Bob Dylan und das Boxen: Kein Angst, andere hart zu erwischen

Dylans Werk ist ohne seine Liebe zum Boxen nicht zu verstehen. Doch ihn beschäftigen nicht die großen Symbolfiguren des Sports - sondern die Kämpfer, die schlicht ihren Job machen.

Kaum zu glauben: Dieser Mann haut sich im privaten Boxgym mit Quentin Tarantino. Bild: dpa

Bob Dylan ist Boxer. Erst vor wenigen Monaten war zu erfahren, dass er schon seit Jahren in Los Angeles ein nichtöffentliches Boxgym betreibt, in dem sich nicht nur er selbst, sondern auch Schauspieler wie Will Smith fit halten. Dort traf sich Dylan mit dem Regisseur Quentin Tarantino zum Kampf. "Wir machten ein bisschen Sparring", berichtete der Verlierer Tarantino hinterher, "und als ich mal unaufmerksam war, kam er durch. Ich glaube, es war ein rechter Jab. Für einen Moment ließ ich meine Deckung unten, und er schlug ein. Es war ein guter Punch."

Bob Dylan ist also Boxer. Zu zeigen ist nun, dass ohne den Bezug zum Boxen Dylans Werk nicht zu verstehen ist. Drei Songs beziehen sich unmittelbar auf das Profiboxen, es sind: "I Shall Be Free No. 10", "Who killed Davey Moore?" und "Hurricane". Außerdem coverte Dylan auf seinem "Self Portrait"-Album noch "The Boxer" von Simon & Garfunkle.

"I Shall Be Free No. 10", Dylans erste Annäherung an das Profiboxen, findet sich auf dem Album "Another Side of Bob Dylan" aus dem Jahr 1964. Der junge Künstler Dylan fordert die Welt heraus, lies: den Weltmeister. Das ist seit diesem Jahr 1964 Muhammad Ali, der damals noch Cassius Clay hieß. "I was shadow-boxing earlier in the day / I figured I was ready for Cassius Clay", knattert Dylan. Die zwischen Harmonikapusten vorgetragenen Drohungen gegen den Boxer werden immer lächerlicher: "I said 'Fee, fie, fo, fum, / Cassius Clay, here I come / 26, 27, 28, 29, Im gonna make your face look just like mine / Five, four, three, two, one, Cassius Clay - you'd better run." Man kann aus dem Song auch Dylans Anspruch heraushören, einmal Champion of the World zu werden. Die Dylan-Biografen jedoch halten "I Shall Be Free No.10" mehrheitlich für "schrulligen Nonsens" (Robert Shelton) oder verschweigen ihn einfach wie sogar Paul Williams und Anthony Scaduto.

Das ist bei "Who killed Davey Moore?" anders. Erstmals wurde der Song über die Tragödie des Federgewichtsboxers bereits 18 Tage nach dessen Tod am 25. März 1963 bei einem Konzert in New York gespielt, offiziell auf Platte ist es aber erst auf den "Bootleg Series" aus dem Jahr 1991 zu hören. Dylan listet alle auf, die ein Interesse am Tod des Boxers hatten: der Ringrichter, die Wetter, der Manager, die Sportjournalisten - es ist ein großartiges Sittengemälde der Boxindustrie und damit der gesamten Gesellschaft, vergleichbar mit "Masters of War" oder "Maggies Farm".

In der Dylan-Rezeption freilich wird erstaunlicherweise nicht danach gefragt, warum sich Dylan ausgerechnet den Boxsport vornahm: "Wegen zu politischer Aussagen", gibt etwa Max Dax in der taz Gerüchte wieder, wollte die Plattenfirma CBS den Song nicht auf Dylans zweitem Album "The Freewheelin Bob Dylan" haben. Für den "am deutlichsten mit dem Sozialismus sympathisierenden" Song Dylans hält ihn Heinrich Detering in seiner jüngst erschienenen Dylan-Biografie.

Es ist der Boxhistoriker Jeffrey T. Sammons, der einen Zusammenhang zwischen dem aufsteigenden Cassius Clay/Muhammad Ali und dem toten Davey Moore herstellt: Als Moore starb, "waren es die Streiche und die boxerischen Fertigkeiten von Cassius Clay, die sowohl das Interesse der Gesellschaft als auch mein eigenes von dieser Tragödie ablenkten". Auch Boxfan Dylan veröffentlichte schließlich zunächst nur sein lustiges Stück über Clay/Ali, nicht aber seine Anklage gegen das Profiboxen.

Im Jahr 1970 präsentierte Dylan sich seiner Gemeinde zum dritten Mal als einer, dem Boxen etwas bedeutet. Ausgerechnet auf "Self Portrait" spielte er "The Boxer" von Paul Simon nach. In dem Song heißt es, dass man den Boxer bedrängt, "til he cried out in his anger and his shame / 'I am leaving, I am leaving.' / But the fighter still remains." Bei Fans und Kritikern kam "Self Portrait" nicht gut an, speziell seine Interpretation von "The Boxer" gehöre "zu den kuriosesten Einspielungen seines kompletten Plattenwerks", ja, es sei eigentlich ein "Gag", meint etwa Olaf Benzinger in seiner Dylan-Biografie.

Rubin "Hurricane" Carter

Das bislang letzte und berühmteste Boxerlied Dylans erschien 1975: "Hurricane" - der Song über den Mittelgewichtler Rubin Carter, der zu Unrecht wegen Mordes im Gefängnis saß. Carter, der Chancen auf einen WM-Kampf hatte, wurde 1966 festgenommen. Mit manipulierten Zeugen wurde ihm ein rassistischer Prozess gemacht - erst 1985 erfolgte, vor allem wegen einer internationalen Unterstützungskampagne, der Freispruch. "One time he could-a been / The champion of the world", heißt es in Dylans "Hurricane". Schon das erinnert an den jungen Dylan. Doch er legt dem Boxer auch noch seine eigene Berufsauffassung in den Mund: "Its my work, hed say, and I do it for pay."

