Altsprachliche Bildung : Latein ist wieder "In"

Lange galt dieses Sprache als Krone bildungsbürgerlichen Herrschaftswissens. Damit ist es nun vorbei. Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder in den Lateinunterricht - aus guten Gründen.

Ein Blockbuster, der sich nicht nur mit der Thematisierung antiker Mythen begnügt, sondern auch auf Latein gedreht wurde: "Die Passion Christi". Bild: dpa

Wilfried Stroh hatte sich extra hingesetzt und Angelina Jolie eine E-Mail geschrieben. Der Münchner Altphilologe hatte zufällig gesehen, dass auf dem Bauch der Schauspielerin ein lateinischer Satz tätowiert ist. In verschnörkelten Lettern liest man dort "Quod me nutrit me destruit", zu Deutsch: Was mich nährt, zerstört mich. Unsinnig sei das, fand Stroh. Er wollte wissen, was sich die Hollywood-Schönheit bei dem Satz dachte. Sie hat ihm nicht geantwortet.

Citius, altius, fortius: Schneller, weiter, höher

Gallia est omnis divisa in partes tres: Ganz Gallien besteht aus drei Teilen (Anfang von Caesars "De Bello Gallico")

O tempora, o mores: Welche Zeiten, welche Sitten!

Sapere aude!: Wage, zu verstehen!

Velis nolis: Ob es dir gefällt oder nicht

Sui generis: Einmalig

Tempus fugit: Die Zeit flieht

Quod licet Jovi, non licet bovi: Was Jupiter erlaubt ist, ist nicht dem Ochsen erlaubt

Primus inter pares: Erster unter Gleichen

Per aspera ad astra: Durch Anstrengung zu den Sternen

Deus ex machina: Der Gott aus der Maschine

Dura lex sed lex: Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz

Gutta cavat lapidem, non vi sed saepe cadendo: Der Tropfen höhlt den Stein nicht durch Kraft, sondern durch häufiges Niederfallen

Alibi: Anderswo

Clam: Heimlich

Stante pede: Stehenden Fußes

Variatio delectat: Abwechslung erfreut

Pecunia non olet: Geld stinkt nicht.

Homo homini lupus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf

Conditio sine qua non: Unabdingbare Bedingung

Quod erat demonstrandum: Was zu beweisen war

Computatrum gremiale: Laptop

Telephonum Manuale: Handy

Tela Totius Terrae: World Wide Web

Video: Ich sehe

Audio: Ich höre

A priori: Von vornherein

Angelina Jolies Tattoo ist nur ein Indiz: Die antike Sprache ist auf einmal schick. Das zeigen sich ständig vermehrende lateinische Phrasensammlungen und, ganz aktuell, zwei Sachbücher: Wilfried Strohs flammendes Plädoyer "Latein ist tot, es lebe Latein!", das sich seit über einem Vierteljahr auf der Spiegel-Bestseller-Liste hält; das andere, "Latin Lover" vom Briten Harry Mount, ist gerade auf Deutsch erschienen. Sogar Altphilologe Stroh registriert einigermaßen verblüfft "einen Boom".

Den belegen auch die Statistiken: Seit dem Schuljahr 2000/2001 sind die Zahlen der Lateinschüler in Deutschland um 30 Prozent gestiegen, so die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts - trotz allgemein sinkender Schülerzahlen. Und auch Papst Benedikt XVI. hat die Gunst der Stunde erkannt, um endlich seinen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen: Die lateinische Messe wieder zuzulassen - was letztlich natürlich mehr kirchenpolitische als sprachästhetische Gründe hat.

Latein taucht, "tot" und doch immer wieder verjüngt, in denkbar unerwarteten Zusammenhängen auf, zum Beispiel auf den Unterarmen von Fußballer David Beckham: "Ut amem et foveam" steht da, und "Perfectio in spiritu".

Die Sprache der alten Römer ist in den gesellschaftlichen Niederungen angekommen. Wie zuvor die Naturwissenschaft wird nun auch dieses eigentlich bildungsbürgerliche Basiswissen populärwissenschaftlich aufbereitet - dabei bleibt es die Sprache, in der Menschen von Karl Marx über Franz Josef Strauß bis zum bayerischen SPD-Mann Ludwig "roter Pullunder" Stiegler eloquent schreiben und parlieren. Weiter entfernt von Angelina Jolie und David Beckham geht es kaum.

Doch letztlich sind es eben jene beiden Strömungen, die hinter dem aktuellen Lateinrevival stecken. Die Bücher von Wilfried Stroh und Harry Mount spiegeln diese beiden Extreme auf der Skala der momentanen Lateinbegeisterung. Auf der einen Seite ein 67-jähriger emeritierter Professor, der als der fließende Lateinsprecher der Szene gilt und dafür plädiert, jene totgesagte Sprache wie eine moderne Fremdsprache zu unterrichten. Ein Exzentriker mit Leidenschaft für "den Zauber des Lateinischen", wie er es nennt, der sich auf seiner Uni-Homepage mit Toga, Lorbeerkranz und Harfe präsentiert.

Auf der anderen Seite gefällige Texte über Etymologie und dorische Säulen, ein paar Deklinationskästen sowie Beispielsätze wie "Humphreus Bogartus Laurenam Bacallam labellis osculus est" - Humphrey Bogart küsste Bacall auf die Lippen. Der Leser solle sich nicht "wie ein Elfjähriger" fühlen müssen.

