Die hampelnde Frau

Nicki Pawlow schreibt präzise über die Treuhandzeit und dann auch noch eine Liebesgeschichte: „Die Frau in der Streichholzschachtel“

Den einen Strang dieses Romans haben wir schon einmal gelesen, oder wir haben ihn im Kino gesehen, nur eben mit einem umgekehrten Geschlechterverhältnis. Im Kino, bei Buñuel hieß das „Dieses obskure Objekt der Begierde“, und der Roman von Pierre Louys hatte im Original den Titel „La Femme et le Pantin“, also „Die Frau und der Hampelmann“. Bei Nicki Pawlow ist es eben umgekehrt, da haben wir einen Mann und eine … ja, was wäre die weibliche Entsprechung zu einem Hampelmann?

Wie jedenfalls in Louys’ Roman von 1898 Don Mateo bei Conchita sexuell nicht zum Zug kommt, so ergeht es bei Nicki Pawlow ihrer Heldin Franziska Kling mit dem Fernsehjournalisten Wolfgang Kiefer. Der hält sie ewig hin; er schwört ihr unzählige Male – meistens in einem griechischen Lokal am Ku’damm namens Mykonos –, dass er sie liebt, aber er vögelt sie nicht. Wolfgang Kiefer, Moderator einer Sendung mit dem Namen „Deutschlandjournal“, hinter dem man unschwer das legendäre „Kennzeichen D“ erkennen kann, ließe sich vornehm vielleicht als ein Mann mit Borderline-Symptomen beschreiben. Zutreffender ist es aber, in ihm eine Mischung aus Arschloch und Feigling zu sehen. Die Einzige, die das nicht begreift, ist Franziska Kling.

Denn die hat den guten Mann schon verehrt, als sie noch in der DDR lebte, aus der sie – wie ihre Schöpferin Nicki Pawlow – im Alter von 13 Jahren zusammen mit den Eltern geflohen ist. In der erzählten Zeit des Romans, 1990/91, arbeitet sie in der Pressestelle der Treuhand. Man darf auch hier vermuten, dass die Autorin teilweise autobiografisches Material verarbeitet: in diesem Fall durchaus zum Nutzen ihres Buches. Denn die Kapitel und Passagen, die sich mit diesem Komplex befassen, haben Tempo und Witz und verraten deutliche Insiderkenntnisse. (Es gibt unter anderem eine köstliche Szene mit Birgit Breuel auf der Damentoilette.) Am anrührendsten sind jedoch die Passagen, die sich den Erinnerungen an die Kindheit in der DDR oder der (Rest-)Schulzeit im Schwäbischen widmen. Wie im Lauf von 40 Jahren Deutsche-Ost und Deutsche-West entstanden sind, wird da in teils sehr präzisen Szenen unaufdringlich vorgeführt.

Der große Wenderoman, für den ja langsam die Zeit gekommen sein könnte, ist es aber nicht geworden. Genau genommen ist es überhaupt kein Roman geworden. Zum einen deshalb, weil das durchgängig als Erzählzeit gewählte Präsens und das oft künstlich forcierte Tempo nicht den langen Atem zulassen, den ein Roman nun einmal braucht, zumal einer über die Wende. Für das, was Nicki Pawlow in den Treuhandpassagen und der erinnerten Schulzeit anzubieten hat, gibt es inzwischen das schöne Wort Dokufiction. Wie das funktioniert, hat Klaus Modick in seinem letzten Roman „Bestseller“ höchst amüsant analysiert und vorgeführt. Nicki Pawlows Dokufiction ist streckenweise durchaus interessant und zuweilen auch gut lesbar, wobei besonders das Kapitel 19 glänzt, in dem sich auch die erwähnte Szene mit Frau Breuel findet.

Zum anderen aber ist die sogenannte Liebesgeschichte zwischen Franziska Kling und Wolfgang Kiefer mit den ewigen Treffen im Mykonos nicht nur inhaltlich ein Schmarrn, sondern da stürzt die Autorin auch sprachlich zuerst in die Soap-Opera und dann noch einen Stock tiefer in den Lore-Roman ab. Der Anstand verbietet es, an dieser Stelle ein Beispiel zu zitieren. Ich empfehle die Lektüre des Dialogs auf Seite 124 oder der Seiten 270 bis 272. Am Schluss, wenn alles noch symbolisch überhöht wird und die Berliner wahlweise Tränen weinen oder sich besaufen, weil ihre Stadt endlich wieder Hauptstadt geworden ist, ist es nur noch schwer erträglich.

Trotzdem möchte man nicht einfach mit erhobenem Zeigerfinger vor der Lektüre warnen. Denn Nicki Pawlow hat uns über die Atmosphäre im Berlin der unmittelbaren Wendejahre ebenso wie über die tiefe mentale Kluft zwischen Deutschen-Ost und Deutschen-West (ihre Protagonistin ist schließlich beides zugleich) einiges mitgeteilt. Schade, dass daraus nicht wirklich ein Roman geworden ist. JOCHEN SCHIMMANG

Nicki Pawlow: „Die Frau in der Streichholzschachtel“. Dittrich, Berlin 2007, 307 Seiten, 19,80 Euro