Illegaler Rapper Afro Hesse: Der Unsichtbare

Afro Hesse lebt seit fünf Jahren illegal in Deutschland. Der Algerier rappt über die Straße und sein Leben als Unsichtbarer. Nun erscheint sein Debütalbum.

Immer in Tarnung: Afro Hesse. Bild: screenshot .myspace.com/liquormusicberlin

Die Geschichte, die heute erzählt werden soll, ist eine absurde Geschichte. Sie handelt von einem, der gehört werden will, aber es nicht wagen darf, gesehen zu werden. Von einem, der lautstark seine Stimme erhebt, dem aber nicht erlaubt ist, seine Stimme abzugeben. Es ist die Geschichte eines Menschen, der hier lebt, in Deutschland, mitten unter uns, der aber trotzdem nicht existiert. Dies ist die Geschichte eines Menschen, der nicht Mensch sein darf.

Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl leben in Deutschland zwischen 500.000 und 1,5 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Sie sind in der Terminologie der Behördensprache "illegal" im Land, also "unerlaubt und ohne Kenntnis der zuständigen Behörden" (Bundesinnenministerium). Ein Teil der Menschen reist bewusst nach Deutschland ein ohne sich bei Behörden zu melden, meistens um zu arbeiten. Andere, wie auch der Rapper Afro Hesse, besaßen ein Aufenthaltsrecht, es wurde ihnen jedoch wieder entzogen oder nicht mehr verlängert.

Laut Pro Asyl leben Illegale "unter schwierigsten sozialen Bedingungen, werden bei Schwarzarbeit ausgebeutet und können soziale Rechte wie beispielsweise Krankenversorgung praktisch nicht in Anspruch nehmen.

Dies ist die Geschichte von Afro Hesse. Die Geschichte von einem, der in Algerien geboren wurde, mit der Familie nach Deutschland floh, in Darmstadt aufwuchs, mit 14 anfing, Musik zu machen, zu rappen, Konzerte zu veranstalten, ein Leben zu leben. Er ist, wie es so heißt, integriert. Dann, vor bald fünf Jahren, endet dieses Leben. Die Aufenthaltsgenehmigung läuft aus, die Duldung wird nicht mehr verlängert, Afro soll abgeschoben werden in ein Land, das lange schon nicht mehr seine Heimat ist. Panisch flüchtet er nach Frankreich. Vor einem Jahr kommt er zurück nach Deutschland. Heute ist Afro Hesse 27 Jahre alt und lebt illegal in diesem Land, ohne Papiere, ohne Arbeit, ohne Geld, "als säße man im Rollstuhl, und keiner schiebt ihn".

Aus diesem Leben, das keines ist, erzählt Afro Hesse in den Raps seines Albums "Mehr als Musik". Erzählt vom Leben auf der Straße, vom Leben im Exil, ohne Geld und Perspektive, ohne Rechte und ohne Papiere, erzählt aus einer Parallelwelt: "Du fährst nicht schwarz, denn das ist tödlich/ Du bekommst kein Hartz und hast jeden Euro nötig." Die deutschen Behörden mögen sagen, dass es ihn gar nicht gibt, aber dieses Album steht im Laden, ist zu kaufen, ist der Beweis, dass es Afro Hesse gibt. "Ich bin ein Street Rapper", sagt er, "der ehrlichste Rapper Deutschlands. Bei mir ist nichts gelogen, alles ist wahr und ehrlich. Alle anderen sind Lügner."

Beim konspirativen Treffen trägt er die international abgesicherten Insignien des Hiphop, Jogginghosen, weite Wattejacke und Turnschuhe. Für die Fotos zieht er die Baseballmütze tief ins Gesicht, man soll ihn nicht erkennen. Grau ist seine Kleidung, als wollte er sich tarnen. Und alles ist etwas abgerissen, ein wenig ärmlich. Die Zähne stehen kreuz und quer im Mund und sind braun geworden.

Schlimmer, erzählt er, sind die immer wiederkehrenden Gedanken. Das ständige Misstrauen. Was wäre, wenn? Was ist, wenn der Journalist gar kein Journalist ist? Wenn gleich die Handschellen klicken? Wenn ich morgen schon in Algerien bin? Abgeschoben in ein Land, dessen Sprache er nur so lala spricht. Weg ins Ungewisse, vorbei das bisschen Leben, das noch geblieben war. Alltag, sagt er, sind solche Gedanken.

Nicht nur für ihn. Afro weiß, dass er nicht der einzige Illegale ist. "Wir sind unter euch", sagt Afro, "aber wir sind unsichtbar." Und versucht das auch zu bleiben. Afro versucht sich nun an der Quadratur des Kreises: Als Unsichtbarer eine Karriere anzustreben in einer öffentlichen Branche, zu deren Geschäftsprinzipien der Verkauf von Images gehört, ohne Gesicht berühmt werden in einem visuellen Geschäft.

Trotzdem haben bekannte deutsche Rapper wie Eko Fresh, Sentino oder Megaloh, wie es in der Szene üblich ist, ein paar Zeilen zu seinem Album beigesteuert, haben ihren Respekt gezollt. Eine kleine Plattenfirma, die "Mehr als Musik" herausbringt, hat er auch gefunden. Die Platte wird von einem renommierten Vertrieb in die Läden gebracht. Ein weiteres Album, eine Kooperation mit dem Rockmusiker Joachim Deutschland, ist schon fast fertig aufgenommen. Ein Bankkonto hat er trotzdem nicht, selbstverständlich nicht, wie denn auch. Aber das ist auch nicht nötig, denn dass er demnächst Bushido Konkurrenz machen könnte an der Spitze der deutschen Charts, das mag er nicht einmal hoffen. "Ich weiß doch, wie das Geschäft läuft."

