Die Grünen: "Agenda 2010 richtig ändern"

In Nürnberg darf es nicht zur Selbstdemontierung rot-grüner Errungenschaften kommen, meint Bremens Umweltsenator Reinhard Loske und warnt vor einer Abrechnung mit der Agenda 2010.

"Die Parteiführung darf nicht das Signal setzen, dass jeder, der für das Grundeinkommen ist, die Führung infrage stellt." Bild: dpa

taz: Herr Loske, in der SPD hat die "soziale Gerechtigkeit" Konjunktur. Wie sieht es bei den Grünen aus?

Reinhard Loske: Wir werden dieses Thema auf unserem Parteitag in Nürnberg Ende November in aller Ausführlichkeit diskutieren. Aber die Frage ist doch erst mal: Wie definiert man soziale Gerechtigkeit überhaupt? Meint man Transfergerechtigkeit? Leistungsgerechtigkeit? Generationengerechtigkeit? Zugangsgerechtigkeit? Wir wollen den Begriff nicht auf die Transferfrage reduzieren, wie es SPD-Chef Beck tut.

Sie meinen, dass Becks Forderung nach längerer ALG-I-Zahlung für ältere Arbeitslose nicht zu mehr Gerechtigkeit führt?

Die Hartz-Reform hat zur Aufhebung einer unsozialen Praxis geführt: Ältere Menschen im Konzert von Gewerkschaften und Arbeitgebern früh aus dem Arbeitsmarkt rauszudrängen. Zu Lasten der Sozialkassen, des Steuerzahlers. Wenn Beck mehr Gerechtigkeit will, soll er die Agenda 2010 an den richtigen Stellen ändern.

Nämlich?

Man muss über die Höhe der Regelsätze diskutieren, über Kinderarmut, die Anrechnung von Schonvermögen und über die Hinzuverdienstmöglichkeiten.

Die Grünen haben unterschiedliche Konzepte zur sozialen Gerechtigkeit. Die einen wollen ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, die anderen bei der bedarfsorientierten Grundsicherung bleiben. Wird sich die Basis erneut, wie schon in Göttingen, durchsetzen und für das Grundeinkommen stimmen?

In Nürnberg kann es nicht darum gehen, ein Konzept wie das Grundeinkommen in Reinstform durchzusetzen. Es geht darum, Schritte in diese Richtung zu machen. Wichtig aber ist, dass man es nicht in so eine Grundmelodie einbettet wie: Das ist die Abrechnung mit der Agenda 2010. Das wäre die Selbstdementierung dessen, was wir unter Rot-Grün gemacht haben. Und: Man darf das keinesfalls als Oben-unten-Thema spielen. Die Parteiführung darf nicht das Signal setzen, dass jeder, der für das Grundeinkommen ist, die Führung infrage stellt. Das wäre ja direkt eine Einladung zur Provokation!

War das auf dem Sonderparteitag in Göttingen mit dem Thema Afghanistan der Fall?

Das Problem in Göttingen war ein anderes: Wenn man versucht, konsensorientierte Schwiemelanträge ohne Ecken und Kanten zu machen, nach dem Motto: allen wohl und keinem weh, dann erzeugt man ein Vakuum, in das diejenigen stoßen, die klare Positionen haben.

Diesmal sind Partei- und Fraktionsführung einstimmig gegen das Grundeinkommen.

Aber es gibt auch viele Grünen, die dafür sind. Jetzt muss man versuchen, Brücken zu bauen und echte Kompromisse zu finden. Ich halte zum Beispiel ein Kindergrundeinkommen, eine negative Einkommensteuer und die Honorierung von Bürgerarbeit für geeignete Schritte, um dem Ziel eines Bürgergeldes näher zu kommen.

Falls sich die Basis durchsetzt - wäre das eine weitere Abkehr von der "Ära Fischer"?

Ich sehe da keinen Zusammenhang. Persönlich habe ich zwar eine klare Präferenz für das Grundeinkommen. Ich glaube aber, dass es für die Grünen nach Göttingen und vor den Landtagswahlen besser wäre, einen breit getragenen Beschluss zu fassen.

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