die taz vor 15 jahren zu den massakern in bosnien: türkische wut und europäisches schweigen
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Die Türkei ist einer der wenigen Staaten, die die internationale Staatengemeinschaft drängte, klare Positionen zur Tragödie in Bosnien-Herzegowina zu beziehen. Der türkische Außenminister Hikmet Cetin unterbreitete dem UNO-Sicherheitsrat einen Plan, der vorsah, daß strategische serbische Stellungen, von denen aus die Zivilbevölkerung attackiert wird, im Rahmen einer begrenzten Luftoperation bombardiert werden. Eine Operation, die vor allem politische Zeichen gesetzt hätte. Doch die Türken blieben ungehört. Das türkische Vorpreschen hat nicht nur damit zu tun, daß Bosnien-Herzegowina Jahrhunderte Teil des Osmanischen Reiches war. Es hat nicht nur damit zu tun, daß Hunderttausende türkische Staatsbürger bosniakischen Ursprungs sind. Die Auslöschung des einzigen Staates in Europa, wo Moslems die stärkste Bevölkerungsgruppe darstellen, drängt die Türkei weiter aus Europa hinaus.

Seien wir ehrlich. Die untätige Haltung der Europäer zu Massenmorden und den Konzentrationslagern hat auch einen religiösen Hintergrund. Was heute in Bosnien passiert, hätte nicht in Slowenien oder in Kroatien passieren können.

Gottlob gibt es Männer wie den Informationsminister der „Serbischen Republik Bosnien“, Velibor Ostojic, der Klares ausspricht und als selbsternannter Kreuzritter die Christenwelt vor den Moslems verteidigt. „Der Islam erstarkt überall. Das christliche Libanon und Zypern sind gefallen. Außerdem vermehren sich die Moslems sehr schnell.“ Ostojic versteht die Aufregung nicht, die Massaker dienen doch einem guten Zweck: Abwehr der „moslemischen Verschwörung“.

Unsere Fundamentalisten in der Türkei sind dankbar, weil sie endlich das Geschwafel von „Demokratie“ und „Selbstbestimmungsrecht“ denunzieren können. „Ein gewaltiger Blitzkrieg für das Öl Kuwaits. Schweigen, wenn Moslems in Europa massakriert werden.“

Ömer Erzeren in der taz vom 15. 8. 1992