Generationskonflikte heute: Prozente statt Arsen

Generationenkonflikte werden heute durch Streits um Beitragspromille oder Rentenwerte ausgetragen und nicht mehr über Wertedebatten zwischen Jung und Alt. Schade eigentlich.

Die Jugend von heute - im Jahre 2040. Bild: ap

Wer will den Kram eigentlich noch nachrechnen? Wer will noch streiten darüber, ob es okay ist, dass RentnerInnen in diesem Jahr eine außerplanmäßige Erhöhung von 1,1 Prozent ihres Ruhegeldes bekommen? Deswegen jetzt im Schnelltext: Die am Freitag gefundene Einigung bedeutet zehn Euro zusätzlich im Monat für den westdeutschen männlichen Durchschnittsrentner in diesem Jahr. 2009 gibt es dann 20 Euro mehr.

Dafür werden die Rentenbeiträge im Jahr 2012 zwar sinken, aber um vier Promille weniger als geplant, was wiederum bedeutet, dass sich die Abgaben für den Durchschnittsverdiener um fünf Euro weniger verringern als bisher angesagt.

Und jetzt weiter, nur wegen der Vollständigkeit: Im Jahr 2013 sinken die Beiträge dann weiter, der Durchschnittsverdiener muss dann fünf Euro weniger zahlen. Dafür klettern die Renten allerdings auch kaum mehr in die Höhe, nicht mal mehr um ein Prozent, was wiederum für die heute 40-jährigen künftigen Ruheständler bedeuten könnte… Schluss mit der Rechnerei!

Fünf Euro mehr für die Oma zahlen. Immerhin 61 Prozent der unter 30-Jährigen finden die Rentenerhöhung "gerade richtig", meldet das ZDF-"Politbarometer". Nur acht Prozent der Jüngeren bezeichnen sie als zu hoch.

Die meisten blicken wahrscheinlich eh nicht mehr durch bei dem Politgeschacher um die "Riester-Treppe" in der Rentenformel. In der öffentlichen Debatte streiten sich inzwischen die Generationen ums Geld, als würden einerseits habgierige Alte die Jugend aussaugen und andererseits undankbare junge Menschen die Senioren am liebsten unauffäl- lig mit Arsen vergiften, was ja in vergangenen Zeiten auf manchen Bauernhöfen vorgekommen sein soll, um sich der unliebsamen Altlast zu entledigen.

Der Generationenkonflikt dreht sich nicht mehr um Immaterielles, um die Frage, wer denn nun das tollere Wertesystem, die bessere Moral oder das größere Pflichtbewusstsein habe. Es geht um Prozente, Rentenwerte, Inflationsraten. Der Bürokratismus ist typisch deutsch, möchte man sagen.

Fast schon nostalgisch erinnert man sich an die traditionellen Generationenkämpfe, als sich ältere Menschen noch über die Frivolität und Faulheit der Jugend beschwerten und junge BürgerInnen über die Moralpredigten der Älteren stöhnten, weil sie sich lieber selbst neu erfinden wollten. Heute ist es umgekehrt: Der ältere Mensch ist keine moralische, sondern eine materielle Last. Den Jüngeren Frivolität vorzuwerfen, ist daher leider auch nicht mehr möglich. Schließlich sind sie es, die ackern für die Alten. Und die sich schon längst ausgerechnet haben, dass ihnen im Alter wenig an gesetzlicher Rente bleiben wird, egal wie viel sie berappen.

Im neuen Generationenstreit um Prozente und Promille wird dabei mit harten Bandagen gekämpft: Nachdem sich der 27-jährige CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn kritisch zur Rentenerhöhung geäußert hatte, will die nordrhein-westfälische Senioren-Union, die Altersorganisation der CDU, dem jungen Parteikollegen jetzt die Karriere versauen. Die Senioren-Union möchte Spahns Kandidatur für die nächste Bundestagswahl im Jahr 2009 verhindern, weil er "politisch unreif" sei.

Unreif! Fast stöhnt man erleichtert auf. Das sind ja nun bekannte Vokabeln im Generationenkrieg, einfacher zu verstehen als Beitragsrechnungen und Rentenformeln. Als "Rotzlöffel" wurde Spahn von den Alten gar beschimpft. Endlich sind sie wieder zu hören, die Beleidigungen im Generationenkrieg, als befände man sich auf einem Berliner Hinterhof in den 60er-Jahren.

Vielleicht ist es ja das, was im Moment fehlt in Deutschland: eine öffentlich erlaubte Form, um das Unbehagen, die Konkurrenz zwischen den Generationen, in Worte zu fassen. Wer sich daran versucht, wird sofort beschimpft, allerdings auch umgehend in Talkshows eingeladen und gelangt zu einem gewissen Ruhm. So wie der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Der hatte seinerzeit öffentlich darüber nachgedacht, ob es denn finanzierbar sei, jedem gebrechlichen Hochaltrigen ein neues Hüftgelenk einzupflanzen.

Die öffentliche Sprache für das gegenseitige Unbehagen ist unterentwickelt. Der Generationenstreit wird daher gerne auch mit Bildern ausgefochten: Turnende braungebrannte Rentnerinnen in geblümten Badeanzügen auf Mallorca sollen dem Betrachter signalisieren, dass hier produktions- und reproduktionstechnisch wertloses Menschengut das Geld der Erwerbstätigen verfuttert. Die RentnerInen verfügen zwar noch über die Sicherheiten des Sozialsystems, den jüngeren Einzahlern aber bleibt immerhin, die Aggression in einem versteckten Biologismus auszudrücken.

Dabei wird auch ein halbes Prozent Rente mehr oder weniger das Hauptproblem der Jüngeren nicht lösen: Sie brauchen eine Sicherung gegen die kommende Altersarmut, und diese politische Frage ist ebenso ungeklärt wie das Problem, wie Ältere in Zukunft lange im Erwerbsleben zu halten sind. Diese Verteilungsfragen müssen aber nicht unbedingt zwischen, sondern vor allem innerhalb der Generationen geklärt werden, also über den staatlich gelenkten Ausgleich zwischen Arm und Reich.

In 30 Jahren wird es erst richtig ernst mit der sogenannten "Überalterung" der Gesellschaft. Dann entern die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter und bleiben dann noch lange am Leben, ob im Rentnerresort auf Mallorca oder in der Sozialwohnung in Berlin-Kreuzberg. In zwei Jahren sind hierzulande 20 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Im Jahre 2040 werden 30 Prozent zu dieser Altersgruppe gehören. Es sind Leute, die heute noch jung sind.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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