Frauen im Alter: "Es gibt keine alte Venus"

Die alternde Frau wird an Kriterien gemessen, die sie nicht erfüllen kann, sagt die Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer. Ein Interview.

Auf die Falten reduziert: Bei Frauen zählt vor allem ihr Äußeres. Und auch sie träumen von straffer Haut. Bild: dpa

taz.mag: Sind Sie bitter, Frau Schlaffer?

Hannelore Schlaffer: Bitter? Nein. Wieso?

In einer Rezension Ihres Buches übers Alter hieß es, dass Sie es in einem bitteren Moment geschrieben haben müssen.

Hannelore Schlaffer, Jahrgang 1939, war Professorin für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Freiburg und München. Sie lebt in Stuttgart und schreibt als freie Essayistin für Zeitungen und Radio. Ihr Buch "Das Alter. Ein Traum von Jugend" ist im Suhrkamp Verlag erschienen ebenso wie ihre jüngste Studie "Mode, Schule der Frauen". Frankfurt am Main, 168 Seiten, 14,80 Euro.

Das Buch habe ich in einer sehr entspannten, leicht ironischen Stimmung geschrieben. Ich wüsste nicht, warum es bitter sein sollte.

Sie schreiben dort, dass alternde Frauen heute frei sein können, dass sie das Recht haben, zu denken, zu schreiben - nicht aber zu lieben. Und dann enden Sie mit: "Es gibt keine alte Venus."

Erstens sagt sich das schön als letzter Satz, und zweitens stimmt es. Damit, dass sie meinen, das Alter behindere sie, sind Frauen seit Jahrtausenden belastet. Aber was Schicksal ist, macht einen nicht gleich bitter. Es ist nicht zu leugnen, dass Frauen auf ihre erotische Attraktivität hin angesehen werden, und dass die im Alter schwindet, ist natürlich ein gewisses Unglück.

Ist "das gewisse Unglück für die Frauen" nicht eher ein Disziplinierungsinstrument, mit dem sie von Jugend an bedroht werden?

Ich glaube, dass das im 19. und 20. Jahrhundert besonders schwerwiegend war, als Frauen bereits von familiären Pflichten weitgehend freigestellt waren, ohne nach außen hin berufstätig sein zu dürfen oder zu können. Sie wussten schlicht nicht mehr, was für eine Funktion ihr Alter haben sollte.

Und heute?

Eine jahrtausendealte Tradition ist so schnell nicht vergessen. Frauen sind nach wie vor auf ihr Äußeres hin orientiert. Das mögen viele bestreiten, aber wenn Sie die Tausenden sehen, die täglich zu H&M pilgern, stimmt diese Behauptung nicht. Während der Mann in seinem Anzug eine über die Jahrzehnte unberührte Skulptur ist. Vielleicht wird diese Epoche gerade revolutioniert. Aber bislang war es so, dass Männer vom Berufseintritt bis zum Lebensende das gleiche Kleid, den Herrenanzug trugen, während den Frauen gesagt wurde - und noch immer wird: Dies kannst du mit 25 tragen, nicht aber mit 45 und auf keinen Fall mit 55.

Jetzt erregt doch das Gegenteil Anstoß bei den Leuten - und den Feministinnen: Frauen, die mit Mitte vierzig das tragen, was auch ihre Töchter anhaben. Und sich so die eigene Alterswürde nähmen, so der Vorwurf.

Aber das ist es doch gerade: Es erregt Anstoß! Das heißt, man darf als Frau nicht jugendlich erscheinen, man muss das Alterskleid anziehen.

Wie haben Sie als junge Frau die älteren Frauen in Ihrer Umgebung wahrgenommen?

Ich habe sie gar nicht gesehen. Mein großes Vorbild war Sophia Loren; ältere Frauen begegneten mir in der Familie, das waren Tanten oder Freundinnen meiner Mutter. Und die wenigen Professorinnen, die damals an der Uni lehrten, waren irrelevant für mich.

Und wie begegnen die Jungen heute Ihnen, Professorin und Jahrgang 1939?

Eigentlich ist es ein Vergnügen, alt zu werden, vor allem als Lehrende - und wenn man nicht krank ist. Ich habe die Freude am Umgang mit Jüngeren, auch an deren Bewunderung. Und Frauen, die im Beruf stehen, die selber jüngere Angestellte haben, müssen doch wacher, präsenter bleiben im öffentlichen Leben, etwa indem sie Jüngere beraten, auch wenn sie schon abgetreten sind. Natürlich ist auch diese alte Frau keine Venus, aber es entsteht etwas, was früher ausschließlich Männer für sich in Anspruch genommen haben: Würde und Altersweisheit. Deshalb ist mir das Altersbuch auch leicht gefallen, weil ich mich eigentlich nicht betroffen fühlte. Ich schreibe den ganzen Tag und die Leute fragen mich nicht danach, wie alt ich bin.

Und wie reagieren die gleichaltrigen Männer?

Vor allem reagiere ich gelassener auf sie. Früher hat es mich viel stärker provoziert, wenn mein Mann die Antwort auf eine Frage bekam, die ich gestellt hatte. Ich finde Gespräche mit den meisten gleichaltrigen Männern nur mäßig ergiebig, weil sie nach wie vor eher Konversation mit mir als Frau betreiben, als ein sachliches Gespräch über Literatur und Kunst zu führen.

Das ist doch trostlos.