Ab und an bekommt Afro mal einen Job als Tagelöhner. Schleppt da Kisten, schraubt dort was zusammen. Legal ist es nicht, unterbezahlt sowieso, aber er ist dankbar für das bisschen Geld, das ihn über die nächsten Tage bringt und ihm "ein Gefühl von Freiheit" gibt. Unlängst war er engagiert bei der "Mercedes Fashion Week". Irgendwann stand er, einen Moment nur, neben Naomi Campbell. Das Supermodel mit dem weltweit bekannten Gesicht neben dem Illegalen, der unsichtbar bleiben muss. "Krass" war das, sagt Afro, und dass er sich manchmal fühlt wie ein Alien, ein Außerirdischer.

Ab und zu tritt Afro auf. Sehr selten und natürlich nicht offiziell. Eigentlich springt er einfach auf die Bühne bei kleinen Rap-Konzerten, ohne Ankündigung, mit Billigung der Kollegen. Beim Splash, dem größten deutschen Hiphop-Open-Air-Festival, war er auch. Nicht als Musiker allerdings. Er ging durchs Publikum, gab sich als sein eigener Promoter aus und versuchte CDs zu verkaufen. Es lief nicht allzu gut.

In Paris war vieles einfacher. Das Verhältnis zur Polizei war entspannter. Insgesamt dreimal wurde er festgenommen, aber jedes Mal wieder laufen gelassen. Auf den Champs-Élysées verkaufte er seine erste, in Frankreich produzierte CD "Der verschollene Immigrant" an Touristen. Das brachte nur ein paar Euro, aber vor allem das gute Gefühl, dass sich jemand für ihn interessierte, ihn wahrnahm. Nie wieder aus Paris weggegangen wäre er, sagt Afro, wenn er dort aufgewachsen wäre, wenn er dort wirklich zu Hause gewesen wäre.

"Aber das war nicht dasselbe", sagt Afro, "man vermisst was." Das Heimweh trieb ihn wieder zurück nach Deutschland. Aber nicht nach Darmstadt. Dort leben heute noch seine Mutter und seine Schwestern, er hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Aber dort kennen ihn zu viele. Als er das letzte Mal in der Stadt war, die er Heimat nennt, wurde er auf der Straße angesprochen: lange nicht gesehen, wie gehts? Es waren Freunde, aber es hat ihm jedes Mal einen Schrecken eingejagt. Und es war der Beweis: Die Heimatstadt ist zu gefährlich. "Die Bullen in Darmstadt", lächelt er, "die wissen, wer Afro Hesse ist."

Heute lebt er in einer deutschen Stadt, die groß genug ist, um nicht aufzufallen, um in der Anonymität der Masse verschwinden zu können. Jeden Morgen holt er sich einen Kaffee im U-Bahnhof, dann schreibt er seine Rap-Texte.

Er versucht eine Routine zu schaffen, aber oft lebt er nur in den Tag hinein, und "das ist hässlich, wenn es Jahre dauert". Er ist untergekommen in einem Hausprojekt, einem vor langer Zeit einmal besetzten Altbau. An den nackten Wänden hängen noch Reste von Tapeten, auf dem Boden liegt eine Matratze, in der Ecke steht ein Sessel vom Sperrmüll. "Kein Licht", sagt Afro, "aber wenigstens ein Dach überm Kopf".

Die Eingangstür des Hauses ist zugepflastert mit Spuckies und Aufklebern, politischen Parolen, Ankündigungen von Demos, Werbung für Konzerte. Kool Savas, Pionier des Battle-Rap, klebt hier neben Colos, einem anderen Berliner Rapper. Beide sind Migrantenkinder, aber der eine ist ein Star, der andere hat eine ähnliche Geschichte wie Afro: Kriegsflüchtling, als Kind nach Deutschland gekommen, Duldungen, abgelehnte Asylanträge, fehlende Aufenthaltsgenehmigung, zerrissene Familie, Flucht und illegale Rückkehr.

Drei Jahre lang hat Colos im Untergrund gelebt, hat CDs aufgenommen und herausgebracht, ist sogar hin und wieder aufgetreten. Bis er es nicht mehr ausgehalten hat, die Unsicherheit, die ständige Angst. Dann hat Colos sich im November gestellt, hat eine Pressekonferenz veranstaltet und ist am Abend vorher noch mal ins Radio gegangen, hat ein letztes Mal seine Geschichte erzählt, noch einmal gehofft, dass sich doch alles lösen würde, und am nächsten Tag war er weg, abgeschoben in das Kosovo. Unlängst besuchten ihn die Reporter eines Berliner Boulevardblattes in Prizren und stellten fest: "Der Heimweh-Rap hat Colos fest im Griff."

Afro und Colos haben sich noch kennengelernt kurz vor der Abschiebung. Afro weiß, dass sein Schicksal dasselbe sein könnte. Also rappt er, schreibt seine Texte, weil die Musik das Einzige ist, das ihn glücklich macht. Aber auch für Leidensgenossen wie Colos. Nicht mit der Erwartung, aber doch der leisen Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte. Als er Colos traf, erzählt er, "gab mir das ein Gefühl von Stärke, weil ich merkte, ich bin nicht der Einzige".

Laut Schätzungen leben mehr als eine Million Menschen illegal in Deutschland. Die Geschichte, die Afro Hesse zu erzählen hat, ist die Geschichte von vielen.

Afro Hesse: "Mehr als Musik" (Liquor Music/ Groove Attack) erscheint am Freitag

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