Brotaufstand im Nildelta: Herumtrampeln auf Mubarak

Hohe Lebensmittelpreise und niedrige Löhne haben Ägyptens Textilarbeiter auf die Straße getrieben. Die Regierung reagiert mit Gewalt. Islamisten empfehlen: beten statt streiken.

Verärgerte Menschen trampeln auf einem Mubarak-Plakat herum. Bild: rtr

KAIRO taz Die Szene in der Industriestadt Mahalla im Nildelta erinnert an den Sturz der Saddam-Statue in Bagdad vor fünf Jahren. Eine Gruppe von Jugendlichen reißt eine überdimensionale, beleuchtete Plakatwand mit dem Bild des ägyptischen Präsidenten nieder und trampelt in einem kollektiven Tanz auf Husni Mubaraks Gesicht herum. Kurz darauf stürmt eine Gruppe der ägyptischen Bereitschaftspolizei herbei. Die anschließende Straßenschlacht erinnert eher an Zustände im Gazastreifen. Die Jugendlichen werfen Steine in die Reihen der Polizei, die mit Schlagstöcken und Tränengas versucht, die Proteste unter Kontrolle zu bringen. Verletzte werden auf beiden Seiten weggetragen. Ein Zug wird mit Molotowcocktails attackiert, einige Läden gehen in Flammen auf. Ein 15-jähriger Junge wird von der Polizei erschossen, als er auf dem Balkon eines Wohnhauses steht. Und ein 45-jähriger Mann erliegt im Krankenhaus den Schusswunden, die er bei Beginn der Zusammenstöße am Montag erlitten hat.

Zwei Tage in Folge steht die Textilindustriestadt Mahalla Kubra im Nildelta, 120 nördlich von Kairo, Kopf. In Mahalla ist das ausgebrochen, was die Regierung in Kairo seit Monaten befürchtete, ein ökonomischer Aufstand. Der Kampf ums Brot ist eskaliert. Premierminister Ahmed Nasif ist deshalb mit einer hochrangigen Regierungsdelegation eigens nach Mahalla angereist. Er verspricht den 25.000 Arbeitern der örtlichen Textilfabrik eine Bonuszahlung von 30 Tageslöhnen und neue Investitionen in die veraltete Industrieanlage. Erst im Februar haben 10.000 Arbeiter der staatlichen Spinnereien und Webereien im Delta gegen die sprunghaft gestiegenen Lebensmittelpreise und die stagnierenden Niedriglöhne protestiert, indem sie auf die Straße gingen und Fladenbrote schwenkten. Die langen Schlangen vor den Bäckereien, in denen staatlich subventioniertes Brot verkauft wird, wurden zum Sinnbild für die verzweifelte Lage vieler ägyptischer Haushalte. Viele Bäcker verkauften das subventionierte Mehl gewinnbringend für den zehnfachen Preis auf dem freien Markt, anstatt damit Brot zu backen. Brot stellt in einem Land, in dem 40 Prozent der Menschen mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen müssen, die wichtigste Kalorienquelle dar. Die Folge waren Auseinandersetzungen vor den Bäckereien, denen bisher elf Menschen zum Opfer fielen. Fleisch hat sich in drei Jahren um ein Drittel verteuert und ist für die meisten Ägypter unbezahlbar geworden. Hühnerfleisch ist sogar um 146 Prozent teurer geworden, der Preis für Reis hat sich verdoppelt.

Ahmad Naggar vom Al-Ahram-Zentrum für strategische Studien macht eine beeindruckende Rechnung auf. Entsprach das gesamte durchschnittliche Monatsgehalt eines Universitätsabsolventen in den 70er-Jahren noch dem Gegenwert von 48 Kilo Fleisch, sind es heute nur noch 6 Kilo. "Die Lohnerhöhungen waren ein Witz, verglichen mit der Erhöhung der Preise von Grundnahrungsmitteln, und das hat Ägyptens Mittelklasse zerstört und treibt die Armen zur Verzweiflung", sagt er. "Bisher haben die Ägypter immer versucht, das Problem der Schere zwischen Löhnen und Lebensmittelpreisen individuell zu lösen, doch im letzten Jahr wurde ein Punkt erreicht, in dem sie nur noch in kollektiven Protesten und Streiks einen Ausweg finden", beschreibt Naggar die Lage. "Weil es keine ernstzunehmenden Gewerkschaften und Parteien gibt, kann diese neue Bewegung auch nicht kanalisiert werden, und das bedeutet, dass es eine chaotische und sehr gewalttätige Explosion geben kann", prophezeit Naggar.

Islamisten und Muslimbrüder, die sonst gerne an der Spitze von Protesten stehen, sind bei den Streiks außen vor. Die Muslimbruderschaft machte sich überdies unglaubwürdig, als sie nur einen Tag vor der Kommunalwahl am Dienstag zum Boykott aufrief, nachdem die Regierung unter zehntausenden Kandidaten nur 20 Muslimbrüder zugelassen hatte. Die religiöse Erklärung für die vornehme Zurückhaltung bei Streiks und Protesten lieferte der islamistische Prediger Jussuf al-Badri. Es gebe in der islamischen Geschichte kein Beispiel, dass Menschen die Arbeit verweigert hätten, um gegen Preissteigerungen zu protestieren, erklärte er. Sein Gegenvorschlag: "Hebt die Hände gen Himmel und betet zu Gott, dass er diese Krise lösen möge."

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