Im Identitätskästchen

betr.: „Anne liebt Miriam“, taz vom 19. 11. 07

Noch auf Seite 13 zitiert die taz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lauschangriff: „Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung.“ Natürlich kann man in Frage stellen, ob das Liebesleben zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören darf, jedenfalls wenn es gleichgeschlechtlich ist und eine Person öffentlichen Interesses betrifft. Denn eine Seite weiter wird die moralische Keule gegen Anne Will geschwungen, die doch seit sage und schreibe fünf Jahren mit einer Frau zusammen ist, und sich all die Zeit nicht öffentlich dazu erklärt hat – Frechheit! –, geschweige denn ihre Stimme gegen die reaktionären antihomosexuellen Kräfte der Gesellschaft erhoben hat.

In das Weltbild Akyols, in dem es scheinbar nur Schranklesbe oder geoutet plus politisch aktiv geben kann, passt offenbar keine Lebensgestaltung, in der gleichgeschlechtlich geliebt wird, ohne sich daraus ein Identitätskästchen zu zimmern oder sich qua Liebesleben notwendig zu politischen Aktionen getrieben zu sehen. „Nach jahrelangem Schweigen hat sich die ARD-Moderatorin Anne Will als Homosexuelle geoutet“, schrieb die taz. Eben gerade nicht: Sie hat sich zu ihrer Liebe zu und Partnerschaft mit einer bestimmten Frau bekannt, ohne damit gleich einer bestimmten Gattung angehören zu müssen. Versteckt hat sie sich auch vorher schon nicht, nur eben nicht ganz Deutschland an ihrem Privatleben teilnehmen lassen oder sich irgendeinem medialen Erklärungsdruck unterworfen.

Die Gattungsbestimmung als „Homosexuelle“ ist für Akyol dann offenbar schon Grund genug, implizit bestimmte Forderungen an Will heranzutragen – und stellt damit eine seltsame Deckungsgleichheit mit reaktionären, konservativen Positionen her, die gleichgeschlechtlich Liebende auch nicht so lassen können wie sie sind.

GUNHILD MEWES, Frankfurt am Main

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