„Fangt Fische und seid friedlich“

Der Folksänger Arlo Guthrie wurde mit „Alice’s Restaurant“ zur Anti-Vietnamkrieg-Ikone in den USA. Heute glaubt er an das Kleine und sieht eine neue Protestkultur am Werk

1968: Arlo Guthrie wird von der US-Einberufungsbehörde für „wehrunwürdig erklärt“ er darf damit nicht in den Krieg der USA gegen Vietnam ziehen. In dem Song „Alice’s Restaurant“ hatte er beschrieben, wie der Icherzähler ausgemustert wird, weil er eine Verurteilung wegen „Littering“ auf dem Kerbholz hat: Er hatte seinen Müll in den Wald gekippt. Mit dem Song katapultiert sich Guthrie 1967 auf dem Newport Folk Festival mit dem 18:35 Minuten langen Stück „Alice’s Restaurant Massacree“ ins Bewusstsein der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung in den USA und wird zu einem ihrer Protagonisten. 1969 tritt er beim Jahrhundertfestival in Woodstock auf und spielt die Hauptrolle in dem zeitkritischen Film „Alice’s Restaurant“ (Regie: Arthur Penn) – dessen Plot seinem Song folgt. Heute: Arlo Guthrie macht weiter Musik, tourt, hat die durch den Film „Alice’s Restaurant“ legendär gewordene Trinity Church in Massachusetts gekauft und leitet dort ein interkulturelles Begegnungszentrum. Zuletzt erschien das Album „In Times Like These“ (2007). Geboren: 10. Juli 1947 in Coney Island, Brooklyn, New York. Familie: Ältester Sohn des großen Folk-Sängers Woody Guthrie. iPod-Essentials: Alice’s Restaurant Massacree, Coming into Los Angeles, City of New Orleans Zum taz-Gespräch traf sich Arlo Guthrie mit Martin Kaul während eines Berlinbesuchs. Guthrie bot ihm eine „American Spirit“ an und erzählte dann beim gemeinsamen Rauchen, wie er einst Janis Joplin auf der Gitarre „Me and Bobby McGee“ beibrachte.

INTERVIEW MARTIN KAUL

taz: Herr Guthrie, Sie haben gesagt: „Wer sich heute noch an 1968 erinnert, war nicht wirklich dabei.“ Woran erinnern Sie sich denn noch?

Arlo Guthrie: Ich erinnere mich zumindest an mehr, als ich seinerzeit vermutet hätte.

Das wäre?

Nicht nur in den USA, sondern um die ganze Welt war das Jahr 1968 von einer kulturellen Aufbruchstimmung geprägt. Wir waren entschlossen, die alten, traditionellen Sichtweisen zu überwinden – für eine Idee von mehr Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit.

Geht es etwas konkreter?

Ich könnte Ihnen von zahllosen Sleep-ins, Sit-ins und Smoke-ins erzählen, von allen möglichen Demos für mehr Bürgerrechte, gegen die Atombombe oder von den Tagen, als wir unsere Unterwäsche verbrannten. Es gab diese neue Freiheit: die Freiheit zu leben, die Freiheit zu überleben. Das war aber nicht das Zentrale an 1968. Zentral für uns war, dass in diesem Jahr Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet wurden – und plötzlich genau diese Träume wieder zu verpuffen drohten. In den USA war 1968 tragisch, denn: Unsere Hoffnung schien uns damals zu gut, um wahr zu sein. Das brachte dann aber auch die Menschen auf die Straße.

1968 waren Sie 20 …

… und ich war nicht sonderlich politisch. Zu dieser Zeit bin ich rumgetrampt und hab Gitarre gespielt. Ehrlich gesagt: Ich war nicht angetreten, um die Welt zu verändern, sondern um Geld zu verdienen und Frauen kennenzulernen.

Ein Jahr später, 1969, standen Sie in Woodstock auf der Bühne und wurden durch den Film „Alice’s Restaurant“ zur Identifikationsfigur für Kriegsdienstverweigerer weltweit – das nennen Sie unpolitisch?

