Herr Muñoz will endlich eine Antwort

Der UN-Sonderberichterstatter für Bildung ist zurück in Deutschland und verlangt Reaktionen auf seine Anregungen

STUTTGART taz ■ Er ist ein Gast, dessen Besuch viele deutsche Bildungspolitiker nicht freut: Vernor Muñoz Villalobos, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung. Knapp ein Jahr nachdem er seinen umstrittenen Bericht über die Ausgrenzung im deutschen Bildungssystem vorgelegt hat, ist der Costaricaner zurück in Deutschland – und will Antworten.

„Ich möchte eine Reaktion sehen auf meine Empfehlungen“, sagte Muñoz am Mittwoch auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart. „Eine offizielle Antwort habe ich bisher noch nicht bekommen.“

Muñoz hatte in seinem im März 2007 vorgelegten Bericht unverblümt die Probleme im deutschen Bildungssystem benannt: Kinder aus unteren sozialen Schichten, Einwandererkinder und behinderte Schüler würden diskriminiert, schrieb Muñoz in seinem 26-seitigen Papier. Er empfahl, das mehrgliedrige Schulsystem aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium zu überprüfen. Und die Sonderschulen, die mehr als 400.000 SchülerInnen mit Behinderungen, Lernstörungen und Verhaltensauffälligkeiten besuchen, wegen ihres ausgrenzenden Charakters gleich ganz aufzulösen. Zu seinen Ergebnissen war der costaricanische Rechtsprofessor und Pädagoge Muñoz unter anderem durch eine zehntägige Deutschlandreise im Februar 2006 gekommen, bei der er Schulen besuchte und mit Wissenschaftlern, Politikern, Eltern- und Lehrervertretern sprach.

Die Aufregung über den Muñoz-Bericht vor einem Jahr war groß. Die deutschen Bildungsminister wiesen die Kritik empört zurück. „Das deutsche Bildungssystem ist kein Fall für amnesty international“, sagte der damalige Kultusminister des Saarlands, Jürgen Schreier (CDU). Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau (CDU) sprach dem Costaricaner gleich ganz die Kompetenz ab, „über unser Schulsystem urteilen zu können“.

Solche Kritik lässt Muñoz kalt. Eine „Meinungsvielfalt“ über seine Ratschläge sei normal, sagte er am Mittwoch in Stuttgart – um zugleich seine Fundamentalkritik zu wiederholen. So monierte er die frühe Aufteilung der Schüler auf weiterführende Schulen nach der vierten Klasse, wie sie in den meisten Bundesländern nach wie vor üblich ist. „Die Bildungszukunft eines Schülers wird in Deutschland sehr früh festgelegt“, sagte Muñoz. „Diese Politik sollte überdacht werden.“ Zumal die Lehrer oft nicht über eine ausreichende Qualifikation verfügten, um eine so weit reichende Entscheidung zu fällen. Auch die soziale Schieflage des deutschen Bildungssystems stört Muñoz. Der extreme Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischem Erfolg in Deutschland „springt ins Auge“, sagt Muñoz. Kinder aus Migrantenfamilien seien an Gymnasien völlig unterrepräsentiert.

Muñoz will sich am heutigen Donnerstag nun mit hochrangigen Vertretern des Bildungsministeriums in Berlin treffen – und um Antworten bitten. „Ich wünsche, dass meine Empfehlungen auf fruchtbaren Boden fallen“, sagte Muñoz der taz.

Doch ob er in Berlin wirklich auf offene Ohren treffen wird, darf bezweifelt werden. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) warnte zur Eröffnung der didacta davor, das deutsche Schulsystem schlechtzureden. „Wir haben im Bildungswesen weniger eine Qualitätskrise als eine Vertrauenskrise“, sagte Schavan. WOLF SCHMIDT