Kein Fest, kein Bier

Am Freitag wird erstmals weltweit der Welt-Malaria-Tag begangen. Er soll Regierungen und Spender für den UN-Plan sensibilisieren, dass bis 2010 80 Prozent aller Malariakranken behandelt werden sowie 80 Prozent aller bedrohten Menschen geschützt sind. Malaria, von Stechmücken übertragen, tötet jedes Jahr 3 Millionen Menschen. Zur effektiven Prävention gehören imprägnierte Moskitonetze und das Trockenlegen stehender Gewässer.

„Mach die Mücke, Malaria“ ist das Motto eines Aktionstags, den das Deutsche Rote Kreuz und die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung am Freitagmittag auf dem Potsdamer Platz in Berlin organisieren. Unterstützt wird das Projekt vom Bundesentwicklungsministerium. Dort wird auch Geld für ein Projekt in der Demokratischen Republik Kongo gesammelt.

AUS KINDU PHILIPP MAUSSHARDT

Waren es jetzt 38 oder 44 Prozent? Joachim Oelssner schaut lieber noch mal in seinem Laptop nach, der auf dem Schreibtisch seines kleinen Büros in Kinshasa steht. Immer diese Zahlen. Sie purzeln so leicht durcheinander. „Also, wir haben einen Rückgang bei den Malariazahlen im Dezember von 44 Prozent, bei den Kleinkindern von 33 Prozent“, sagt er und hebt seinen markanten Kopf mit den kurzen grauen Haaren und der roten Designerbrille wieder. Oelssner ist der Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes in der Demokratischen Republik Kongo, einem Land, fünfmal so groß wie Frankreich. Er zeigt auf eine Karte: „Da liegt Kindu.“ Ein weißer Punkt am Mittellauf des Kongoflusses. Hier etwa, in der Mitte des Landes, bekämpft die Malaria. Die Seuche verursacht im Kongo die meisten Todesfälle, mehr als Aids und Bürgerkrieg. Das Projekt ist bald abgeschlossen, nun muss Oelssner seinem Verband in Bonn Bericht erstatten.

„Wir töten die Malaria“

Eine, vielleicht auch drei Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Malaria. So genau weiß man das nicht, weil die meisten Toten in den entlegenen Regionen dieser Welt ohne Totenschein und ohne Untersuchung der genauen Todesursache schnell begraben werden. Drei Millionen, das ist die Bevölkerung Berlins. Im Kongo stirbt nach Regierungsschätzungen eine halbe Million im Jahr, ein Drittel davon Kinder. „Rund die Hälfte aller Todesursachen bei Kindern geht auf Malaria zurück“, erklärt Oelssner. Vor allem in den unzugänglichen Regenwäldern des Kongobeckens sterben Kinder und schwangere Frauen „wie die Fliegen“.

Oelssner hat nicht so viel Geld, genau gezählt hat er nur 54.000 Euro, um das Projekt Nummer 217740 in der geplanten Zeit von sechs Monaten abzuschließen. Er hatte sich die Stadt Kindu dafür ausgesucht, weil Kindu so vergessen ist, dass sich bislang nur hin und wieder eine Hilfsorganisation in die entlegene Provinzhauptstadt im Innern des Kongo verirrt hat. Auf Straßen nicht zu erreichen und nur über den Kongofluss und eine marode Eisenbahnlinie mit der Außenwelt verbunden, auf der gerade mal alle sechs Wochen eine altersschwache Diesellok die Stadt erreicht, leben die Menschen in Kindu wie Inselbewohner. Immerhin gibt es einen kleinen Flughafen in der Nähe, dort will Oelssner landen, wenn er morgen aus Kinshasa nach Kindu in die Provinz Maniema aufbricht, um den Abschlussbericht seines Malariaprojektes vorzubereiten.

Zu Beginn des Projekts war der 59-jährige Sachse schon einmal nach Kindu geflogen. Traf sich mit Vertretern des lokalen Roten Kreuzes und erklärte ihnen, warum er für die 221.000 Bewohner der Stadt nur 8.700 Moskitonetze zu Verfügung stellen kann: „Es ist eben so wie bei Ihnen“, hatte er erklärt, „man kann nur das ausgeben, was man hat. Und mehr haben wir eben nicht zu Verfügung.“