Wissen Sie, eigentlich wollte ich einfach meine Ruhe haben. Nur war das eben gar nicht so leicht. Manchmal kommt das Politische einfach zu dir. Als Robert Kennedy ermordet wurde, realisierten wir, dass wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen müssten, dass wir nicht auf irgendeine Führung oder auf „die da oben“ vertrauen konnten. In den USA wurden damals junge Männer verhauen, weil sie lange Haare trugen, das war die Stimmung. Und da haben wir gemerkt, dass wir als Einzelne, als Menschen, umdenken und unsere Hoffnungen selbst realisieren mussten. Darum ging es 1968 in den USA. Und das bildete die Grundlage für 1969, für Woodstock, für alles, was danach passierte …

Heute ist das 40 Jahre her, und Sie sind 60. Was ist von der Bewegung geblieben?

Das Traurige ist: Wir kämpfen in den USA noch immer denselben Kampf, vielleicht sogar mehr denn je. Sieben Jahre Bush-Regierung haben einen so großen Hunger, ein solchen Durst ausgelöst nach den Träumen, die wir einmal hatten. Dank Bush konnten wir jeden einzelnen unserer Träume wieder platzen sehen: ob zu Religion, zu Menschenrechten oder zu Bildungsfragen – all unsere Ideen und Träume sind dahin. Als hätten sie nie existiert. Genau wie 1968 fühlen sich die Menschen heute in den USA um ihre Träume betrogen.

Die USA haben ein neues Vietnam. Weit über 100.000 irakische Zivilisten wurden ermordet, knapp 4.000 US-amerikanische Soldaten sind gestorben. Sie lehnen Bush ab, haben sich aber bei den Vorwahlen für einen republikanischen Kandidaten ausgesprochen. Wie passt das zusammen?

Das stimmt, ich habe gesagt: Ron Paul ist ein guter Mann – obwohl er auch verrückte Programmatiken hat. Mir ist klar, dass das paradox ist. Aber in Deutschland müssen Sie eines verstehen: Der politische Kampf um Herz und Seele der Amerikaner verläuft nicht zwischen Republikanern und Demokraten, sondern zwischen Freiheit und Sicherheit. Paul hat gesagt, dass er die komplette Palette der unglaublichen Bürgerrechtsverletzungen von Präsident Bush sofort rückgängig machen würde: Kein Guantánamo mehr, kein Irak, Schluss mit dem Sicherheitswahn. Alle anderen wollen ein bisschen Freiheit gegen ein bisschen Sicherheit eintauschen. Paul dagegen hat so provoziert, dass selbst die Republikaner sich dazu äußern mussten. Deswegen war es gut, seine Stimme im Konzert der Vorwahlen zu hören.

Paul hatte keine Chance. John McCain wird für die Republikaner im Präsidentschaftswahlkampf antreten …

… und wenn er gewählt wird, wird er das Unheil fortsetzen, das Bush angerichtet hat. Mir ging es nicht darum, die Republikaner zu unterstützen, sondern darum, in beiden Lagern auf die vernünftigsten Leute zu zeigen.

Und wer ist das aufseiten der Demokraten?

Natürlich steht bei den Demokraten Barack Obama für diesen Wechsel – und ich unterstütze ihn genauso.

Barack Obama symbolisiert eine neue Aufbruchstimmung. Kann daraus denn tatsächlich „Wechsel“ folgen?

Eines steht zumindest fest: So viele Menschen wie heute waren in den letzten 30 Jahren in den USA nicht mehr politisch aktiv. Die Politik von Paul oder Obama interessiert mich nur begrenzt. Was mich aber interessiert, ist, dass eine Menge junger Menschen in den USA wieder engagiert ihre Meinung vertritt –und ihre Zukunft selbst in die Hand nimmt. Das ist großartig. Und ich bin Bush dankbar dafür, dass er das geschafft hat.

Barack Obama mobilisiert Menschen für seine Kampagne. Von einer Widerstandsbewegung auf Washingtons Straßen lässt sich nur begrenzt reden …

Der Protest spielt sich auch nicht in Washington ab, sondern in den Häusern der Menschen, in den Debatten unter Jugendlichen. Er trägt sich durch ihre Klassenräume und durchs Internet. Die Jugend in den USA hat wieder zu ihren kritischen Fragen gefunden: Sie fragt nach dem Klimawandel, nach den Toten im Irak, nach der Demokratie in ihrem Land. Dieser Protest funktioniert effektiv, aber leise. Und das ist der Grund, warum so viele Menschen ihn nicht sehen können. Sie suchen etwas, das ihnen bekannt vorkommt. Aber was heute in den USA geschieht, ist uns nicht bekannt. Die Idee ist uns vertraut, aber die Form ist neu. Dennoch: Ich halte das für eine neue Protestkultur.

