Die Autos der Dada-Frauen

Britta Jürgs ist vergessenen Autorinnen und Künstlerinnen der frühen Moderne auf der Spur. Mit der Veröffentlichung eines Romans von Victoria Wolff landete ihr Aviva-Verlag unlängst einen Coup

VON JÖRG SUNDERMEIER

Britta Jürgs lässt sich nicht von kleinen Widrigkeiten beirren – ist die Kaffeekanne ein wenig aus der Form, wird der Kaffee halt mit einer leichten Verrenkung der Hand eingegossen. Diese Szene kann durchaus als typisch für die Arbeitsweise der Verlegerin ansehen, deren Aviva-Verlag inzwischen zu einer Institution geworden ist.

Unter den Autoren der 32 Titel, die auf der Website des Verlags als lieferbar genannt werden, finden sich auffällig wenige Männer. Der Aviva-Verlag kümmert sich hauptsächlich um die Kunst und die Literatur von Frauen. Vor zehn Jahren erschien das erste Buch: Brigitte Lucianis „Die Marquise de Brinvilliers und das Erbschaftspulver“ wurde kein Erfolg, und der als Nachfolgetitel geplante Band wurde schließlich von der Autorin abgesagt. Dabei hatte „Die Marquise de Brinvilliers“ ein tolles Thema: „Was tut eine französische Adlige des 17. Jahrhunderts, die das Glückspiel und die großen Empfänge liebt, sich dazu noch einen kostspieligen Liebhaber hält und entdecken muss, dass sie sich diesen luxuriösen Lebensstil gar nicht leisten kann? Sie sucht nach einer Möglichkeit, vorzeitig an ihr Erbe zu kommen.“ Dieser wahre Fall einer „erfolgreichen“ Giftmörderin, deren schreckliches Tun zum Entsetzen der Behörden den Giftmord zum neuen Frauenhobby werden ließ, interessierte den Buchhandel nicht so, wie man es hätte erwarten dürfen.

Britta Jürgs macht weiter. Die studierte Literaturwissenschaftlerin sammelt ihre Erfahrungen peu à peu, zuvor hat sie lediglich für kurze Zeit in der Rechtsabteilung eines französischen Verlags gearbeitet. Und schon der zweite, beinahe zeitgleich erschienene Titel, die von Jürgs selbst herausgegebene Anthologie „Oh große Ränder an meiner Zukunft Hut!“ mit Porträts von Surrealistinnen, wird ein überraschender Verkaufserfolg. Die Sammlung begründet eine Reihe von weiteren Büchern mit Porträts von Dadaistinnen, Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit, Kunstsammlerinnen, Architektinnen und Designerinnen.

Das kleine Büro in Moabit, in dem der Verlag nach wie vor residiert, wird zum Verlagsbüro, die Nebentätigkeit als Kunstgutachterin rückt immer mehr in den Hintergrund. Sie lernt zu setzen und gestaltet die Cover ihrer Bücher selbst, daneben lektoriert sie und beginnt ihr Programm aufzubauen. Künstlerinnenbücher wie Claudia Reinhards wunderbarer Band „killing me softly“ erscheinen, ein Band über Aktmalereien von Frauen, ein Band über Künstlerinnen in der zweiten Lebenshälfte.

Schon in der zweiten Saison startet der Verlag eine weitere Reihe mit dem Roman „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ von Alice Berend. Jürgs hatte den Roman in einem Antiquariat gefunden, begeistert verschlungen und daraufhin versucht, die Erben ausfindig zu machen. „Es ist ja so“, sagt sie, „dass trotz aller Neueditionen von Büchern, die die Nazis verboten haben, die Autorinnen meistens nicht wiederaufgelegt werden.“ Berend etwa, die 1938 in der Emigration verarmt starb, war vor 1933 eine Bestsellerautorin gewesen, einige ihrer Bücher wurden über 100.000-mal verkauft. „Babette Bomberling“ begründete eine Reihe für vergessene Autorinnen, in der weitere Berend-Romane erscheinen, darunter eine Komödie von Vicki Baum und die hochmodernen Romane von Ruth Landshoff-Yorck, einer Nichte des legendären Verlegers Samuel Fischer. Jürgs hat das Glück, bislang nie veröffentlichte Roman von Landshoff-Yorck auflegen zu können. Diese Bücher werden allesamt Erfolge. Jürgs bemerkt, dass Buchhändlerinnen, aber auch Buchhändler, sie gern an ihre Kunden empfehlen. Das bestärkt sie.

Der bislang bestverkaufte Titel des Verlags erscheint ebenfalls in dieser Reihe: „Das weiße Abendkleid“ von Victoria Wolff. Die 1903 geborene Wolff war 1933 ebenfalls zur Emigration gezwungen, sie lebte bis zu ihrem Tod 1992 in den USA und veröffentlichte vor und nach ihrer Ausreise zahlreiche Romane. Sie schrieb Reportagen und Drehbücher und war mit Tilla Durieux, Leonhard Frank, Erich Maria Remarque und Ignazio Silone befreundet. Doch als Jürgs das „Weiße Abendkleid“ im März veröffentlichte, war Victoria Wolff völlig vergessen. Dann aber gewann dieser Roman überraschend einen prominenten Fan: Elke Heidenreich lobte das Buch in ihrer Sendung „Lesen!“. Die erste und die zweite Auflage waren bald danach verkauft, und mehrere Großverlage stritten um die Taschenbuchrechte. Und selbst Buchhandelsketten, die Verlage wie diesen gemeinhin ignorieren, konnten nicht umhin, das Buch zu ordern, nachdem nun selbst die Feuilletons auf die Autorin aufmerksam geworden sind.

Der Aviva-Verlag ist seitdem auch jenen bekannt, die die Verlagslandschaft nicht so aufmerksam beobachten. Dabei hatte man schon zuvor viele Gelegenheiten, dem Namen Britta Jürgs zu begegnen. Denn Jürgs ist nicht nur Redakteurin der Halbjahresschrift „Virginia Frauenbuchkritik“, die im Christel Göttert Verlag erscheint, sondern bis zu diesem Jahr war sie auch die erste Vorsitzende des Vereins „Bücherfrauen“, der vor allem als Branchennetzwerk funktioniert.

Wie schafft sie das alles? Sie weiß es wohl selbst nicht. Im Verlag geht ihr inzwischen eine Volontärin zur Hand, durch den jüngsten Bucherfolg ist die nahe Zukunft erst einmal gesichert. Es ist ohnehin klar, dass Britta Jürgs gar nicht anders kann, als weiterzumachen. Es gibt noch viele vergessene Autorinnen wieder zu entdecken, viele Anthologien herauszugeben. Gerade ist ein Prachtband über „Künstlerinnen & Schriftstellerinnen & ihre Automobile“ erschienen, herausgegeben von der autoaffinen Verlegerin selbst. Eben veröffentlicht wurde auch der Roman „Der Umbruch oder Hanna und die Freiheit“ der – man ahnt es schon – bis dato vergessenen Alice Rühle-Gerstel. „In jedem Buch stecken ja schon wieder Ideen für fünf weitere Bücher drin“, lacht Britta Jürgs. Kein Zweifel, sie wird all diese Fäden verfolgen.