Heiliger Dunstabzug

Was haben Himalaja, Dalai Lama und Küchentechnik gemeinsam? Sie gehören zur globalen Trostkultur. Die ist paradox, aber das macht nichts – wenn die Tibeter auch im Internet surfen können

VON BARBARA DRIBBUSCH

Wie lustig sie sind, die Bergsteiger. Diese Touristen aus dem Westen, die sich in teuren Klamotten aus Hightech-Fasern keuchend durch die dünne Luft des Himalaja schleppen. „Diese Bergsteiger müssen sogar Psychologen haben, die ihnen helfen, wenn sie Angst bekommen“, amüsiert sich die Tibeterin Soname Yangchen in ihrer Autobiografie „Wolkenkind“. Was dem einen Ziel der Sehnsüchte ist, erscheint dem anderen unverständlich und befremdlich.

Auch jetzt wieder, verstärkt durch den Besuch des Dalai Lama in Deutschland, lässt sich bestaunen, welche westlichen Wünsche sich mit der Marke Tibet verbinden. „Free Tibet“ – diese Fahne hängt in einer Kletterhalle in Berlin und gibt der umgebauten Fabrikhalle einen sakralen Touch. Wer hier an Kunststoffgriffen hochsteigt, kann sich einbilden, mehr zu machen als nur ein bisschen Sport. Zumal der Himalaja für die westliche Outdoor-Szene so etwas wie der Wallfahrtsort Lourdes für die Katholiken ist. Zum Bergsteigen gehört die Topografie, das oben, hoch oben zu stehen, bedeutet, näher bei Gott zu sein. Auf Millionen Jahre alten Gesteinsformationen herumkraxeln erzeugt zudem einen Hauch von Unsterblichkeit. Dieses Gefühl hat etwas Beruhigendes für den depressionsgefährdeten Westler. Zumal man ja wieder ohne große Probleme absteigen, ins Flugzeug klettern und in gemütlichere Gefilde abdüsen kann.

Die ortsansässigen Leute sehen dies naturgemäß etwas anders. In den Familien mancher Himalajavölker herrscht eitel Freude, wenn eine Tochter „ins Tal“ verheiratet wird, weil dort das Leben leichter ist als oben. „Es ist kein besonderer Ruhm, einen Berg zu besteigen, auch wenn es ein sehr hoher Berg ist. Wenn man sich körperlichen Herausforderungen stellen will, kann man auch in abgelegene und klimatisch schwierige Regionen gehen und armen Bauern bei der Ernte helfen. Damit hilft man wenigstens anderen Menschen, sich zu ernähren“, rät Soname Yangchen.

Was wir als spirituell erhebend wahrnehmen, hat mit den Leuten vor Ort wenig zu tun. Denn die müssen sich anpassen. Der Reisejournalist Helge Timmerberg beschreibt auf seinem Trip zur Quelle des Ganges das Gefühl, das sich einstellt, wenn man im Himalaja nach oben steigt und die Sauerstoffzufuhr höhenbedingt abnimmt: „Meditation!“ Vielleicht ist die im Westen oft bewunderte Spiritualität der Einwohner im Himalaja gar nicht in erster Linie Zeichen besonderer Religiosität, sondern nur eine angepasste Introvertiertheit, mit der sich in extremen Höhenlagen gut überleben und zusammenleben lässt. Zivilisationsmüde Trekker ziehen ihren spirituellen Mehrwert gerade aus den Unwirtlichkeiten der Himalajaregionen, die den dort lebenden Menschen so zu schaffen machen – das ist das Paradox der Trostkulturen, die sich der Westen baut.

An dieser Trostkultur ist nichts Schlechtes. Doch für die Tibeter und andere Völker, deren Menschenrechte missachtet werden, ist es wichtig, dass sie auch dann noch auf politische und finanzielle Unterstützung des Westens rechnen können, wenn sie nicht mehr in pflanzengefärbten Klamotten aus Yakwolle herumlaufen, sondern leichte Gore-Tex-Jacken tragen und im Internet surfen wollen.

Eine Leserbriefschreiberin im Panorama-Magazin des Deutschen Alpenvereins, die mit einem Tibeter verheiratet ist, meint: „Sicherlich leben noch viele Tibeter in einer Form, die wir ursprünglich nennen, ist nur die Frage, ob sie das auch wollen.“ Die emigrierte Soname Yangchen beispielsweise schätzt den Westen wegen vieler Errungenschaften, etwa Dunstabzugshauben. „Hätten wir so etwas nur in unsrer Küche in Tibet gehabt, wäre nicht alles so verdreckt und fettig geworden.“ Trekkingtouristen sollten sich auch immer die Küchen anschauen, wenn sie etwas über ein Land erfahren wollen. Die Berge bleiben ja trotzdem schön.