Somalia in der Krise: Der blutige Untergang von Mogadischu

Somalias Hauptstadt versinkt in einem immer brutaleren Krieg zwischen Regierung und Islamisten. Hunderttausende Flüchtlinge stehen vor dem Nichts.

Vor dem Ruin: Flüchtlinge in Mogadischu Bild: reuters

NAIROBI taz Dort, wo die Wassertanker halten, stehen Kinder und Frauen mit gelben Kanistern in einer langen Reihe. Schon vor Sonnenaufgang, berichtet einer der Helfer dort, stellen sich die Flüchtlinge an. Ähnlich ist es bei den Lebensmittelausgaben. Wer es bis nach Afgooye schafft, nur gut 30 Kilometer von Somalias Hauptstadt Mogadischu entfernt, ist zwar den Kämpfen entronnen, doch von ihrem Besitz haben die wenigsten der 200.000 Flüchtlinge etwas retten können. Den meisten geht es wie Anab, einer Mutter von zehn Kindern, der vor einer Woche äthiopische Soldaten mit vorgehaltenen Gewehren befahlen, sofort ihr Haus zu räumen. Wo ihr Mann ist, weiß sie nicht - ihn hat sie auf der Flucht verloren.

Früher war Afgooye kaum mehr als der Schlagbaum an der aus dem Stadtzentrum Mogadischus führenden Straße in Richtung Flughafen. Inzwischen ist hier eine Großstadt aus Behelfshütten entstanden, bespannt mit Plastikplanen von Hilfsorganisationen. Doch auch Hütten gibt es nicht genug: Viele Familien schlafen unter Bäumen, selbst jetzt, wo die Regenzeit begonnen hat. Latrinen gibt es kaum, UN-Helfer warnen vor Cholera. "Fast alle Babys und älteren Menschen hier sind unterernährt, und jeden Tag kommen neue dazu", sagt Mohammed, der Säcke mit Mehl von der deutschen Diakonie-Katastrophenhilfe verteilt.

Mohammed ist nicht sein richtiger Name. Seit sich die Kämpfe um Mogadischu zu einem regelrechten Krieg ausgewachsen haben, traut sich kaum noch jemand in Somalia, seinen Mund aufzumachen. Die meisten Journalisten, die in Somalia schon immer gefährlich lebten, sind geflohen. Acht Reporter wurden seit Anfang des Jahres kaltblütig ermordet, teils von Untergrundkämpfern, teils von Regierungsanhängern. Von den gut zehn unabhängigen Radiostationen in Mogadischu sind die drei wichtigsten geschlossen, weil sie zu kritisch berichteten.

Knapp ein Jahr nachdem Truppen der somalischen Übergangsregierung an der Seite der äthiopischen Armee die ein halbes Jahr lang herrschenden Islamisten aus Mogadischu vertrieben haben, wird der Bürgerkrieg immer blutiger. Nach jüngsten Schätzungen des Elman-Zentrums für Frieden und Menschenrechte haben die Kämpfe 2007 bislang fast 6.000 Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Nahezu 8.000 wurden verwundet, mehr als 715.000 sind auf der Flucht.

"Wir stehen alle zwischen den Fronten", sagt Mohammed. "Die Truppen der Übergangsregierung sind Milizen der früher herrschenden Warlords: Sie plündern und töten jeden, der ihnen nicht passt - Intellektuelle, Journalisten, islamische Würdenträger." Die durchorganisierte und gut ausgerüstete äthiopische Armee, die 55.000 Soldaten in Somalia stationiert haben soll, sei keinen Deut besser. "Die äthiopischen Soldaten hier sind meist sehr jung: Wenn sie angegriffen werden, schießen sie auf jeden, der sich bewegt." Ihnen steht eine Allianz aus unzufriedenen Milizen vor allem des Hawiye-Clans und Anhängern der Islamisten gegenüber, die mit ferngezündeten Bomben und - neu für Somalia - Selbstmordattentaten Terror verbreiten.

"Das Leiden der Flüchtlinge ist die direkte Folge von schweren Kriegsverbrechen", warnt Steve Crawshaw von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Im November haben äthiopische Soldaten viele Massenexekutionen durchgeführt, und immer wieder verschwinden mutmaßliche Oppositionelle spurlos." Berichte wie diese erhöhen den Druck auf Somalias Präsident Abdullahi Yusuf, seine bisherige Hardlinerhaltung aufzugeben. Erstmals machte der vor einer Woche vom Parlament gewählte neue somalische Premier Hussein Hassan Nur, genannt Nur Adde, den Islamisten ein Gesprächsangebot.

Nur gilt vielen in Somalia als Hoffnungsträger, vor allem weil er nach der Flucht des Diktators Siad Barre 1991 im Ausland gelebt hat. Einen Namen machte sich der 70-Jährige als Direktor des somalischen Roten Halbmonds. Doch sein Gesprächsangebot ist vor allem eine symbolische Geste: Denn die in Eritrea lebenden Anführer der Islamisten haben schon mehrfach jede Verhandlung abgelehnt, solange die äthiopischen Truppen nicht abziehen.

UN-Sonderbeauftragter Ahmedou Ould Abdallah sagt: "Die Situation in Somalia ist die schlimmste in Afrika überhaupt." Fast wehmütig denkt er an die Zeit zurück, wo noch die Islamisten herrschten. "Das waren für Somalia geradezu goldene Jahre."

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