Grüner Kuschel-Parteitag: Friede, Freude, Grundsicherung

"Fördern ohne fordern" lautet die Botschaft von Nürnberg. Die Führungsspitze bleibt unbeschädigt und trotz Kampfabstimmung fahren alle Flügel hochzufrieden nach Hause.

Erleichtert stoßen Parteichefs Roth und Bütikofer an. Die Basis hat sie verschont. Bild: dpa

Die Grünen verabschiedeten ein Programm für "Klimaschutz ohne Wenn und Aber". Dieser soll den Weg in die "solare Gesellschaft" ebnen und als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden. Neben dem Atomausstieg fordern die Grünen auch einen Ausstieg aus der Kohle.

In der Rechts- und Innenpolitik wandte sich der Parteitag gegen Stimmungsmache durch das Heraufbeschwören von Terrorszenarien. "Der Rechtstaat ist in Gefahr", heißt es gleich zu Beginn des Beschlusses, in dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Schüren von Angst und eine Erosion der Rechtstaatlichkeit vorgeworfen werden.

Ein neues NPD-Verbotsverfahren lehnten die Grünen als zum jetzigen Zeitpunkt ungeeignetes Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus ab.

Im zweiten Anlauf entschied sich die Partei außerdem für ein neues Parteilogo.

Manuel Emmler ist Stratege. Der 30-jährige Politologe hat selbst ein Modell für ein komplett neues Sozialsystem entworfen. "Bedingungsloses Grundeinkommen" wird es genannt. Allen Bundesbürgern würde der Staat ihren Lebensunterhalt finanzieren, ohne dass der Einzelne verpflichtet wäre, eine Gegenleistung zu bringen. Diese ziemlich utopisch klingende Idee hat der Parteitag der Grünen am Samstag in Nürnberg eindeutig abgelehnt. Trotzdem ist Emmler sehr zufrieden. "Alles andere hätte ein fatales Signal in die Öffentlichkeit gesendet", sagt er und raucht eine Selbstgedrehte in der Sonne vor dem Nürnberger Messezentrum.

Es war der merkwürdigste Parteitag, den die Grünen seit langem erlebt haben. Zwei grundverschiedene Konzepte lagen auf dem Tisch. Das Grundeinkommen und die Grundsicherung - beides Programme für eine großzügige soziale Sicherung jenseits der rot-grünen Agenda 2010. Die Idee des Grundeinkommens favorisierten sehr viele Delegierte aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Jeder Bundesbürger, so die Forderung, solle 420 Euro pro Monat plus diverse Zuschläge erhalten, auch wenn er oder sie keine Lust hat zu arbeiten.

Die fünf Spitzengrünen Reinhard Bütikofer, Claudia Roth, Renate Künast, Fritz Kuhn und Jürgen Trittin plädierten dagegen für ihr Modell der "grünen Grundsicherung" - eine Mischung aus verbessertem Hartz IV und einem 30 Milliarden Euro teuren staatlichen Bildungsprogramm.

Kaum haben die Delegierten ihre Abstimmungskarten in die Höhe gehalten, ist das Ergebnis klar: Die Mehrheit von 59 Prozent stimmt für den Antrag des Bundesvorstandes, das Grundeinkommen bekommt nur 41 Prozent Unterstützung. Aber Manuel Emmler kann das die Laune nicht verderben. Warum bloß? In der Öffentlichkeit hätte es sonst geheißen, sagt Emmler, dass die Partei ihren Vorstand "zerlegt" habe - und daran hat er kein Interesse.

Die Lage der Grünen-Vorsitzenden Reinhard Bütikofer und Claudia Roth vor dem Parteitag war in der Tat nicht die angenehmste. Während der vorausgegangenen Delegiertenkonferenz in Göttingen hatten die Mitglieder ihren Chefs eine empfindliche Niederlage beigebracht, indem sie gegen den Einsatz von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan votierten. Sollte so etwas in Nürnberg noch einmal passieren, sei der Rücktritt des Vorstandsduos nicht auszuschließen, berichtete Spiegel-Online aus dem Umkreis des Vorstands.

Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt können solche Gerüchte dazu beitragen, einen Parteitag zu disziplinieren. Selbst der Linke Christian Ströbele, ein Befürworter des Grundeinkommens, beeilte sich zu versichern, dass niemand den Vorstand "beschädigen" wolle. Auch andere prominente Fürsprecher des Grundeinkommens gaben sich erstaunlich zahm. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer brachte das Kunststück fertig, eine Rede für die Grundsicherung zu halten, obwohl er den baden-württembergischen Antrag für das Grundeinkommen unterschrieben hatte. Und auch der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske hielt sich auffallend zurück.

Die Sorge um den Vorstand ist aber nur eine Erklärung für die merkwürdige Harmonie von Nürnberg. Die andere zeigte sich Freitagnacht in einem Tanzsaal: An langen Holztischen, bei reichlich Bier und Rostbratwürsten, debattierte die Parteilinke. Dabei gab Ströbele die Losung aus: "Egal, ob Grundeinkommen oder Grundsicherung, in jedem Fall rücken die Grünen nach links." Das erfreute alle - großer Applaus.

Markus Kurth, dem sozialpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, war es vorbehalten, die Argumente zu nennen. Vor einem Jahr habe man sich noch gar nicht vorstellen können, wie weit sich der Bundesvorstand "bewegen" würde. Von der harten Haltung der Agenda-Zeit hätten sich die Spitzengrünen meilenweit entfernt, so Kurth. Ein Beispiel: Auch das Konzept der Grundsicherung beinhalte nun, dass der Regelsatz von Hartz IV auf 420 Euro pro Monat erhöht werden müsse.

Ähnlich sah es Manuel Emmler. Spielend konnte er aufzählen, welche Punkte der Bundesvorstand in sein Grundsicherungskonzept übernommen habe, um sich die Zustimmung der Grundeinkommensbefürworter zu sichern. Auch am Samstag verhandelten die beiden Seiten permanent, um den Antrag des Vorstandes auf maximale Zustimmung zu trimmen. Das interessanteste Ergebnis: Die Sanktionen gegen Erwerbslose sollen praktisch abgeschafft werden. Das ist Hartz IV ohne Bedingungen, fördern ohne fordern. Und das kommt dem Grundeinkommen schon ziemlich nahe.

Die meisten Delegierten von Nürnberg waren froh, dass der Parteitag ohne Katastrophe vorüberzog - die grüne Führung sowieso. Sie tat alles dafür, einigermaßen unbeschadet über die Runden zu kommen. Der als zu liberal kritisierte Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn mischte sich in die Sozialdebatte erst gar nicht ein. Roth und Bütikofer bemühten sich, die Freunde der Grundeinkommens zu umarmen, obwohl sie deren Programm für unsinnig halten. Dieses taktische Konzept ging auf: Mit der Mehrheit im Rücken steht die Führung jetzt besser da als vorher.

Nur wenige kritisierten den seltsamen Kompromiss. Der bekannteste Dissident war Oswald Metzger, der wirtschaftsfreundliche Sparpolitiker aus Baden-Württemberg. Per Interview hatte er vor dem Parteitag Hartz-IV-Empfänger als faule, fette Dummies geschmäht und seinen Austritt aus den Grünen für den Fall in Aussicht gestellt, dass seine Partei noch mehr Geld ins Sozialsystem pumpen wolle. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Wolfgang Bosbach fordert Metzger inzwischen via Bild-Zeitung auf, in die CDU einzutreten. Bosbach: "Den könnten wir in der Union gut gebrauchen."

Doch auch Metzgers kurze Rede in Nürnberg konnte den Fluss der Veranstaltung nicht aufhalten. Im Gegenteil: Dem gefährdeten Vorstand nützte es, dass der neoliberale Grünenschreck im Gang hinter den Delegiertentischen stand und ein Interview nach dem anderen gab. Bütikofer ließ sich diese Gelegenheit zur Abgrenzung nicht entgehen. "Oswald, wie soll man ein Kind von 2,50 Euro pro Tag ernähren?", rief der Vorsitzende in Anspielung auf Hartz IV in den Saal. Schlichte Frage, einfacher Trick, großer Erfolg. An keiner anderen Stelle erhielt Bütikofer so viel Applaus.

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