Kleinstkraftwerk von VW und Lichtblick: Das Volkskraftwerk

Lichtblick und VW wollen den Energiemarkt umkrempeln. Mit ihrer Idee könnten 100.000 Wohnhäuser zu Kraftwerken werden. Was passiert wenn sich gegensätzliche Unternehmen zusammentun.

Einen Kooperationsvertrag unterzeichneten Werner Neubauer (r.) von VW und Christian Friege von Lichtblick. Bild: dpa

Der Ökostromanbieter Lichtblick will in den kommenden Jahren 100.000 gasbetriebene Kleinkraftwerke in deutschen Kellern installieren und damit eine Erzeugungskapazität aufbauen, die zwei Atomkraftwerken entspricht. Die Anlagen sollen von Volkswagen im Werk Salzgitter unter dem Namen "EcoBlue" produziert werden. Zur Vertragsunterzeichnung der beiden Unternehmen gestern sprach der Vorstandsvorsitzende von Lichtblick, Christian Friege, von einem "neuen Kapitel der intelligenten Energieversorgung".

Die Kleinkraftwerke - Blockheizkraftwerke genannt - basieren auf einem Erdgasmotor, der einen Generator antreibt und damit Strom erzeugt. Zugleich wird die Abwärme zum Heizen des Hauses genutzt. Auf diese Weise lassen sich nach Angaben von Lichtblick 94 Prozent der Energie, die im Brennstoff steckt, nutzen - teils als Strom, teils als Wärme. Die Anlagen, die Lichtblick als "ZuhauseKraftwerke" vermarktet, verfügen über eine elektrische Leistung von 20 Kilowatt.

Der Hamburger Stromanbieter wagt mit diesem Projekt einen spektakulären Schritt, der die Stromerzeugungsstrukturen in Deutschland erheblich verändern könnte. Denn bislang wurden solche Kleinkraftwerke immer wärmegeführt betrieben. Das heißt: Der Hauseigentümer schaltet seine privates Blockheizkraftwerk erst dann an, wenn er die Wärme benötigt. Den zugleich anfallenden Strom speist er ins Netz ein, unabhängig davon, zu welcher Tages- oder Nachtzeit das auch immer ist.

Lichtblick kommt nun von der anderen Seite. Der Stromanbieter wird die Anlagen zentral steuern und immer dann starten, wenn am Markt tatsächlich Strom benötigt wird - wenn also gerade wenig Wind bläst und der Verbrauch im Land hoch ist. Damit lässt sich das Kraftwerk betriebswirtschaftlich plötzlich ganz anders kalkulieren: Während die Einspeisevergütung für Privatbetreiber sich schlicht am mittleren Strompreis des Spotmarktes an der Börse orientiert, kann Lichtblick durch optimale Steuerung gezielt in Zeiten hoher Strompreise Energie ins Netz abgeben. Damit ist die erzeugte Kilowattstunde Strom einige Cent mehr wert.

Nun möchte aber der Hauseigentümer natürlich stets Wärme verfügbar haben, unabhängig davon, ob das Netz gerade Bedarf hat an dem erzeugten Strom. Dieses Dilemma löst Lichtblick damit, dass die Anlagen mit einem großen Wärmespeicher von 1.200 bis 1.600 Liter ausgestattet werden. So garantiert Lichtblick, dass dem Haushalt jederzeit ausreichend Wärme zur Verfügung steht - unabhängig davon, wann die Anlagen laufen.

Aus Sicht von Lichtblick ist dieses Projekt eine konsequente Reaktion auf die veränderten Marktbedingungen, die der Ausbau der erneuerbaren Energien geschaffen hat: "Unflexible Großkraftwerke vertragen sich auf Dauer nicht mit der schwankenden Stromerzeugung insbesondere aus Wind und Sonne", heißt es in einem Papier von Lichtblick. Ähnlich argumentierte gestern auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: "Die Zukunft liegt in der Kombination aus erneuerbaren Energien und flexiblen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen".

Bild: infotext/m. kluger

Lichtblick spricht von einem "Systemwiderspruch", der sich aus dem Ausbau der Öko-Energien und den heutigen Großkraftwerken ergebe. Denn ein Braunkohlekraftwerk benötige bis zu sieben Stunden, um angefahren zu werden, ein Atomkraftwerk sogar mehr als einen Tag. Die Schwankungen der erneuerbaren Energien sind aber häufig deutlich kurzfristiger. Kleinkraftwerke würden dem gerecht, weil mit ihnen das Äquivalent eines Großkraftwerkes binnen einer Minute bereitgestellt werden könne. Dieses Prinzip fasst Lichtblick auch in der Bezeichnung "Schwarmstrom" zusammen. Man müsse sich die Kleinkraftwerke wie einen Fischschwarm vorstellen, sagt Lichtblick-Chef Friege: "Viele kleine Einheiten bilden eine große, leistungsfähige Gemeinschaft."

Auch für Volkswagen ist die Kooperation mit dem größten deutschen unabhängigen Ökostromanbieter mehr als ein Imageprojekt. Denn das Unternehmen schafft sich damit ein neues - wenngleich aus Konzernsicht noch überschaubares - Standbein, das vom Automobilmarkt unabhängig ist. Das "nachhaltige Beschäftigungspotenzial" der Kooperation mit Lichtblick betrage am Standort Salzgitter 160 Mitarbeiter, sagte Andreas Blechner, Betriebsratsvorsitzender Volkswagen Salzgitter, gestern zur Vertragsunterzeichnung.

Interessant für den Autokonzern ist das neue Produkt, weil die Kraftwerke aus technologischer Sicht kaum von den Dieselmotoren der Marke "BlueMotion" abweichen, wie sie etwa in den Modellen Passat oder Touran eingesetzt werden. VW erschließt sich damit ohne große Investitionen einen gänzlich neuen Markt für seine Aggregate. Durch die Massenfertigung dürfte der Hamburger Ökostromanbieter, der sich weltweit die Exklusivlizenz bei VW gesichert hat, die Geräte zu sehr attraktiven Preisen bekommen.

Selbst bei den großen Stromkonzernen stößt das Projekt auf Wohlwollen. "Das ist ein guter, wichtiger Schritt", heißt es etwa bei Eon. Der Strommarkt werde dadurch berechenbarer, die starken Ausschläge des Strompreises an der Börse würden damit gekappt. Auch bei Vattenfall heißt es, man beobachte die Sache mit großem Interesse. Und ein Sprecher eines Stromkonzerns räumt sogar ein: "Das Projekt wird unsere eigenen Leute, die an ähnlichen Ideen arbeiten, auf Trab bringen".

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