Experte über hohe Lebensmittelpreise: "Nur die Leute füttern bringt nichts"

Hohe Lebensmittelpreise als Chance: Die Bauern werden nur genug produzieren, wenn es sich lohnt, sagt Hans-Joachim Preuß von der Welthungerhilfe.

Auf den Phillippinen erhalten arme Bauern Gutscheine, von denen sie sich eine Reisration abholen können. Bild: dpa

taz: Herr Preuß, Landwirtschaftsminister Horst Seehofer hat einen Schuldigen für die Lebensmittelkrise ausgemacht: die großen Konzerne und Finanzanleger. Deswegen würden die Preise für Futtermittel in Zukunft um 600 Prozent steigen. Glauben Sie das auch?

Hans-Joachim Preuß: Ich weiß ja nicht, in welchen Zeiträumen Herr Seehofer denkt - aber als Agrarökonom halte ich solche Preissprünge mittelfristig für unwahrscheinlich.

Immerhin sind die Preise für Agrarrohstoffe in den letzten drei Jahren um 83 Prozent gestiegen …

… und damit geht der Trend in die richtige Richtung! Billige Lebensmittel sind Gift für die Landwirtschaft in Entwicklungs- und Industrieländern. Nahrungsmittel werden nur produziert, wenn es sich für die Bauern auch lohnt.

Aber was ist mit den Ärmsten, die sich teure Lebensmittel nicht leisten können?

Es ist jedenfalls nicht sinnvoll, Nahrungsmittel verbilligt abzugeben. Denn dann werden die lokalen Kleinbauern nicht mehr für den Markt produzieren, weil sie gegen diese Billigkonkurrenz nicht ankommen. Wir erleben das gerade in Haiti: Dort hat die Welthungerhilfe mit anderen Partnern mit zwei Millionen Euro 3.000 Kleinbauernfamilien gefördert, die Reis und Gemüse anbauen. Die Bauern können ihre Produkte aber nicht mehr absetzen, wenn jetzt plötzlich von der Regierung in Haiti verbilligter Reis abgegeben wird.

Sind Sie also gegen Nahrungsmittelhilfe?

Nein. Bei Katastrophen oder Bürgerkriegen ist sie sinnvoll. Aber von diesen Notlagen ist höchstens ein Sechstel der 850 Millionen hungernden Menschen betroffen. Alle anderen leben in Gebieten mit strukturellem Nahrungsmitteldefizit oder einer Konzentration von Grundbesitz.

Und was soll dort geschehen?

Man muss Kaufkraft schaffen, damit Arme die normalen Preise zahlen können - also Beschäftigungsprogramme auflegen. Es gibt genug zu tun, um langfristig die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen: Terrassen anlegen, Sümpfe trockenlegen, Bewässerungssysteme, kleine Rückhaltebecken und Straßen zu den Märkten bauen. Nur die Leute füttern bringt nichts.

Wer soll das finanzieren?

Vor 25 Jahren wurden noch 17 Prozent der OECD-Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft aufgewandt - 2002 waren es nur noch 3,7 Prozent. Die wichtigste Lebensgrundlage der Menschen in den Entwicklungsländern wurde vernachlässigt.

Weil der Westen dort lieber seine eigenen Agrarprodukte loswerden wollte?

Zum Teil. Aber auch die Eliten in den Entwicklungsländern haben sich für Agrarförderung nicht interessiert. Die Menschen auf dem Lande protestieren meist nicht. Die Herrschenden müssen vor allem die Bewohner ihrer Hauptstädte ruhigstellen, um an der Macht zu bleiben. Deswegen haben sie sich stärker auf die Slums konzentriert.

Viele propagieren nun die Gentechnik, um weltweit die Erträge zu steigern.

Weitaus effektiver wäre es, konventionelle Methoden wie bereits entwickelte Sorten und verbesserte Bewässerungssysteme zu nutzen. Die "grüne Revolution" ist ja bisher an Afrika weitgehend vorbeigegangen.

Aber lassen sich die Erträge wirklich so steigern, dass alle Menschen satt werden?

Im Jahr 2050 dürften neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Sie alle nach westlichem Standard zu ernähren, wird nicht möglich sein. Zum Teil wird sich das über den Preis regeln: Fleisch wird deutlich teurer werden. Viele Zivilisationsbeschwerden entstehen jedoch erst durch übertriebenen Fleischkonsum. Eine Reduktion ist daher kein Verzicht, sondern ein Gewinn für unsere Gesundheit.

Interview: Ulrike Herrmann

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