Überdies übernimmt Latein, wie zuvor der Buddhismus, die Funktion einer hippen Ersatzreligion. Es ist kein Zufall, dass Jolie einmal in einem Interview sagte, Tattoos seien für sie wie Gebete. Neben dem Zerstörerspruch trägt sie auch Sanskritverse auf ihrem Körper spazieren.

Die Antike - ein diffuser, ferner Mythos. So nimmt es auch kaum Wunder, dass Blockbuster wie Mel Gibsons "Passion Christi" zum selben Genre zählen wie Streifen wie etwa der Oliver-Stone- Film "Alexander", mit Angelina Jolie als Mutter des Helden, Wolfgang Petersens Sandalenfilm "Troja" oder gerne auch "Gladiator". Die Spartaner-Comic-Verfilmung "300" gilt gar als eine der erfolgreichsten US-Produktionen 2007. Und auch bei Streifen, die mit jenen offensichtlichen Historienschinken wenig zu tun haben, stehen antike Klassiker hoch im Kurs: "O Brother, Where Art Thou" der Coen-Brüder oder "Cold Mountain" sind so etwas wie Coverversionen von Homers Odyssee. Fest steht, dass Latein den Bildungsdünkel abgelegt hat, von dem es umgeben war: "Es gibt keinen Hochmut mehr", erklärt Stefan Kipf, Bundesvorsitzender des deutschen Altphilologenverbandes. Gott sei Dank, findet Wilfried Stroh, "das war schädlich".

Nachhaltigkeit, das haben nun auch die Trendforscher entdeckt, ist das Bedürfnis unseres Zeitalters. Darunter mag man zwar Umweltschutz und gesunde Ernährung verstehen. Aber im Grunde geht es um Qualität. Um Beständigkeit statt Billigware: "Latein strahlt Dignität aus, Seriosität, Qualität", sagt Kipf und verweist erst einmal auf Automodellnamen wie Vectra, Astra, Modus. Gerade in Zeiten von Bildungsabgesängen passt also nichts besser als Latein, die Sprache, die schon immer synonym für qualitativ hochwertige Erziehung stand. Schulreformer aller Zeiten predigten das, erklärt Stroh: "Bei Verlust der altsprachlichen Bildung könnte sich, meint Luther, das vergangene finstere Zeitalter erneuern."

Die Pisa-Studie, die erstmals just im Jahr 2000 die deutsche Bildung auf die hinteren Ränge verwies, kam da für die aussterbenden Unterrichtszweige gerade zur rechten Zeit. Schließlich sind Eltern nun noch bedachter darauf, ihren Kindern eine ordentliche Bildungsgrundlage zu verpassen. Die Harry-Potter-Bände auf Latein sind bei Amazon sogar höher gelistet als das Reclamheft mit Ovids Metamorphosen. Der Run auf Lateinschulen verwundert in diesem Zusammenhang kaum noch. Wenn es vernünftig ist, "lebendige" Sprachen wie Italienisch, Spanisch, Englisch oder Französisch zu lernen, dann wird die "tote" Sprache erst recht zum Muss: Latein und seine Grammatik sind die Grundlage und Mutter weitgehend aller europäischen Sprachen.

Aus der Defensive heraus haben Leute wie der Verbandschef Stefan Kipf - Pädagoge an der Berliner Humboldt-Universität - dem Latein den Schrecken genommen. Ausflüge in die antike Kulinarik, Odyssee-Rallyes oder Tempelbasteln gehören dazu. Und der erste Satz, den Kinder lernen, ist nicht mehr "Romani bellum amabant", die Römer liebten den Krieg.

Es mag ein Zufall sein, dass der ansteigende Zuspruch fast mit dem Beginn des "war on terror" zusammenfällt. Die Rede vom "alten Europa" bedeutet aber eben auch immer einen Verweis auf beständige Werte und die Wurzeln des Humanismus. "Latein stand immer für mehr als nur die Sprache", sagt Stefan Kipf. "Man sucht nach Antworten aus der Antike für die Gegenwart: Latein gibt Halt."

Für ihn sind es vor allem lebensweltliche Konzepte, die dank Latein von gesellschaftlichem Nutzen sein können. Wo sonst, fragt Kipf, könne man so viel über Freundschaft und Liebe lernen. Und über Politik, denn es ist natürlich auch die Sprache eines Imperiums, das irgendwann kollabierte, weil es sich infrastrukturell und vor allem militärisch überdehnt hatte. "Imperial overstretch" nennen das Politologen, es klingt sehr aktuell.

Das Verblüffende: Im europäischen Vergleich ist Deutschland ein Sonderfall. Die Bundesrepublik habe "eine absolute Spitzenstellung" in Sachen Latein, bestätigt Stefan Kipf. Nirgends sonst gehört Latein so selbstverständlich zur Schulbildung, in Großbritannien lernt man die Sprache Cäsars nur auf Privatschulen, in den USA kommt man nur an der Universität damit in Kontakt. "Ein Phänomen", findet auch Wilfried Stroh. Und eines, das mit ein wenig Glück dazu führen könnte, dass die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund besser gelingt: "In manchen Berliner Schulklassen ist die Antike das einzige Element, das Polen, Letten, Deutsche, Türken verbindet", sagt Kipf. Gerade junge Deutschtürken hätten oft einen Aha-Effekt, so seine Erfahrung: Schließlich war auch die heutige Türkei einst Teil des Imperium Romanum. O tempora, o mores!

Dass sich die Begeisterung der Angelina Jolie für das Lateinische und die Antike im Allgemeinen doch in Grenzen hält, weiß Altphilologe Wilfried Stroh auch ohne eine Antwort aus Hollywood. Die E-Mail, die er an Jolie geschickt hat, war auf Latein.

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