Wodurch zeichnet die sich Ihrer Meinung nach aus?

Zuerst einmal durch etwas ganz Natürliches: Die Menschen wollen ihren Spaß haben. Das war ja auch das Geheimnis von 1968: Wir wollten die Welt verändern – aber bitte mit guter Laune. Die Kids von heute tun das wieder sehr konsequent. Sie kämpfen nicht gegen eine alte Welt, sie lassen sie einfach hinter sich. Ich halte das für den besten Weg. Und er ist vielleicht sogar schlauer, als viele der Kämpfe von früher es je waren.

Können wir damit 1968 zu den Akten legen?

Meine Hoffnung liegt in der Zukunft und nicht in dem, was vor 40 Jahren mal passiert ist. Es lohnt sich nicht, darauf zu warten, dass es heute noch mal so wird wie früher. Wer darauf wartet, wartet für immer. Wir leben in einer anderen Welt. Menschen begegnen sich anders, sie reden anders miteinander. Jede Zeit braucht ihre eigene Bewegung, und diese Zeit hat ihre Bewegung. Aber diese Bewegung wird nicht wie 1968 aussehen. Sie wird wie 2008 aussehen.

Ihr persönlicher Widerstand drückte sich zu einem großen Teil in Ihrem Lebensstil, in Ihrer Musik aus. Kann man mit Liedern heute noch etwas bewegen?

In den USA war die Musik 1968 viel stärker als in anderen Ländern Teil des politischen Protests. Die Musik hat uns damals eine unwahrscheinliche Kraft gegeben. Das ist heute anders. Die Musikindustrie kann die Lieder riechen, die problematisch sind. Da dringt das politische Lied nicht mehr durch.

Heute sind es Rapper wie Eminem, die mit ihrem Lebensstil die Jugend ansprechen – und die die sozialen Probleme zum Ausdruck bringen …

… nur dass diese ein Produkt der Massenindustrie sind. Es stimmt: Eminem spricht viele Kids an – und macht ihre Probleme sichtbar. Aber was ihn bewegt, ist nicht eine politische Kraft, sondern die Kraft des Profits. Und die hat noch selten etwas zum Guten geändert.

Erreichen Sie mit Ihrer Musik noch die Leute?

Ein Phänomen ist meiner Musik zumindest erspart geblieben: Der Folk hat es geschafft, nie zum Produkt der Massen zu werden. Und das ist gut. Sie werden staunen: Trotzdem sind 80 Prozent der Leute auf meinen Konzerten unter 25. Ich erhalte täglich E-Mails von 15-Jährigen. Die schreiben mir, sie wünschten, sie hätten 1968 erlebt. Ich sage ihnen: Seid froh, dass ihr 2008 gestalten könnt. Wenn ihr es nicht macht, macht es niemand.

Sagen Sie ihnen auch, wie sie das machen können?

Das Jonglieren mit großen Ideologien ist nicht mein Ding. Ich glaube an eines: an das Kleine. Die Sozialisten in Deutschland dürften am besten wissen, dass selbst die besten Ideen aus dem Ruder laufen, wenn sie zu groß werden.

Sie meinen, es kommt nicht auf die Idee an, sondern auf die Realität?

Okay, je mehr Freiheiten wir haben, je mehr Rechte wir teilen, umso besser. Aber diese Freiheiten und Rechte, die müssen wir uns selbst verleihen. Es gibt so unendlich viele kleine Projekte, in denen die Menschen miteinander große Dinge auf die Beine stellen. Viele davon sind unsichtbar, aber auf sie kommt es an. Ich habe die Kirche gekauft, in der wir damals den Film „Alice’s Restaurant“ gedreht haben. Heute betreiben wir hier ein interkulturelles Begegnungszentrum. Das ist solch ein kleiner Ort. Zu uns kommen die armen Leute, es gibt etwas zu essen, Yoga-Kurse, ab und zu Konzerte. Das reicht mir schon fast.

Die Flower-Power-Bewegung lebte von Träumen einer besseren Welt. Was ist Ihre große Vision für 2048?

Da muss ich Sie wohl enttäuschen. Meine Vision bleibt eine kleine: Seid nett, ehrlich und gut zueinander. Macht das, worauf ihr Lust habt. Umarmt Bäume, fangt Fische, seid friedlich. Wenn jeder sein Ding macht, und das gut, dann hätten sich viele unserer Kämpfe erledigt.