Schwarz-grüne Löcher im Koalitionsvertrag

Die Koalition ist von grüner Seite aus perfekt – die Spannung auf Feldern wie Schule und Moorburg bleibt

BERLIN taz ■ Neben „Chance“ war „Risiko“ das Stichwort, das am Sonntag in fast jeder Rede vorkam, die auf dem Hamburger Parteitag der Grünen gehalten wurde. Die „Grün-Alternative Liste“ diskutierte den schwarz-grünen Koalitionsvertrag, dem heute auch die CDU in Hamburg zustimmen will.

1. Schule. An keinem Punkt lässt sich die neue Gemeinsamkeit von CDU und Grünen so gut festmachen – und die Gefahr, den grünen bildungspolitischen Ansprüchen nicht zu entsprechen. Die sechsjährige gemeinsame „Primarschule“ soll die ungerechte Frühauslese im Bildungswesen auf die sechste Klasse nach hinten schieben. Erst mit der siebten Klasse sollen die Kinder aufs Gymnasium oder auf die Stadtteilschule gehen. Doch werden die Primarschulen teils mit Gymnasien zusammenarbeiten. Es ist darum absehbar, dass die Akademiker- und Beamteneltern künftig alles daransetzen werden, ihre Kinder an den Primarschulen mit Gymnasialangebot anzumelden – während die anderen Kinder sich weiter hinten anstellen dürfen. Die Auslese würde so nicht nach hinten, sondern nach vorn verlagert.

2. Kraftwerk. Die Grünen wollen das vom bisherigen CDU-Senat geplante Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg nicht. Der Stromkonzern Vattenfall geht vor Gericht, um den Bau, wie in Vorverträgen vereinbart, oder aber eine gigantische Schadenersatzsumme durchzusetzen. Es ist Aufgabe von Anja Hajduk, das durch rechtliche Kniffe zu verhindern. Sonst wird es ausgerechnet die künftige Umwelt- und Supersenatorin Hajduk sein, die für den Bau eines riesigen Kohlekraftwerks geradestehen muss.

3. Elbvertiefung. Die anstehende Vertiefung der Elbe um einen weiteren Meter auf 14,5 Meter, damit die großen Containerschiffe im Hafen einlaufen können, soll nun aber wirklich die allerletzte sein. Da schmunzeln selbst die Grünen.

4. Innere Sicherheit. Der neue CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus gilt als Hardliner. Nichts deutet darauf hin, dass er an der besonders rigiden Abschiebepolitik Hamburgs etwas ändern möchte – auch wenn die Grünen im Koalitionsvertrag Milderungen durchgesetzt haben. Noch während der Verhandlungen wurde eine armenische Familie durch eine nächtliche Abschiebung auseinandergerissen – was auch die GAL erst auf Anfrage zugab.

5. Soziales. Möglicherweise ist von der CDU eine Bundesratsinitiative für Mindestlöhne tatsächlich kaum zu verlangen. Doch kommt das Wort „Hartz IV“ im Vertrag noch nicht einmal vor. Das Kapitel „Soziales“ beschränkt sich weitestgehend auf kostenneutrale oder günstige Unterstützungsmaßnahmen für Wohnungslose, Behinderte und Pflegebedürftige. Die 4.000 versprochenen öffentlich finanzierten Arbeitsplätze in der Stadtteilverbesserung werden aus laufenden Jobprogrammen zusammengestellt.

ULRIKE WINKELMANN