Konstruktion der Liebe

In einem amüsanten und anregenden Buch analysiert Jean-Claude Kaufmann die „kleinen Kriege“ moderner Paare – und zeigt, wie die alltäglichen Konflikte beigelegt werden können

VON WARNFRIED DETTLING

„Sie hat die Ziegen, er hat die Kühe. Keiner redet dem andern rein. Sie kommen einander nicht in die Quere. Jeder macht stumm seine Arbeit, nichts, worüber sie reden. Man könnte auch sagen, die beiden sind gut aufeinander eingespielt. Sie haben ja nur sich, die Kinder und die Tiere.“

Szenenwechsel.

„Das Kochen ist nichts im Vergleich zum aufreibenden Problem der häuslichen Unordnung. Wir haben zwei verschiedene Auffassungen über das Aufräumen, was ein ständiger, bis zum heutigen Tag ungelöster Ärger ist. Ich selbst bin für eine wöchentliche Lösung an einem bestimmten Tag wie zum Beispiel dem Samstagmorgen, dann ist innerhalb von zwei Stunden zusammen alles erledigt, und es ist eine Woche lang Ruhe. Jack ist eher für eine Lösung nach dem Zufallsprinzip: Ich räume allein auf, wenn ich Lust darauf oder Zeit dafür habe. Die von Jack gepriesene Methode nach dem Zufallsprinzip ist im männlichen Lager ziemlich verbreitet.“

Zwei Stimmen, zwei Welten. Die eine stammt aus der Reportage von Melanie Mühl über das Leben der Familie Wehrli in den Schweizer Bergen, ein Leben, in dem der natürliche und der soziale Gang der Dinge kaum zu unterscheiden sind und sich wechselseitig stabilisieren („Die Hüter des Berges“, FAZ vom 12. April 2008). Die andere Szene ist eine aus den unendlichen Geschichten, die Jean-Claude Kaufmann in seinem neuesten Buch aus unzähligen Gesprächen, Interviews und E-Mails zusammengetragen hat.

Der französische Alltags- und Beziehungssoziologe beschreibt, wie unter modernen Bedingungen die Nähe zwischen Menschen zu einer allzeit sprudelnden Quelle von Ärger wird. Kaufmann präsentiert freilich nicht nur vergnügliche Geschichten, die einen schmunzeln lassen, weil sie einen hohen Wiedererkennungswert haben. Er erklärt vielmehr den Charakter moderner persönlicher Beziehungen aus gesellschaftlichen Entwicklungen. Seine zentrale These lässt sich in drei Sätzen zusammenfassen: In modernen Zeiten nehmen die Ursachen für Ärger in Paarbeziehungen deutlich zu. Zum Glück wachsen aber auch die Fähigkeiten der Menschen, mit diesem anschwellenden „Ärgerpotenzial“ kreativ umzugehen. Das freilich gelingt nur in dem Maße, in dem die Paare neue Regeln und Konventionen erfinden, aushandeln – und sich daran halten.

Erst in modernen Gesellschaften wächst mit der individuellen Freiheit auch die Kontingenz menschlicher und gesellschaftlicher Möglichkeiten. Man kann alles immer auch anders machen: putzen und waschen, den Schrank einräumen, den Fisch zubereiten, Beziehungen leben. Mit den Möglichkeiten aber wachsen die Quellen des Ärgers überall dort, wo früher Rahmen, Rollen und Anpassungen gegeben waren. „Der Ärger fand keinen Raum, weil das Leben kollektiv geregelt war.“

Kaufmanns amüsante und traurige, stets vom Scheitern bedrohte und doch auch immer wieder erfolgreiche Liebes- und Ärgergeschichten handeln davon, wie es Menschen gelingt, in ganz alltäglichen Situationen (Kochen, Waschen, Putzen) ihre Beziehungen zu strukturieren und sich damit überhaupt erst als Paar zu „erschaffen“.

Zugespitzt formuliert: Dauerhafte Beziehungen gibt es nicht, weil sich Menschen lieben (der romantische Ansatz) oder weil sie sich der Institution Ehe und Familie verpflichtet fühlen (das konservative Verständnis) oder weil sie schwerelos in „herrschaftsfreien“ Beziehungen leben (ein naiv-romantisches Konzept von Emanzipation), sondern weil es ihnen immer wieder gelingt, gemeinsam und in gegenseitigem Respekt den Alltag zu strukturieren, weil sie erfolgreich arbeiten auf den „Baustellen der Vereinigung“.

Es ist die soziale Konstruktion der Liebe, von der Kaufmanns Bücher handeln, ob es nun um die Konfrontation der ersten Leidenschaft mit „schmutziger Wäsche“ geht – so der Titel, der ihn vor einigen Jahren berühmt machte. Oder um Kochen und Essen wie in seinem Buch „Kochende Leidenschaft“ („Wenn er schon so gerne und gut kocht, warum macht er das dann nicht öfter?“).

Was dieses Buch anregend, nachdenklich und lesenswert macht, ist die beiläufige Art, mit der der Autor in alltäglichen Situationen und persönlichen Beziehungen die großen Themen auch der gesellschaftlichen Beziehungen aufscheinen lässt. Auf der Bühne der scheinbar kleinen Welten versammeln sich all jene Themen, Werte und Widersprüche, die auch die Gesellschaft im Großen und Ganzen umtreiben: Macht, Bevormundung und Unterwerfung; Gleichheit, Verteilung und Teilung der Arbeit; die Übereinkunft und Respektierung von Autonomiesphären; Ausgrenzung und Anerkennung; Integration und Konflikt.

Es ist ein Buch entstanden, das Hoffnungen macht, gerade weil es einen nüchternen Blick bewahrt – und den Preis der Freiheit nicht verschweigt. Wo „Beziehungen von der Stange“ nicht mehr zu haben oder auch nur zu wünschen sind, „müssen die Paare enorm an der Harmonisierung und an der Einigung arbeiten […]. Dazu braucht es nicht nur guten Willen, sondern auch eine neue Form der Schwerstarbeit, die Präzision und Kompetenz erfordert.“ Es gibt keine Flucht in die Schweizer Berge, auch keine utopische Flucht aus den Widersprüchen der persönlichen und sozialen Existenz.

„Das wunderbare Projekt war das der individuellen Emanzipation, in Aufmerksamkeit und Offenheit dem anderen gegenüber. Zusammen frei sein“. Dass es Kaufmann gelingt, zum Nachdenken anzuregen über die „kleinen Dramen“ wie über die großen Fragen der modernen Gesellschaft, macht den Wert seines jüngsten Buches aus.

Jean-Claude Kaufmann: „Was sich liebt, das nervt sich“. Aus dem Französischen übersetzt von Anke Beck. 280 Seiten, UVK Verlag, Konstanz 2008, 19,90 Euro