Ein Satz, den Oelssner seither noch viele Male wiederholen musste. Außerdem, das hat er gesagt, könne man die Malaria am besten dadurch bekämpfen, dass man die Umgebung der Hütten von Gras und niedrigen Pflanzen säubert und die Pfützen austrocknet. „Und das kann jeder selbst tun.“ Der Präsident des kongolesischen Roten Kreuzes in der Provinz und die vielen freiwilligen Helfer waren ein wenig enttäuscht, haben aber genickt und sich gesagt: Besser wenig als gar nichts. Sie haben geklatscht und sogar eine Hymne erfunden: „Wir danken dir, Deutsches Rotes Kreuz, und wir danken dir, Joachim Oelssner. Wir trocknen die Pfützen aus, wir schneiden das Gras, wir töten die Fliegen, wir töten die Malaria.“

Oelssner kennt sich aus in Afrika: In den 80er-Jahren, als sich noch in jedem Land zwei deutsche Botschaften gegenseitig belauschten und belauerten, saß er als junger Referent für Wirtschaftsfragen in der DDR-Botschaft in Kinshasa und schrieb Berichte nach Berlin. Als Afrikanist und Ökonom und zumindest nach außen treuer DDR-Staatsbürger durfte er als einer von wenigen ins Ausland reisen. „Eine verrückte Zeit“, nennt Oelssner heute die damalige Aufteilung in West und Ost. In Kinshasa regierte damals Mobutu Sese Seko und spielte die Blöcke fleißig gegeneinander aus.

Oelssner wird nicht gern auf diese Jahre angesprochen. Er ist froh, dass er nach seiner Entlassung aus dem diplomatischen Dienst der DDR wieder eine Stelle gefunden hat, in der seine Kenntnisse gefragt sind – ein solcher Experte für eine Delegiertenstelle im Ausland ist für das Rote Kreuz eher selten zu finden. Oelssner hat für die Hilfsorganisation schon Projekte in Ruanda, Uganda und Burundi begleitet. Demnächst soll er versetzt werden. Doch vorher muss das Projekt Nummer 217740 noch abgeschlossen werden.

Das Flugzeug der kongolesischen Fluggesellschaft „Companie d’Aviation Africain“, die Oelssner von Kinshasa nach Kindu bringen soll, hat schon etwas Patina angesetzt. Aber Oelssner kennt die altersschwachen Maschinen, die im Kongo so lange fliegen, bis sie vom Himmel fallen. „Besser nicht dran denken“, sagt er, holt seinen Laptop aus der Tasche und rechnet noch mal nach: 2.500 Euro haben die Hacken zum Unkrautjäten gekostet, die das Rote Kreuz verteilen ließ, 9.000 Euro die Moskitonetze. Ein Motorrad für den Projektleiter in Kindu hat er gekauft, Schulungsmaterial für die Bürger von Kindu bezahlt, den Rest haben Reise- und Bürokosten aufgefressen. Nun ist sein Budget aufgebraucht. Wenn alles abgeschlossen ist, wird er seinen Bericht schreiben. Auch der kongolesische Projektkoordinator, der vor Ort die Maßnahmen kontrolliert hat, wird sich einen neuen Job suchen müssen.

Was das wieder kostet!

Vor dem maroden Flughafengebäude von Kindu hat sich ein merkwürdiger Fuhrpark versammelt. Zehn chinesische Mopeds und zwei älteren Toyota-Jeeps sind ordentlich hintereinander aufgestellt, um den Gast aus Deutschland zu empfangen. Oelssner erschrickt, als er die einzelnen Fahrzeuge auf dem Weg ins Stadtzentrum zählt: Das vorderste Moped trägt die Rotkreuzfahne, dann folgt der Tross, der hupend und mit aufgedrehten Autoradios die Hühner am Wegesrand verscheucht. Autos kommen einem in Kindu äußerst selten entgegen, es gibt so gut wie keine.

„Zehn Mopeds!“ Oelssner rutscht unruhig auf dem Beifahrersitz hin und her, „was das wieder kosten wird!“ Dann wartet auch schon der Gouverneur in einem noch aus der belgischen Kolonialzeit übrig gebliebenen halb verfallenen Gebäude.

Didier Manara, Provinzgouverneur, empfängt die Gäste an seinem Schreibtisch. Er ist von Beruf Mediziner, er weiß, wie schlimm die Malaria hier wütet. Darum wütet auch er. „Sie haben uns bei Ihrem letzten Besuch gesagt, wir sollen das Gras um die Wohnhäuser herum abschneiden“, beginnt der dicke Gouverneur seine Rede. „Diesen Rat haben leider nicht alle befolgt.“ Deshalb habe er in den vergangenen Monaten mehr als 800 Bewohner der Provinz verhaften und ins Gefängnis sperren lassen – zur Abschreckung.

