„Wohnzimmertaugliche Bilder“

THOMAS EINBERGER ist Mitbegründer der Fotografenagentur argum und arbeitet für die Christoffel-Blindenmission und die Deutsche Lepra und Tuberkulose Hilfe.

Seit zwanzig Jahren fotografiert Thomas Einberger für Hilfsorganisationen in Afrika. Der Markt verlangt zunehmend nach Fotos von lächelnden Kindern. Erwachsene verkaufen sich schlecht

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz.mag: Welches Ihrer Bilder ist am spendentauglichsten, Herr Einberger: Anne Will, umringt von afrikanischen Kindern, das winzige Kind mit Suppenteller, das schaukelnde Kind mit eingegipsten Beinen oder die Hand, die die Tablette weiterreicht?

Thomas Einberger: Das kann ich Ihnen nicht so genau sagen. Ich glaube, dass meine Fotografie nicht den Entwicklungen folgt, die derzeit auf dem Spendenmarkt stattfinden. Und ich denke, dass die Organisationen zurzeit nicht sicher sind, welchen Weg sie da beschreiten sollen. Nach den vielen Spenden der letzten Jahre im Zuge der vielen Naturkatastrophen stellt sich schlicht die Frage, wie man wieder auf einen ähnlich hohen Etat kommen könnte.

Die meisten Hilfsorganisationen scheinen nach wie vor auf Bilder hilfloser Kinder zu setzen.

Das mag daran liegen, dass bald Weihnachten ist und die Organisationen einen Großteil ihrer Spenden in dieser Jahreszeit einwerben. Andererseits haben es Kinder traditionell sehr schwer in Entwicklungshilfeländern und man versucht darüber, ihre Not zu vermitteln.

Kritiker sehen genau darin die Sünde der Personalisierung: Man zeigt kontextlos ein hilfloses Kind, nicht aber wirtschaftliche und politische Strategien – auch der Geberländer –, die für seine Situation verantwortlich sind.

Ich glaube, dass man personalisieren muss. Anders sind komplexe Zusammenhänge nicht darstellbar. Und ich finde, dass es eben auch Opfer dieser Zusammenhänge gibt, die man zeigen muss. Was nicht bedeutet, dass man da stehen bleiben muss.

Medico international verzichtet in seinem neuen Flyer auf Fotos. Stattdessen steht vorne ein Zitat von Herbert Marcuse aus seinem „Ende der Utopie“. Ist Medico dann selbst schuld, wenn mangels Personalisierung niemand spendet?

Was heißt „selber schuld“? Natürlich ist das ein Markt wie jeder andere auch. Die zahllosen Organisationen teilen sich einen Spendenkuchen, und jeder versucht da, sich abzuheben. Was Medico anbelangt, glaube ich, dass der Verzicht auf Bilder den Erfolg einer Kampagne durchaus mindern kann.

Was hat Sie vor über zwanzig Jahren dazu veranlasst, Fotos für Hilfsorganisationen zu machen?

Ich bin sehr gern gereist und arbeitete von Anfang an gern mit Menschen mit Behinderungen. Diese beiden Sachen habe ich verbunden. Ich fotografiere auch in Deutschland häufig benachteiligte Menschen für soziale Organisationen, und das mache ich im Grunde auch in Entwicklungshilfeländern.

Wie eng sind die Vorgaben der Hilfsorganisationen, wenn Sie für sie fotografieren?

Wenn Sie Vorgaben im Sinne einer Ansage wie „Bring die und die Bilder mit“ verstehen, dann gibt es sie bei meiner Arbeit nicht. Andererseits ist, wenn ich für Organisationen unterwegs bin, schon klar, dass ich ihre Projekten fotografiere. Das heißt, wenn ich für die Christoffel-Blindenmission oder die Deutsche Lepra und Tuberkulose Hilfe unterwegs bin, bleibe ich dort, wo sie arbeiten.

Wie stellen Sie sich dort vor?

Ich sage, wer ich bin und weshalb ich Fotos mache: um Geld zu sammeln für die Projekte dieser Organisation. So, wie es ist.

Gibt es Bilder, von denen Sie wissen: Damit muss ich den Hilfsorganisationen gar nicht erst kommen?

Die gibt es. Ich denke, dass sich die Spendenfotografie zunehmend zur Harmlosigkeit hin entwickelt. Früher war es eher möglich, harte, ehrliche Bilder zu zeigen, die wirklich ans Eingemachte gehen. Ich glaube, dass die Bilder heute wohnzimmertauglich sein müssen. Man versucht, lächelnde Kinder zu präsentieren. Aber selbst die Staroperationen, die die Christoffel-Blindenmission finanziert, werden nicht gezeigt.

Angesichts der massenhaften Verbreitung auf Mitleid spekulierender Kinderfotos sollte man doch annehmen, dass die Fotos immer drastischer werden müssen, um die Betrachter überhaupt noch zu erreichen.

