Kämpfer und Chronistinnen

In Nigeria sorgt eine neue Generation von Schriftstellerinnen dafür, dass über Biafra endlich gesprochen wird – und zwar ohne falsches Heldentum

VON JUDITH LUIG

„Die Männer kämpfen, und die Frauen erfreuen sich daran, von ihren Heldentaten zu berichten“: So, sagt ein Igbo-Sprichwort, pflegten die Alten einander zu versichern – vermutlich am Dorffeuer, einander weise zunickend. Doch die Männer haben sich nicht an diese Arbeitsteilung gehalten: Nicht heroische Taten prägten den Krieg um und für Biafra, sondern Massaker, Morde und Vergewaltigungen. Und so konnten die Frauen auch nicht von Heldentaten schwärmen, sondern sie mussten von Elend, Flucht, Hunger und dem Tod von Hoffnungen und Menschen berichten.

Im Krieg um ein unabhängiges Biafra forderten Frauen von Anfang an ihren Platz. Sie begnügten sich nicht mit der Rolle der Chronistin und sie schwiegen auch nicht über die Rollen, die man Frauen in Kriegen zuweist: die der keuschen Geliebten, für deren Ehre man das Land verteidigt, oder die der Ware, deren man sich mit Gewalt bemächtigt, um den Gegner zu schwächen, oder die man Soldaten zur Belustigung anbietet.

„Die Frauen waren besonders engagiert, viel mehr als die Männer“, berichtet die Erzählerin in „Never Again“ (1975). In Flora Nwapas Roman kochen die Frauen, sie nähen Uniformen, aber sie organisieren auch Zusammenkünfte und feuern ihr Publikum mit wilden Reden zum Widerstand auf. Doch die Gleichberechtigung geht noch weiter: Frauen wie Männer, so wird in „Never Again“ deutlich, instrumentalisieren Menschen, sie nutzen den Kampf für ihre eigenen Zwecke.

Im nigerianischen Roman wird der Unabhängigkeitskampf des Staates mit einem Unabhängigkeitskampf der Frauen verknüpft. „Die Autorinnen“, so erklärt die südafrikanische Literaturwissenschaftlerin Marion Pape in „Frauen schreiben Krieg“ (2007), „stellen den Krieg als eine sexuelle Unordnung dar. Frauen treten hier als Opfer und als Täterinnen auf, sie sind Leidtragende, aber auch Verursacherinnen dieser Unordnung.“ Somit verändern sich in den Kriegsdarstellungen nicht nur die Machtverhältnisse zwischen Volk und Führern, sondern auch die zwischen Männern und Frauen.

Aber nigerianische Autorinnen, die über den Biafrakrieg schreiben, wurden im eigenen Land lange belächelt und im Ausland größtenteils ignoriert. Als „unverantwortliche Propaganda“ klassifiziert die Kritikerin Theodora Ezeigbo „Never Again“. Nwapa sei viel zu emotional und polemisch, sie missachte die „hübschen Möglichkeiten der Kunst“ und fixiere sich zu sehr auf ihre Botschaft. Tatsächlich ist „Never Again“ in einer kargen Sprache gehalten. Es fehlen eine gefällige Einleitung, eingängige Szenerien oder Landschaftsbeschreibungen, wie man sie aus europäischen Romanen über Afrika kennt. Ernest Emenyonu, einer der wichtigsten Kulturkritiker Nigerias, findet, der Roman „befriedigt die Gefühle, aber nicht den Intellekt“.

Männliche Autoren hingegen, allen voran der berühmte Chinua Achebe, sind weithin anerkannt. Bei Achebe finden sich die hübschen Frauen, die weiten Landschaften, das Büchsenfleisch und die Mittagshitze, die Kritiker bei Nwapa so vermissen. In seiner Kurzgeschichte „Girls at War“ (1972) begreift der Erzähler erst durch die Überzeugung der Frauen die Tragweite der Geschehnisse. Erst als die Mädchen sich wie Jungs verhalten, ist klar, dass die Revolution nicht mehr aufzuhalten ist.

Wir treffen Gladys, die Antagonistin der Geschichte, an einer Straßensperre. Den Erzähler ist beeindruckt von ihrer Entschlossenheit und Genauigkeit. Er beginnt an Biafra zu glauben. Später taucht Gladys wieder auf. Der Erzähler verliebt sich, fängt eine Affäre an und ist entsetzt, wie leicht sie sich hingibt. „Er hatte seinen Spaß, aber er schrieb die Sache ab. Er hätte ebenso gut mit einer Prostituierten schlafen können.“ Gladys wird zum Sinnbild: „Was für ein schreckliches Schicksal dieser Generation. Die Mütter von morgen!“

Die Erzählerin in „Never Again“ scheint sich der schwachen Position von Autorinnen bewusst zu sein. Sie zweifelt an den eigenen Möglichkeiten. „Ich hatte beschlossen, zu leben. Ich wollte leben, um meinen Freunden auf der anderen Seite erzählen zu können, was Krieg bedeutet. Ich wollte ihnen sagen, dass es nichts half, in Büchern darüber zu lesen. Sie würden es nicht verstehen. Ich verstand es.“

