Zu teuer und zu riskant: Industrie will kein AKW in Türkei

Das Land hat nur ein Angebot für den Bau eines Kraftwerks bekommen. Den Firmen waren die finanziellen Bedingungen für das Projekt in einem Erdbebengebiet zu schlecht.

Greenpeace mag keine AKW, auch auf türkisch. Bild: dpa

ISTANBUL taz Mit dem Bau von Atomkraftwerken hat die Türkei kein Glück. Auch der - seit den 70er-Jahren - vierte Anlauf, durch Atomkraft Strom zu erzeugen, scheint bereits in den Ansätzen steckenzubleiben. Als vor wenigen Tagen die Vorsitzenden der Atomenergiebehörde die Umschläge der Bewerber für den Bau eines AKW öffneten, machten sie lange Gesichter. "Thank you, but we are no more interested", stand in fünf von sechs eingegangenen Umschlägen. Lediglich eine russische Staatsfirma, die gerade das AKW Buschehr im Iran zu Ende gebaut hat, reichte einen konkreten Kostenvoranschlag ein. Damit waren nach einem monatelangen Bieterverfahren von ursprünglich weltweit zwölf Industriekonsortien, unter ihnen auch die deutsche RWE, lediglich die Russen übrig geblieben. Und das, so höhnten diverse Medien, wo das AKW doch gerade dazu dienen soll, die Abhängigkeit der Türkei von russischem Erdgas zu verringern.

Zwar ist damit das offizielle Aus noch nicht besiegelt, doch es sieht schlecht aus für die weiteren Atomambitionen. Ursache dafür sind weniger Proteste aus der Bevölkerung als vielmehr die Gesetze des Kapitalismus. Zwar hat es auch Proteste gegeben, vor allem Greenpeace hat einige erfolgreiche Aktionen organisiert, doch das hat die türkische Regierung wenig beeindruckt. Ausschlaggebend waren letztlich die von der Regierung vorgegebenen ungünstigen Rahmenbedingungen, die weltweite Finanzkrise und der Umstand, dass die Regierung großzügig darüber hinweg sah, dass das geplante AKW in Akkuyu nur wenige Kilometer von einer aktiven Erdbebenspalte entfernt liegt.

Viele ausländische Investoren hatten sich offenbar daran gestört, dass der Staat ihnen für den 10 Milliarden teuren Bau nur für 15 Jahre garantiert Strom abnehmen wollte, es müssten eigentlich 30 Jahre sein, damit die Investition sich lohnt, hieß es - besonders seit die weltweite Finanzkrise alle Kredite zusätzlich verteuert. Dass die Regierung trotz der Erdbebengefahr an Akkuyu festhalten will, ist ebenfalls schwer vermittelbar. Der Bauplatz war bereits Anfang der 1990er-Jahre ausgesucht und evaluiert worden, mit dem Erdbeben von 1999 hatte sich der Bau dann aber bereits einmal erledigt. Akkuyu als Bauplatz aufzugeben erschien der Regierung aber zu zeitaufwendig. Bis für einen anderen Platz - vorgesehen ist ein Standort in Sinop am Schwarzen Meer - alle Voraussetzungen für einen Baubeginn geschaffen sind, würden nach Einschätzung von Greenpeace noch Jahre vergehen.

Mit der überhasteten Ausschreibung hat die Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan sich jetzt allerdings wohl selbst ein Bein gestellt. Experten wie Nuri Ersoy von der Bosporus-Universität oder Mustafa Kibaroglu von der Ankara-Bilkent-Uni gehen denn auch davon aus, dass für die Eile weniger energie- als vielmehr außenpolitische Gründe ausschlaggebend waren. Das Stichwort ist Iran, sagt Mustafa Kibaroglu. Baut Iran eine Bombe, muss die Türkei in der Lage sein, dem ein eigenes Programm entgegenzusetzen. Ersoy verweist denn auch darauf, dass die Türkei nicht nur den Bau eines AKW plant, sondern den gesamten Urankreislauf zur Herstellung von Brennstäben realisieren will. Ginge es nur um Energie, hätte die Türkei in der Tat weit bessere Möglichkeiten. Der Sprecher des Berufsverbandes der Elektroingenieure, Necati Ipek, rechnete erst kürzlich vor, dass die Türkei ein Windenergiepotenzial von 48.000 Megawatt hat, wovon erst 250 Megawatt genutzt würden. Dazu kommen bislang kaum genutzte Sonnenenergie und der mögliche Ausbau von Wasserkraftwerken.

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