Falsche Todesurteile in China: Zum Beispiel Nie Shubin

Nirgends werden so viele Hinrichtungen vollstreckt wie in China. Nun sorgt ein altes Fehlurteil für Aufmerksamkeit: Zum ersten Mal will sich die Justiz dafür rechtfertigen.

"Hart-Durchgreifen"-Kampagnen in China: Krasse Fehlurteile weren in Kauf genommen. Bild: dpa

PEKING taz Der Fall ist 13 Jahre alt, aber erregt die chinesische Öffentlichkeit wie nie zuvor. "Wer stellt die verlorenen Ehre von Nie Shubin wieder her?", fragt etwa die Wochenzeitung Southern Metropolis Weekly. Der Anlass für die Aufregung: Zum ersten Mal will die chinesische Justiz Rechenschaft über ein verfehltes Todesurteil ablegen.

Für Nie Shubin kommt alle Ehrenrettung zu spät. Im Jahr 1994 war der damals 21-jährige Bauer aus der Provinz Hebei wegen Vergewaltigung und Mord zum Tode verurteilt worden. Ein halbes Jahr später vollzogen die Behörden das Urteil per Genickschuss. Zehn Jahre später gestand der wirkliche Mörder Wang Shujin diese Tat samt drei weitere Morde.

Die lokalen Justizbehörden wollten ihren Irrtum kaschieren. Sie lehnten die Revision des Falls ab, weil Nies Mutter, Zhuang Huanzhi, die Urteilspapiere nicht vorlegen konnte. Diese hatte sie nie erhalten. Im Mai dieses Jahres bekam sie die Papiere von einem Unbekannten zugesandt. Damit ging sie zum Obersten Volksgerichtshof, und der nahm sich nun des Falles an.

Kritische Stimmen erhoffen sich viel von diesem Fall. "Wangs Geständnis hat eine Justizreform in Gang gebracht", sagt He Weifang, Juraprofessor an der Peking-Universität, der taz. Er gehört zu den wenigen chinesischer Juristen, die sich offen für die sofortige Abschaffung der Todesstrafe aussprechen.

Die Reform, von der He spricht, gilt seit Anfang dieses Januar. Seither ist der Oberste Volksgerichtshof in Peking, Chinas höchste richterliche Instanz, wieder allein für die Revision und Vollstreckung von Todesurteilen zuständig. Seit 1983 hatte die Regierung aus Sorge um soziale Stabilität auch Provinzgerichten erlaubt, verhängte Todesurteile selbst zu bestätigen.

China vertraute auf Abschreckung durch sogenannte "Hart durchgreifen"-Kampagnen. Hastige und unfaire Verfahren sowie krasse Fehlurteile nahm man dabei in Kauf. Doch in den letzten Jahren regte sich bei vielen Juristen Widerstand. Grund dafür war nicht zuletzt die wachsende Zahl aufgedeckter Justizirrtümer wie der Fall Nie.

Die Rückgabe der Verantwortlichkeit für Todesurteile an den Obersten Volksgerichtshof hat laut der Menschenrechtsorganisation Dui Hua in diesem Jahr zu einem Rückgang der Todesurteile in China geführt. Trotzdem liegt deren Zahl weltweit weiter vorn. Laut amnesty international wurden 2006 in China mindestens 1.010 Todesurteile vollstreckt.

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