Punk-Veteran Kamerun über Schwarz-Grün: "Kompromisse können okay sein"

Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, über sein Unbehagen an Schwarz-Grün in Hamburg - und veränderte Aussichten für alternative Lebensentwürfe.

"Man sollte die Chance haben, ein anderes Leben führen zu dürfen": Schorsch Kamerun Bild: dpa

Herr Kamerun, Hamburg war mal eine Bastion der Linken, nun gibt es Schwarz/Grün?

Schorsch Kamerun: Anscheinend wächst da was zusammen, was zusammen wachsen will.

Und zwar was?

Etwas, das mal eine Alternative aufgemacht hat und jetzt miteinander kooperiert. Eben nicht mehr "anders sein" will.

Konflikte wie um den Bauwagenplatz "Bambule" im Jahr 2003 liegen nicht weit zurück. Andererseits ist ihre alte Hamburger Punkszene längst im Schauspielhaus angekommen.

Es gibt dazu ein Lied von unserer Band, das den umgekehrten Weg beschreibt: Der Bürgermeister auf dem Tocotronic-Konzert.

Was meint das?

Auch so ein Bürgermeister will sich mal woanders zeigen, da es da eine gewisse Attraktivität gibt. Das wäre zu einer früheren Zeit nicht möglich gewesen. Tocotronic steht ja schon für eine bewusste Verweigerung - ihr letztes Album heißt "Kapitulation". Die Verweigerung will man bewusst ausleben, wofür Hamburg auch stand. Spätestens seit New Labour konnte man international Premierminister und Präsidenten an der Guitarre oder am Saxofon sehen.

Sie kamen als junger Punk in den 80ern nach Hamburg. Wie haben Sie und die Stadt sich mittlerweile verändert?

Nehmen wir nur die Kultur: Heute bin ich für subventionierte Kunst. Das sah ich früher anders. Wir brauchen einen Gegenpart zu den Privatisierungstendenzen. Auch der Kiez hat irgendwann verstanden, sich mit dem Image des Alternativen zu verkaufen. Daran haben auch wir einen gewissen Anteil.

Inwiefern?

Wir sind in die Gebiete gegangen, wo man erstmal nicht hinging. In die Hafengegend, auf der Suche nach Freiräumen. Unser Club, der Golden Pudel Club, versucht bis heute, kein Image oder marktkonforme Lebensidee zu verkaufen. Wir haben dabei auch etwas begehbar gemacht, ähnlich wie in den Londoner Docks oder im New York Village. Der Pudelclub ist dennoch bis heute ein Symbol für die unabhängige Szene. Das steht für etwas anderes als diese Werbeagenturen oder Hafencity-Leute, die jetzt über den Stadteil hereinbrechen und die Räume verteuern.

Sind das die Bösen?

Naja, zumindest haben die in aller Regel kein Interesse an einem anderem Leben.

Dieses anders Lebenwollen, hat sich das nicht überholt?

Mag sein. Ich bin aber dafür, dass man wenigstens die Chance haben sollte, ein anderes Leben führen zu dürfen. Das wird gerade komplett aufgegeben.

Schwarz-Grün wird in Hamburg eine sechsjährige gemeinsame Grundschulzeit einführen, auch schlecht?

Manche Kompromisse können ja okay sein. Mir geht es aber vor allem darum, gewisse Dinge, die man sich erkämpft hat, dass die erhalten bleiben. Sicher. das Leben ist sehr komplex. Die Grätsche, keine Frage. Alles ist Verhandlung. Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Theater sollten eigentlich unabhängig bleiben von ökonomischen Einflüssen, sich nicht von Banken unterstützen lassen.

Warum das denn?

Als Band Die Goldenen Zitronen waren wir immer dagegen, zu einer großen Plattenfirma zu gehen. Weil die noch andere Sachen, mit denen wir nicht einverstanden sind. Andere haben gesagt: Wir gehen dahin und unterstützen dann andere Projekte. Ich finde, das stinkt. Man braucht eine gewisse konsequente Haltung. Ob die sich immer einlöst, steht auf einem anderen Papier.

Muss man nicht gewisse Widersprüche aushalten können?

Das stimmt. Es geht mir ja auch nicht um Aussteigerei.

Um was dann?

Dass man in bestimmten Gebieten als Minderheit kulturell auch weiterhin die Oberhand behält und nicht von den jetzt angelockten Geldkräften leichthin verdrängt wird.

Sie fordern das Dorf in der Stadt, die Unbeweglichkeit?

Ich verteidige bestimmte Ideale, die man auch altmodisch nennen kann.

Das Prinzip des Urbanen ist ständige Durchmischung, Bewegung, umziehen...

Aber bitte nicht auf Kosten ökonomischer Verdrängung. Da find ichs ganz okay zu sagen: Ihr kommt hier nicht rein.

Gegen die Gentrifizierung dürften die Grünen in der Regierung ein dämpfender Faktor sein, oder?

Sie werden viellicht auch gute Dinge erreichen. Aber die Frage ist immer die nach dem Preis. Im Pudelsclub haben wir an Wochenende das Problem mit den Ottifanten und Werner-Graffities sprühenden Leuten. Was machen wir jetzt? Preise erhöhen? Am Besten wäre Webern-Opern am Abend spielen.

Und wenn statt der Ottifanten die Banker kommen?

Es gibt nur sehr wenige Banker die in Discotheken gehen, um dort nach Webern zu tanzen.

NTERVIEW: ANDREAS FANIZADEH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.