Oelssner wird blass und atmet tief durch. So hatte er das doch nicht gemeint. Aber den Gouverneur öffentlich zu kritisieren wäre unhöflich, und so belässt er es bei einem „Danke für Ihre große Unterstützung“.

Wenig später schlängelt sich die Mopedkolonne über staubige Straßen vom Gouverneurssitz hinunter zum kleinen Verwaltungsgebäude des kongolesischen Roten Kreuzes. Aus der ganzen Provinz sind Freiwillige angereist, sie haben sich Rotkreuzflaggen über die T-Shirts gezogen, singen, kaum ist Oelssner ausgestiegen: „Hakuma imba, hakuma Malaria – keine Fliege, keine Malaria.“ Drei Tage will Oelssner in Kindu bleiben. Um sich zu verabschieden und um abzurechnen. Drei Tage – und bevor er abreist, wird er ein Fest geben für alle Freiwilligen, die geholfen haben, die Fliegen zu bekämpfen. Da sind sich die kongolesischen Rotkreuzhelfer sicher.

Doch vorher wollen sie dem Deutschen zeigen, dass die Entscheidung für Kindu eine gute und richtige Entscheidung war. Sie geleiten ihn mit ihrer Motorrad-Eskorte durch die Stadt, als wäre er ein Staatsgast. Vor der kleinen Krankenstation haben sie sich mit ihren Rotkreuzfahnen aufgestellt und singen wieder, als „Monsieur Joakim“ aus dem Jeep steigt. Ein paar Frauen stehen am Rand und schauen mürrisch der Inszenierung zu. „Wir wohnen im falschen Stadtteil“, sagt eine von ihnen, „wir haben keine Netze bekommen. Das ist ungerecht.“

Auf dem Weg von der Krankenstation hält der Konvoi an einem besonders großen Schlagloch an. Am Vortag hat ein Lastwagen alte Ziegelsteine daneben abgekippt, und nun, als Oelssners Wagen hält, werfen Frauen in Rotkreuz-T-Shirts die Steine in das schlammige Loch und singen: „Wir schneiden das Gras, wir füllen die Löcher, wir töten die Fliege.“ Oelssner mag solche Inszenierungen nicht, lächelt aber und zählt dabei heimlich den Tross seiner Begleiter, denen er zur Mittagspause gleich Cola und Bier ausgeben muss. „Das Bier kommt nur einmal alle sechs Wochen mit dem Zug hier an. Für zwei Flaschen bekommt man ein Moskitonetz. Die glauben, ich hätte einen Geldscheißer.“

Oelssner wird sauer

Oelssner rechnet: zehn Motorräder à 25 Euro am Tag, zwei Jeeps à 100 Euro: Macht 450 Euro pro Tag, mal drei Tage ist gleich 1.350 Euro. Hinzu kommen seine Flug- und Übernachtungskosten sowie die „Gebühren“ für den Gouverneur. Mit jedem neuen Eintrag in Oelssners Abrechnungsliste sinkt der Betrag, der ihm noch für den Kauf von Moskitonetzen übrig bleibt. In Oelssner steigt die Wut empor.

Am Tag vor der Abreise hat er genug. Oelssner wird sauer. Der Rotkreuzpräsident von Maniema hat ihm gerade eröffnet, dass das Essen und die Getränke für das große Abschiedsfest am Abend 500 Dollar gekostet haben. Es ist nicht die unerbittliche Sonne, die den Kopf von Oelssner erst hell- und dann dunkelrot verfärbt. „Es wird kein Fest geben!“, schreit der bis dahin ruhige Delegationsleiter des Deutschen Roten Kreuzes. „Wir sind kein Partyservice, wir sind gekommen, um die Malaria zu bekämpfen!“

Der kleine Rotkreuzpräsident der Provinz ist auf diesen Anfall nicht vorbereitet. Das Lächeln weicht aus seinem Gesicht und macht einer unendlich traurigen Miene Platz. Was soll er den vielen Helfern, die aus der ganzen Provinz, manche mehrere Tagesreisen entfernt, extra hergekommen sind, denn nun sagen? Kein Fest? Kein Bier? „Genau“, sagt Oelssner: „Kein Fest, kein Bier.“

Diesen letzten Tag hätte sich Oelssner sparen können. Niemand singt mehr, die Motorradfahrer sind verschwunden, der Präsident schweigt und schaut traurig. Mürrisch begleitet er seinen Gast zum Flughafen. Es klingt gar nicht einladend, als er ihn verabschiedet: „Kommen Sie wieder!“