Schweine im Speckgürtel

Der Pharmakonzern Boehringer plant ein Forschungszentrum für Tierimpfstoffe in einem Vorort von Hannover. In der Nachbarschaft geht jetzt die Angst vor austretenden Krankheitserregern um. Heute gründet sich eine Bürgerinitiative

VON MAXIMILIAN PROBST

Für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Hannover ist es ein Glücksfall: Der Pharmariese Boehringer Ingelheim will in Kirchrode in direkter Nachbarschaft zur Tierärztlichen Hochschule ein Forschungszentrum für Tierimpfstoffe errichten. Dagegen hat sich nun eine Bürgerinitiative gegründet. Denn die Pläne der Pharmafirma sehen neben einem Labor- und Verwaltungsgebäude auch den Bau einer 3.600 Quadratmeter großen „Tierhaltungseinrichtung“ für bis zu 1.000 Schweine vor, an denen die neuen Impfstoffe getestet werden sollen.

Die Kirchroder haben Angst vor dem zu erwartenden Schweinemief und davor, dass aus den Laboren gefährliche Krankheitserreger austreten könnten. „Wir sind nicht gegen das Unternehmen Boehringer“, sagt Klaus Neudahm von der Wählergemeinschaft „Wir für Hannover“, die die heute stattfindende Gründung der „Bürgerinitiative Kirchrode“ angestoßen hat. „Nur sollen sie eben nicht hier bauen. Das ist hier ein Wohngebiet und das umliegende Gelände ausgewiesen als Vorzugsbauland für Familien mit Kindern.“

In gerade mal 150 Meter Entfernung vom Bauplatz läge zudem ein Therapiezentrum für autistische Kinder, etwas weiter eine soziales Wohnprojekt, ein Krankenhaus und ein Altersheim. Als die Wählergemeinschaft letzten Sonnabend am „Klönschnackplatz“ in der Ortsmitte Unterschriften für die Bürgerinitiative sammelte, meint Neudahm, seien sie von den Anwohnern geradezu überrannt worden. Den meisten gehe es aber nur sekundär um den Gestank. „Ausschlaggebend ist: die Leute haben Angst.“

Tatsächlich soll im Forschungszentrum auch mit unbekannten, genveränderten Krankheitserregern an den Schweinen experimentiert werden. Laut Boehringer konzentrierten sich diese Versuch aber auf die Gefahrenklasse 2, das heißt auf Mikroorganismen, von denen keine Gefahr für den Menschen ausginge. Solche Versuche fänden schon jetzt in der benachbarten Tierärztlichen Hochschule statt. In Ausnahmefällen, räumt man bei Boehringer ein, seien auch Experimente der Gefahrenklasse 3 denkbar, was mit einem „mäßigen Risiko“ für Mensch und Umwelt übersetzt wird. Dass Keime oder Krankheitserreger aus den Labors austreten könnten, meint man bei Boehringer allerdings ausschließen zu können. Die Anlagen mit Unterdruck würden „hermetisch abgeriegelt“.

Die Kirchroder Bürger können solche Beteuerungen nicht beruhigen. Eine derart gigantische Forschungsanlage in einem Wohngebiet habe es bislang noch nie gegeben, sagt Anwohner Neudahm. „Also gibt es auch keine Erfahrung damit“, folgert er spitzfindig. Und dann erinnert er an den Fall, der sich im vergangenen Jahr in Südengland zugetragen hat. Aus einem Tierforschungsinstitut entwich dort trotz höchster Sicherheitsstufe ein gentechnisch veränderter Virus und löste erneut die Maul- und Klauenseuche aus. Der Schaden summierte sich auf 22 Millionen Euro.

Ungeklärt ist auch noch die Frage der Entsorgung der Tierkadaver. Boehringer will die toten Schweine in hochalkalischer Lauge zersetzten. Von den anfänglichen Plänen, diese dann in die Kanalisation weiterzuleiten, ist man nach Einwänden von Seiten der Stadtentwässerung bereits abgerückt.

Wie es weitergeht, ist ungewiss. Das bestätigt auch ein Sprecher der Gewerbeaufsicht Hannover, die in großen Teilen das Forschungszentrum genehmigen muss. „Konkrete Anträge und Pläne, wie das Forschungslabor funktionieren soll, sind noch nicht eingegangen.“ Dann erst könne man über den Fall entscheiden. Für den ursprünglich geplanten Baubeginn 2009 hat die Behörde jedenfalls schon mal Zweifel angemeldet.

Der „Bürgerinitiative Kirchrode“ wird noch genügend Zeit bleiben, für ihr Anliegen zu kämpfen. Bei Boehringer indes dürften schlechte Erinnerungen wach werden. Schon 2006 hatte der Pharmakonzern das Forschungszentrum in Tübingen ansiedeln wollen. Auch damals in der Nähe eines Wohngebiets. Nach Anwohnerprotesten zog man das Projekt zurück.

In Hannover hatte sich Boehringer schon auf der sicheren Seite sehen können: Die Pläne für das Forschungszentrum verkündete Konzernchef Ulrich Pitkamin zusammen mit Ministerpräsident Christian Wulff bereits im Herbst letzten Jahres. Der Widerstand ließ ein halbes Jahr auf sich warten.