintreffen, haben sie bis jetzt überlebt.

Die Küstenbewohner kennen sich gut aus mit dem Klimawandel, denn sie sind seine Opfer: Früher waren die Stürme nicht so stark, sagen sie, früher stieg das Meer nicht so hoch, früher versalzten unsere Felder nicht. Denn früher lebten wir im Schutz der Sundarbarns.

Damit ist es wohl vorbei. Denn auch diese riesigen Mangrovensümpfe wurden Mitte November schwer getroffen. Noch immer liegen neben der Rangerstation die hohen Bäume kreuz und quer, wie der Sturm sie hinwarf. Ein Drittel des Baumbestands ist umgestürzt, schätzen die Männer. Ein schweres, 8 Meter langes Holzboot hat die Flutwelle 200 Meter weit vom Strand ins Land getragen und dort auf den Boden geschmettert, so brutal war der Sturm. Und noch etwas haben Hossins Männer trotz ihrer Gewehre nicht unter Kontrolle: das Salz. Denn die Sundarbarns, der größte und wertvollste Mangrovenwald der Welt, leiden unter zu viel Salzwasser: Seit das Nachbarland Indien den Oberlauf des Ganges gestaut hat, kommt nicht mehr genug Süßwasser in den Wald, der von der richtigen süß-salzigen Wassermischung lebt. Und seit der Meeresspiegel steigt, drückt das Meerwasser umso heftiger in die Auwälder.

Eine ökologische Katastrophe, die die Sundarbarns mit ihrer Artenvielfalt zerstört. Doch es geht um mehr als die Heimat von Bengaltiger und Flussdelphin. Denn die Sundarbarns sind die wichtigste Verteidigungslinie der Küstenbewohner gegen Hochwasser und Stürme. Ohne sie, die die Gewalt des Sturmes abgemildert haben, hätte "Sidr" noch weit mehr Unheil angerichtet, da sind sich alle Experten einig. Was für Holland die Deiche, sind für Bangladesch die Sundarbarns. Mit dem Unterschied, dass man Deiche erhöhen kann.

Die Deichanlage Sundarbarns jedoch bröckelt. Schon ein Anstieg des Meeres um 45 Zentimeter, hat die OECD bereits 2003 gewarnt, schädigt drei Viertel des Ökosystem nachhaltig. Wissenschaftler wie Atiq Rahman vom Bangladesh Center for Advanced Studies in Dhaka rechnen mit einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter bis 2050. Das würde bedeuten, dass nicht nur die Sundarbarns verloren wären, sondern mit ihnen auch weite Küstenstreifen des flachen Schwemmlandes Bangladeschs. Dort leben 15 Millionen Menschen. Wo sollen sie hin?

"Jeder Vierte geht weg von hier", erzählt der Fischer Hemayet Uddin Panchayet. Der Sturm hat die Boote zerstört, die Männer sitzen auf dem Trockenen. Als "Sidr" heranrollte, waren sie gewarnt, aber sie glaubten nicht, dass es so schlimm werden würde. Das Wasser zerstörte alle Häuser, immer noch hängen Trümmer in den Wipfeln der Palmen. Wer konnte, kletterte in die Bäume und hielt sich fest. Manche haben selbst das nicht geschafft. "Meine beiden Söhne sind ertrunken", sagt die Bewohnerin Reba Begum leise, sie beginnt zu schluchzen. Jeder hier im Dorf hat eine ähnliche Geschichte: Verwandte, Freunde, den Hausstand, das Vieh, alles hat die Flutwelle weggerissen. Jetzt flicken sie ihre Häuser wieder zusammen, von denen sie wissen, dass sie den nächsten Sturm nicht aushalten werden.

Aber es gibt noch andere Gründe, wegzugehen, als die Angst vor dem Wetter. 80 Prozent der Reisernte sind zerstört, das Salzwasser drückt schon seit langem in die Felder. "Gemüse und auch Reis wachsen nicht mehr gut", sagt Momadaz Begum, eine andere Dorfbewohnerin, "und für Trinkwasser müssen wir jetzt eineinhalb Kilometer laufen, seit der Sturm unseren Teich überflutet hat." Für den Fischer Panchayet jedenfalls passt das, was passiert ist, "genau ins Bild davon, wie Klimawandel aussieht".