Beim Gros der Dylanologen wird das nicht herausgelesen. Endlich wieder politisches Engagement, heißt es dort stattdessen, der alte Dylan, der Protestsänger! Dass Dylan selbst nicht als Politiker oder Prophet wahrgenommen werden will, sagt er nicht nur in Interviews, sondern auch in genau diesem Song: "And when its over Id just as soon go on my way."

Natürlich ist "Hurricane" ein Protestsong, aber es ist sehr bewusst der Protest für einen Boxer. Und zwar nicht für einen Profiboxer in der Art eines Muhammad Ali, der sich selbst als politisches Symbol inszenierte und der seine Kunst als Instrument der Emanzipation der Schwarzen verstand. Sondern es ist ein Protestsong für einen Boxer, der schlicht seinen Job tat, sich Vereinnahmungsversuchen verweigerte und wider Willen - durch seine Verhaftung - zum politischen Symbol wurde. Ein großer Unterschied zu Ali.

Bei der "Rolling Thunder Revue" 1975 kreuzten sich Alis und Dylans Wege: Sie respektierten sich, aber sie mochten sich nicht. Ali inszenierte sich auf Dylans Kosten. "Also, als ich gebeten wurde, heute Abend herzukommen, wusste ich nicht, wer eigentlich dieser Bob Dylan ist", kokettierte Ali in New York. "Seid Ihr Mädels heute Abend wirklich alle wegen Bob Dylan da?" Ali ging auf die Bühne und telefonierte dort mit "Hurricane" Carter im Staatsgefängnis New Jersey. "Ali machte krumme Sachen", erinnert sich der Schauspieler und Schriftsteller Sam Shepherd. Ohne Absprache holte Ali beispielsweise einen weißen Politiker auf die Bühne, stellte ihn als "nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten" vor und musste letztlich unter Buhrufen die Bühne verlassen. Dylan mochte solche Egotrips nicht, aber der boxerische Respekt, den der Musiker vor dem Sportler hatte, war zu groß. "Er hat bewiesen, dass man auch im Angesicht von Elend für seine Überzeugungen aufstehen und stehen bleiben kann", sagt Dylan in der Ali-Biografie des amerikanischen Boxjournalisten Thomas Hauser. Ein höfliches Lob, von Respekt getragen, aber ohne Liebe.

Gegner "hart erwischen"

Die gehört anderen. In seiner Autobiografie "Chronicles I" erinnert sich Dylan an einen Boxkampf zwischen Jerry Quarry und Jimmy Ellis. Quarry, ein weißer Schwergewichtler, wurde Ende der Sechziger als "White Hope" aufgebaut, als derjenige, der dem weißen Amerika mit dem Gürtel des Schwergewichtsweltmeisters endlich wieder ein Symbol seiner Überlegenheit verleihen sollte. "Für mich gab es manche Parallele zwischen unserer Situation und unserer Reaktion darauf", heißt es in "Chronicles". "Ich identifizierte mich sowohl mit Ellis als auch mit Quarry." Begründung: "Genau wie Quarry wollte ich mich nicht damit abfinden, dass ich ein Emblem, ein Symbol oder ein Wortführer sein sollte." So wimmelt er politische Ambitionen am Beispiel des weißen Boxers ab. Am Beispiel des schwarzen Boxers schreibt er: "Wie Ellis hatte ich eine Familie zu ernähren."

Ellis boxerische Karriere ist aus Dylans Sicht bemerkenswert: Im Jahr 1964 verlor er, damals noch Mittelgewichtler, nach Punkten und sehr umstritten gegen Rubin "Hurricane" Carter. Als der Weltverband WBA 1967 Ali wegen seiner Wehrdienstverweigerung den WM-Titel aberkannte, gehörten Jimmy Ellis und Jerry Quarry, wie auch etwa der Deutsche Karl Mildenberger, zu den Anwärtern auf den vakanten Titel. Ellis setzte sich durch. Im April 1968 kam es zum WM-Kampf zwischen Ellis und Quarry - der Kampf, den Dylan meint. Ellis gewann den Titel. Gleichwohl dürfte Ellis zu den unbekannteren Schwergewichtsweltmeistern der Boxgeschichte zählen. Er verlor 1970 seinen Titel an Joe Frazier, 1971 verlor er einen Kampf gegen Ali, und 1975 beendete er seine Karriere. Geboren wurde Ellis 1941 (wie Dylan, Ali wurde im Januar 1942 geboren) in Louisville/Kentucky (wie Ali, mit dem er auch als Amateur zusammen trainierte).

Der Lebensentwurf des Hobbyboxers gleicht dem eines Profiboxers, es ist beinah Dylans Wunschbiografie. Schon am Anfang seiner Karriere (und auch am Anfang von "Chronicles") steht die Episode, wie Jack Dempsey, Schwergewichtsweltmeister von 1919 bis 1926, dem schmächtigen, gerade aus der Provinz nach New York gekommenen Sänger einen guten Rat gab: "Du siehst zu leicht aus für ein Schwergewicht, du musst ein paar Pfund zulegen. Und dich ein bisschen besser anziehen, bisschen mehr aus dir machen - auch wenn du im Ring nicht viele Klamotten brauchst. Und du darfst keine Angst haben, dass du den anderen zu hart erwischst."

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