Wir feiern Anne Will nicht

betr.: „Und das ist auch gut jetzt“, taz vom 21. 11. 07

Über die furiose Schlagzeile der Bild wurde ich gestern von meiner Lebensgefährtin ins Bild gesetzt, wir haben beide herzlich darüber gelacht. Aber heute schon wieder: Anne Will an jeder Ecke, und alle (?) Lesben feiern die Will. Hm. Also wir feiern die Will nicht, und ich denke, Anne will das auch nicht.

Ich lebe seit zehn Jahren lesbisch, weder ich noch meine Lebensgefährtin noch Freundinnen ließen sich in Kategorien wie dumm, ungebildet, schlecht gekleidet, stillos, unattraktiv oder männerhassend durch die Welt laufend beschreiben. Aber ja, es gibt diese Vorurteile, wie solche von einer Sexualpsychologin Baumann (Gott bewahre uns alle vor weiteren Artgenossen dieser Zunft). Und ja, es gibt Klischeedenken wie das eines Herrn Wagner, der allerdings nicht einmal ein homosexuelles Klischee bedient, sondern einfach nur eine sexistische Männerfantasie. Aber ja, wir können damit umgehen, lächelnd, warmherzig, Augenbrauen mal charmant, mal mahnend hebend, mal zornig und auch streitbar, und wir bauen genau so täglich, mal langsam, mal schnell, manchmal gar nicht, in unserem Umfeld ebendiese und andere Ressentiments ab.

Und: Nur weil man homosexuell ist, muss man sich noch lange nicht in diversen Szenen, Foren und Vereinen betätigen und mit wehender Regenbogenfahne zum Vorstellungsgespräch erscheinen, und man darf sich den örtlichen CSD auch mit Sonnenbrille von weitem anschauen.

Aber: Eine intelligente, wortgewandte Frau mit der Bildung und dem Format von Anne Will, warum so lange eine solche Zurückhaltung? Natürlich: „Jede braucht so lange für ihr Coming-out, wie es für sie richtig ist.“ Aber dafür, dass es wieder eine nicht geschafft hat, frühzeitig den Mut zu beweisen, zu sich selbst zu stehen, ist jedes Wort zu viel. Hätte man von einer wie der Will nicht erwarten müssen, dass gerade sie – schlagfertig, durchsetzungsfähig – zu ihrer Orientierung steht und ihren Weg trotzdem geht? Viele andere tun das, und nur so wird sich etwas ändern. Aber eine zur Ikone machen, die ihre Schäfchen längst im Trockenen hat – nein danke. Auch das ist die Meinung der Lesben im Lande, und nicht von zu wenigen. Und ich denke: Auch das denkt Anne Will. SIMONE HUTNER, Dachau