Ich denke, dass sich da bei nachfolgenden Generationen einiges getan hat. Für meine Generation ist es zumindest leicht mit den ganz jungen Männern.

Sie haben gesagt, wir leben möglicherweise in revolutionären Zeiten, was das weibliche Alter anbelangt. Gehören dazu die Kampagnen eines Seifenherstellers, der mit Aktfotos älterer Frauen wirbt?

Es gibt Modefotos des Fotografen Juergen Teller, der uralte Frauen in Dekolletés bis zum Nabel zeigt. Natürlich ist das einerseits die Suche nach dem noch nicht da gewesenen Motiv, die Wirkung ist aber eher abstoßend. Der weibliche Körper ist im allgemeinen Bewusstsein immer noch verbunden mit der Vorstellung von Jugendlichkeit und straffer Haut, und nun sehen Sie diese verknitterte Wesen. Sehen Sie irgendwo vergleichbare Fotos von verknitterten Männern? Das ist eine bösartige Ausstellung des Alters, obwohl sie sich nicht so gibt.

Sophia Loren hat sich gerade als 71-Jährige leicht bekleidet für den letzten Pirelli-Kalender fotografieren lassen.

Um so schlimmer. Das ist eine verzweifelte Flucht nach vorn.

Wäre etwas gewonnen, wenn es auch Aktbilder alternder Männer gäbe?

Die würden mir noch weniger gefallen. Wieso sollte man abstreiten, dass ein alternder Körper verfällt. Nicht alles, was organisch ist, verfällt schön, nicht einmal alle Blumen altern schön.

Was ist dann das Ziel: Eine neue Ästhetik fernab des jugendlichen Körpers oder der Abschied von körperlichen Kriterien im Alter?

Die Frauen müssten auch hier eine Gleichberechtigung erreichen. Man fragt ja auch bei einem achtzigjährigen Mann nicht, ob sein Körper alt ist oder nicht. Er kann ein eleganter Herr sein, ein großer Geist oder ein vertrottelter Opa. Der Körper wird durch den Geist gemacht und auf dieses Niveau müssten auch die Frauen kommen.

Wie kommen sie dorthin?

Indem sie einen Beruf ergreifen.

Das tun sie mittlerweile schon eine Weile.

Ja, aber nicht alle, und sie kommen nicht in die entsprechenden Positionen. In den Geisteswissenschaften bilden wir uns ein, die Frauen seien gleichberechtigt. Aber sie nehmen hier Berufe ein, die mehr oder weniger von Männern aufgegeben wurden. Frauen werden leicht zu den Abfallverwertern der Männer. Im 19. Jahrhundert war der Volksschullehrer eine hoch geachtete Figur, dann kamen die Frauen dazu und die Position wurde immer weiter entwertet. Jetzt erleben wir das Gleiche an der Universität: Wer vorne dran sein will, bemüht sich nicht um eine Unistelle, in den Naturwissenschaften noch weniger als in den Geisteswissenschaften.

Sie beklagen, dass das Modell alter Mann mit junger Frau klaglos akzeptiert wird. Zurück bliebe ein "Heer der einsamen, verlassenen, alternden Weiblichkeit". Dabei ist diese Kombination doch noch immer Praxis einer kleinen Gruppe von Fischers und Wagenbachs mit dem entsprechenden Sozialprestige.

Es ist natürlich die Oberschicht; die einfachen Beamten und Angestellten haben ihre Frau bis zum Lebensende. Aber die Oberschicht ist ein Stück weit Leitbild, das sich in der Gesellschaft durchsetzt. Und in dieser Gruppe ist es schon gang und gäbe, dass die ältere Frau irgendwann durch eine junge ausgewechselt wird.

Das weibliche Einverständnis mit diesem Modell haben Sie als Verfall des Reflexionsniveaus beklagt. Warum schweigen die Frauen?

Ich komme aus der Studentenbewegung, wo dieser Umgang mit Frauen Thema der Feministinnen war. Das heißt, nicht einmal eines der Feministinnen, sondern der Emanzen. Da fällt es mir schon auf, dass heute nie mehr eine Frau etwas gegen diese Verabschiedung der alten Ehefrau hat. Ich denke, dass die Jüngeren es verschweigen, weil sie es als Chance für sich nutzen wollen, und die anderen Frauen wollen ihre Geschlechtsgenossinnen nicht diffamieren.

Ihr Alterskonzept gilt für eine gut ausgebildete, finanziell abgesicherte Elite.

Sicher. Wobei mittlerweile eine ganze Unterhaltungsindustrie für Alte entstanden ist mit Gastuniversitäten und Fernreisen - und auch solchen, die ungemein billig sind. Die da nicht mitmachen können, gibt es auch im jungen Alter.

Kommt die Klippe nicht danach, wenn man nicht mehr unabhängig lebt und die Frage ist, ob man in der Seniorenresidenz betreut wird oder im Billigaltersheim verrottet?

Das ist dann auch die Frage der Männer. Und nicht mehr die des Alterns, sondern des Abtretens. Da wird keine Frau mehr danach fragen, ob sie attraktiv ist oder nicht.

MICHAEL RUTSCHKY, Jahrgang 1943, ist Publizist in Berlin. Sein letztes Buch "Wie wir Amerikaner wurden. Eine deutsche Entwicklungsgeschichte" ist bei Ullstein, Berlin erschienen. 204 Seiten, 20 Euro

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