Pamela Metschar von der Hilfsorganisation Brot für die Welt ist erschüttert. Sie sitzt im Kreis der Frauen von Bogi auf einer blauen Plastikplane auf dem Boden. Seit Jahren unterstützt ihre Organisation die lokale NGO Prodipan. Die Nichtregierungsorganisation klärt die Menschen an der Küste über die ökologische Bedeutung der Sundarbarns auf, auch über Gefahren des Klimawandels und Gegenstrategien. Der 15. November hat die Fischer aus der Theorie in die Praxis katapultiert. Auch Pamela Metschar hat diese rasante Entwicklung überrascht. Sie denkt jetzt darüber nach, was an Hilfe in Zeiten des beschleunigten Klimawandels überhaupt noch sinnvoll ist. Jedes dritte Projekt in Bangladesch gilt in seinem Erfolg durch den Klimawandel gefährdet.

Klimaflüchtlinge gibt es auch anderswo. Doch nirgendwo sonst betrifft der Klimawandel so direkt so viele Menschen wie in Bangladesch. Hier spitzt sich die Situation wegen der Lage des Landes und der Armut immer weiter zu: Eingeklemmt zwischen dem Himalaja und den großen Flüssen Ganges, Brahmaputra und Meghna und genau in der Zugbahn der zerstörerischen Wirbelstürme aus der Bengalischen Bucht, ist das flache Land extrem verwundbar. Von Süden nagt das Meer an der Küste, in der zentralen Tiefebene laufen die Flüsse über - bei der großen Überschwemmung 1998 wurden auf einen Schlag 20 Millionen Menschen obdachlos -, und im Westen des Landes gibt es regelmäßig Dürren, weil sich die Regenzeiten verschieben. Hinzu kommen die Armut des Landes und das Versagen der staatlichen Verwaltung.

"Unsere Menschen sterben nicht am Klimawandel, sondern an Armut und Bildungsmangel", sagt Arjumand Habib, die Vizechefin des Zentrums für Sturmwarnung in der Hauptstadt Dhaka. "Wäre das hier Holland, gäbe es keine Toten", schimpft sie, "aber weil die Menschen sonst nichts zum Leben haben, bleiben sie bis zum letzten Moment bei ihren Häusern und ihren Tieren."

Saleemul Huq versucht der Katastrophe dennoch etwas Positives abzugewinnen. "Sidr hat 3.500 Menschen getötet. Das ist furchtbar, aber gleichzeitig ein Riesenerfolg", sagt der Wissenschaftler. Denn 1970 forderte ein Zyklon 300.000 Tote, 1991 gab es immer noch 135.000 Opfer. Der Bangladescher, der in London am Institut für Umwelt und Entwicklung arbeitet, plädiert dafür, das Schicksal seines Heimatlandes auch als Chance zu begreifen: Bangladesch könne anderen armen Staaten vormachen, wie man ein ganzes Land zum Thema Klimawandel mobilisieren könne. Wo die Betroffenen allerdings eine neue Heimat finden sollen, das weiß auch Huq nicht.

Atiq Rahman dagegen hat eine radikale Idee. "Warum retten die Industrienationen nicht die Menschen, die sie durch den Klimawandel töten?", fragt der große alte Mann der Umweltbewegung des Landes in seinem Büro in Dhaka provozierend. Gerade hat ihn das UN-Umweltprogramm Unep zum Champion of the World 2008 ernannt. "Jedes Unternehmen in einem Industrieland", schlägt er vor, "das mehr als 100.000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr ausstößt, muss ein Dorf von Bangladeschern in seinem Land ansiedeln. Wir bringen den Menschen hier die Sprache ihres Landes bei, und wir schulen sie in dem, was sie dort brauchen." Rahman macht eine Pause und beobachtet, welche Wirkung seine Worte haben. Dann sagt er: "Ich mache keine Witze. Ich meine das todernst."

Die Fischer von Bogi wollen nicht wegziehen. Nicht in ein fernes und kaltes Industrieland, nicht in die Slums von Dhaka. Sie wollen neue Boote, um wieder zum Fischen hinausfahren zu können. Aber was, wenn der nächste Sturm wieder alles wegbläst? Das kann passieren, sagen sie. Wie stellen sie sich ihre Zukunft an diesem gefährlichen Ort vor? Die Menschen blicken auf den Boden zu ihren Füßen. Sie schweigen.

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