Ich vermute, dass man Angst hat, die Leser zu erschrecken und damit einen Negativeffekt zu erzielen. Man will nicht das Elend in den Vordergrund stellen, sondern die Person.

Wo bleiben denn die Erwachsenen? Auch Anne Will ist auf Ihrem Bild nur von Kindern umringt.

Der Name Biafra erscheint auf europäischen Seefahrerlandkarten seit dem 17. Jahrhundert als Bezeichnung für die westafrikanischen Küstengebiete östlich des Nigerflusses. Ende des 19. Jahrhunderts übernahm Großbritannien die Kontrolle über das Gebiet. 1914 legte es seine verschiedenen Kolonialterritorien zusammen und bildete die Kolonie Nigeria, mit einer klaren Trennung zwischen dem mehrheitlich muslimischen und vom Haussa-Volk besiedelten Norden, dem von Igbo und kleineren Völkern besiedelten Südosten und dem von Yoruba besiedelten Südwesten um Lagos.

Spannungen zwischen den drei Landesteilen bestimmen die Geschichte Nigerias seit der Unabhängigkeit 1960. Das Land wurde in drei Regionen geteilt, von 1963 an mit einem Haussa als Premierminister und einem Igbo als Staatschef. Seit 1964 entluden sich immer häufiger blutige Unruhen, ethnische Milizen entstanden, die Armee begann, sich zu spalten. Im Januar 1966 kam es zu einem Putsch von Igbo-Militärs. Im Juli gab es einen Gegenputsch nordnigerianischer Militärs, woraufhin die Regionalregierung der Igbo im Südosten anfing, die Rückführung aller Igbo aus anderen Landesteilen zu organisieren, um sie vor Übergriffen zu schützen. Am 30. Mai 1967 erklärte sich die Südostregion als „Republik Biafra“ für unabhängig.

Nigerias Zentralregierung suchte die militärische Lösung und ging davon aus, sie könne Biafra innerhalb kürzester Zeit besetzen. Aber die Igbo-Militärs leisteten hartnäckigen Widerstand, mobilisierten das ganze Volk und harrten bis Januar 1970 in einem immer kleineren Gebiet aus. Nigeria siegte durch eine Strategie des Aushungerns. Bei der Kapitulation Biafras im Januar 1970 gab Nigerias Armeechef Olusegun Obasanjo die zynische Parole „Keine Sieger, keine Besiegten“ aus.

Der Krieg führte dazu, dass Nigerias Politik für die kommende Generation militarisiert wurde. Aber der Ölboom, der Nigeria seit den Siebzigern mit Milliardeneinnahmen überschüttete, ließ die Verwüstungen des Biafrakrieges ziemlich schnell vergessen machen. DJ

Bei mir ist es nicht so, dass sie bewusst ausgeblendet werden. Ich stelle auch keine Bilder, ich rufe höchstens mal, damit die Menschen in die Kamera gucken. Aber in der Auswahl der letztendlich gedruckten Bilder überwiegen natürlich die Kinder. Es gab übrigens auch Bilder von Anne Will in einem Leprakrankenhaus mit älteren Patienten. Aber die werden jetzt in der Vorweihnachtszeit nicht gezeigt.

Erwachsene tauchen in der neuen Kampagne der Welthungerhilfe auf, die die Agentur Scholz & Friends konzipiert auf. Lächelnde Menschen in wehenden Gewändern, die ein Feld pflügen. Sieht so die Zukunft der Spendenfotografie aus?

Vielleicht ein Teil. Wobei für den Betrachter nicht klar wird, ob es eine Fotomontage ist oder nicht. Die Bilder sehen so aus, als seien sie am Computer entstanden. Und sollte das der Fall sein, fände ich das äußerst problematisch.

Ihr Kollege Per-Anders Pettersson hat für den Stern die schwarze Oberschicht Südafrikas fotografiert. Würde es Sie auch reizen, einmal nicht Opfer zu fotografieren?

Natürlich. Aber das mache ich auch. Nicht für Entwicklungshilfeorganisationen, weil das dann keine Menschen sind, denen sie helfen müssen. Wobei die Hilfsorganisationen auch beginnen, in den Ländern, in denen sie arbeiten, Spenden einzuwerben.

Welches war die letzte Geschichte, die Sie nicht verkaufen konnten?

Das gibt es immer wieder welche. Die letzte war eine über Fischer im Mosambik. Mich haben diese Nussschalen fasziniert, in denen die Menschen zum Fischen hinausfahren. Die Schwierigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber bei den Magazinen ist es oft eine Frage der Tagesform, ob sie so etwas interessiert.

FRIEDERIKE GRÄFF, Jahrgang 1972, ist Redakteurin der taz nord