Von der Schwierigkeit, Biafra zu erzählen, handelt auch der jüngste Roman von Chimanda Ngozi Adichie. Zu jung, um selbst den Krieg miterlebt zu haben, gehört Adichie zu einer Generation, die Erinnerung mit hoher emotionaler Spannung wachhält. In „Half of a Yellow Sun“ (Die Hälfte der Sonne) ist Biafra eine Utopie, geboren in intellektuellen Kreisen wie dem des revoltierenden Mathematikprofessors Odenigbo, weitergetragen von seiner schönen Geliebten, der Tochter eines Geschäftsmanns der neuen nigerianischen Elite, vom Dorfjungen Ugwu, der von ihrem Hausboy zum Vertrauten wird, oder dem mit der eigenen Herkunft unzufriedenen Briten Richard. Für Adichies Protagonisten bedeutet Biafra Befreiung – intellektuelle Befreiung von der immer noch präsenten Übermacht kolonialer Ideologien, sexuelle Befreiung von einem System, in dem die Tradition den Ton bestimmt, materielle Befreiung von Hierarchien, die Menschen in Herren und Diener einteilen. Ein Sinnbild findet diese Idee von einer ganz neuen Welt vor allem in Richard, der sich nicht mehr als Engländer bezeichnet, sondern schon meint, Biafraner zu sein, bevor es den Staat überhaupt gibt.

Mit den Ideen, die zur Revolution der Igbo führten, tut sich Adichie allerdings schwer. Steif sind die Schulbuchkonversationen im Hause Odenigbos geführt: „ ‚Wir sollten eine panafrikanische Stellungnahme zu den Geschehnissen in Südamerika haben‘, sagte Professor Ezeka. Master unterbrach ihn: ‚Wissen Sie, Panafrikanismus ist vornehmlich eine Vorstellung der Europäer.‘ – ‚Vielleicht ist es ursprünglich europäisch‘, sagte Frau Adbebayo‚ aber im Grunde gehören wir alle zur selben Rasse.‘ “

Doch der intellektuelle Stellungskrieg verschwindet schnell unter all den Gefühlswirren, die die einsetzende Revolution auslöst. Das Scheitern einer Schilderung verschiedener Ideologien, die sich mit dem neu zu schaffenden Staat verbinden, passt merkwürdig gut zu dem sich bald abzeichnenden Scheitern der Sache, an der die Familie im Zentrum so verzweifelt festhält.

Je mehr Adichies Figuren ihren Klischees und ihren Visionen entwachsen, desto aufregender werden ihre Geschichten. Adichie ist da am besten, wo sie am meisten fühlt. So wie die Autorin selbst nur mittelbar, über ihre eigene Familiengeschichte, vom Leiden ihrer Liebsten erfuhr, thematisiert sie in ihrem Roman die Kluft zwischen der Schilderung des Grauens, die notwendigerweise abstrahiert und relativiert, und dem Erlebnis selbst.

Olanna, die die Leichen ihrer Tante und ihres Onkels finden muss, kann nicht ertragen, wenn Odenigbo zu ihr davon spricht. „Seinen Freunden gegenüber sprach er von einem ‚Massaker‘, bei ihr erwähnte er dieses Wort niemals. Das, was in Kano passiert war, war ein Massaker, aber das, was sie erlebt hatte, war eine Erfahrung.“

„Die Hälfte der Sonne“ scheint lange mit der Frage zu ringen, wem eine Geschichte gehört und wer sie erzählen darf. Adichies Roman ist ein Staffellauf: Im Wechsel übernehmen verschiedene Stimmen – so mischen sich männliche und weibliche Erzähler, Außenseiter und Täter, Soldaten und Zivilisten. In der Handlung selbst dagegen versagen immer wieder Stimmen. Richard, der anhand von Kunsthandwerk eine Geschichte über die Region schreiben will, wird es nie zu einem Text bringen. Schlimmer noch: Sein klägliches Manuskript wird von seiner elitären nigerianischen Freundin im Garten verbrannt. Olanna und Odenigbo sind irgendwann von Flucht und all den Toten so überwältigt, dass sie gar nicht mehr miteinander reden und sie sich in ihre Mutterrolle, er sich in die Kneipe flüchtet. Ugwu, über lange Strecken eine der wichtigsten Erzählerstimmen, spricht nur in der Erinnerung von seinen eigenen Kriegsverbrechen – der gemeinsamen Vergewaltigung eines Mädchens. Auch als der Krieg endlich verloren ist, fallen die Leidensberichte auffallend knapp aus. „Wie erging es dir im Krieg, mein Bruder?“, fragt Olanna einen ihrer Cousins. „Wir überlebten“, ist die Antwort.

JUDITH LUIG, Jahrgang 1974, ist Redakteurin im taz.mag