Schwarzer nicht mehr "Emma"-Chefin: Mutter geht weg, das gibt Luft

Ausgerechnet bei "Kerner" hat Alice Schwarzer angekündigt, sich aus der "Emma"-Chefredaktion zurückzuziehen - ein Nachruf.

So eine Feministin ist gar nicht so schwanzabschneiderisch! Bild: dpa

Natürlich sähe es, wie es die Tradition möchte, besser aus, hätte sie diese Nachricht auf einem Plenum zur Debatte gestellt. In einem feministischen Zirkel der allerbasisdemokratischsten Sorte, diese Neuigkeit stundenlang, quälend, bedenkend, wägend erörtert. Die Diskutierenden wären vielleicht entsetzt oder hätten eventuell sogar heimlich diesen Schritt begrüßt: Endlich geht Mutter weg, das gibt Luft.

Jedenfalls wäre die Art, mit der wir tatsächlich unterrichtet wurden von diesem Umstand, unmöglich gewesen: bei "Kerner" aufzutreten und zu sagen, sie wolle nicht länger Chefredakteurin der Emma sein, ihr publizistisch Kind schlechthin, das ist kränkend: Da hat sich eine wohl sehr von ihrer Basis entfernt.

Basis? Hat sie eine? Wenigstens wir, die an die Sache der Gleichberechtigung glauben, an Feminismus und Frauen überhaupt? Schwarzer, die vorigen Montag ihren 65. Geburtstag feierte, hat sich eine perfekte Zeit gewählt, um die nervigste ihrer Tätigkeiten an eine andere zu übergeben, es werde eine "sehr selbstbewusste, taffe" jüngere Kollegin sein: Lisa Ortgies, 41 Jahre alt, seit 2005 Kolumnistin bei Emma und Teilzeit-Moderatorin, unter anderem bei "Frau TV" im WDR . Ihre Demission von diesem Job wolle Schwarzer bereits Anfang des kommenden Jahres hinter sich bringen.

Der Termin ihrer Bekanntgabe mag tatsächlich als gelungen genommen werden. Sie steht auf dem Zenit ihrer Laufbahn. Angefangen hat sie als Promotorin der Stern-Kampagne aus den frühen Siebzigern: "Wir haben abgetrieben", hieß damals der Titel der Illustrierten, ein zur Kampfformel gerinnender Satz, mit dem die bis dahin geltende lebensschützerische Rechtslage gegen Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollten, verändert werden sollte. Das Credo: für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, gegen alle Krähwinkelärzte und Patriarchen aller Sorten.

Am 26. Januar 1977 gab sie schließlich die erste Ausgabe der Emma heraus, ein Magazin, das sich strikt einen Frauenblick zu eigen machte. Anfang des Jahres, als diese Zeitschrift ihren 30. Geburtstag feierte, glaubten gewogene wie kritische Beobachterinnen schon zu erkennen, dass die Mutter der frauenbewegten Kompagnie müder geworden sei. Mit 65 habe sie ja auch ein Recht auf eine selbstbestimmtere Lebensweise, freier von Produktionsterminen, hieß es beiläufig. Aber, so munkelte man in Köln, das Heft kann sie gar nicht ganz aus der Hand geben, denn eine Emma ohne Schwarzer sei wie ein Flugzeug ohne Flügel.

In Wahrheit wird Schwarzer wohl auch den Frauenturm am Kölner Rheinufer nicht verlassen, denn sie bleibe, verriet sie Johannes Kerner, ja als Autorin und Herausgeberin diesem Projekt verbunden. Das könnte ihre Nachfolgerin natürlich als Drohung begreifen. In einem Haus zu arbeiten, in dessen ausgebautem Dach Schwarzer ein nobles Büro hat, über dessen Decke nur noch der Himmel ist, kann bedrückend sein. Wer zu ihr wollte, musste immer nach oben.

Doch sie wird ihrer Erbin, auf dem Gipfel ihrer Macht, Einfluss noch und noch, nicht im Wege stehen wollen. Niemand kann ihr mehr, alles kauft man ihr ab, nimmt die Kampagne gegen Pornografie ernst und überhaupt alles, was diese Publizistin verbreitet. Alles fast noch so schlimm wie früher, lassen sich ihre Statements summieren - und wo es besser wurde, haben eben die Emma und deren Schwestern beharrlich gute Werke verrichtet. Schwarzer jedenfalls, die beteuert, nun (noch) mehr Bücher schreiben zu wollen, keine Langeweile fürchtet und gern mit ihrer Katze unter Bäumen zu hocken sich vorstellen könnte, wird weiter die erste Feministin im Lande geben. Bei "Wetten, dass ?" und in anderen TV-Shows sitzen, in Jurys, Gremien sowie in Frank Schirrmachers Zeitung Beiträge zur islamistischen Gefahr schreiben und zum Versagen der Linken, sich dieser zu stellen. Und wahrscheinlich wird sie ihren immer besser werdenden Ruf genießen: Mensch, guck mal, so ne Feministin ist gar nicht so übel schwanzabschneiderisch! Das hatte man ihr und anderen Frauenbewegten in den Siebzigern giftig als Phantasma unterstellt.

Sie muss wahrlich nicht fürchten, im Alter ungefragt zu werden. Marcel Reich-Ranickis Karriere war ja auch nicht mit dem 65. Lebensjahr vorbei, wie auch Marion Gräfin Dönhoff sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen konnte. Alice Schwarzer hat sich erfolgreich nie von der linksalternativen Kultur der Siebziger vereinnahmen lassen. Und das nimmt man ihr oft übel. In einem Berliner Bezirk hat die SPD ihre Unterstützung für die Benennung einer Bibliothek nach Alice Schwarzer kassiert; man sei in der Pornografiefrage doch sehr weit auseinander, pragmatischen Perspektiven sei Schwarzer nicht zugänglich - und die CDU protestierte. Mit Recht: als ob Meinungsverschiedenheiten nicht aushaltbar sein müssten.

Eine Solokünstlerin

Viel Streit, viel Ehr? Dass der Schwarzer die Schlagzeile wichtiger war als aller Sachverstand, versteht sich fast von allein. Wer ins Konzert der ersten Geigen will, kann mit Zimbeln, Tuben und Harfen nicht zimperlich sein. Das ist bei ihrer Sicht des Sexuellen - immer verdächtig! - überhaupt spürbar: Mit Prüderiekonzepten konservativ-christlicher Natur ist sie eng zu verzahnen möglich.

Alice Schwarzer wollte nach oben - für die Sache, wie sie präzisieren würde. Sie hat dem Feminismus eine Stimme gegeben - ihre Stimme. Dass Emma ihr nun zu viel wird, mag dem Blatt schaden. Ihr längst nicht mehr.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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