Die Zukunft des Biers

Am 23. April wird in vielen Gaststätten Deutschlands der „Tag des Biers“ höchst feierlich begangen. An diesem Tag wurde im Jahre 1516 das Reinheitsgebot durch den bayerischen Herzog Wilhelm IV. verkündet. Es gilt als die älteste lebensmittelrechtliche Verordnung der Welt und besagt, dass deutsches Bier nur aus den vier Grundstoffen Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden darf.Das erschien damals auch dringend angebracht. Denn hauptsächlich aus Kostengründen wurde früher dem „flüssigen Brot“ allerhand zugesetzt, was das Bier zu einem üblen Gebräu machte: Pottasche und Galle, Kälberfüße und Eiweiß wurden ins Bier gegeben. Gegen diese Praxis protestierten die Münchner derart nachhaltig, dass der Magistrat eine Bierprüfungskommission einsetzte – mit dem bekannten Ergebnis.

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Seit ein paar Wochen ist er Brauer. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er weiß nicht, ob er überhaupt selber Bier herstellen und das Gebräu ausschenken darf. Schließlich ist er kein gelernter Brauer, sondern hat sich alles selbst beigebracht. Im Berliner Bezirk Friedrichshain betreibt der 40-Jährige mit Freunden seit Jahren schon ein kleines Kino. Wenn er Dienst hat, ist er auch für den Schankraum vor dem Kinosaal zuständig, steht am Zapfhahn, lässt Wernesgrüner oder Berliner Pils in die Gläser laufen. Das Geschäft läuft nicht schlecht. Ende vergangenen Jahres hat er zum ersten Mal ein Fass Selbstgebrautes an die Zapfanlage angeschlossen. Das dunkle Bier ist gut angekommen bei den Gästen. Die Braukessel hat sich der Tüftler, der sich über Jahre mit der Wartung alter Filmvorführgeräte beschäftigt, selbst zusammengeschraubt. Bald ist der nächste Sud fertig. Er hofft, dass sein Dunkles bald schon so gut ist wie die tschechischen Biere, von denen er so schwärmt.

Rudolf Caspary lächelt milde, als er sich die Geschichte des Subkulturbrauers anhört. „Man muss das Bier nicht neu erfinden“, sagt er, „und das Brauen schon gar nicht.“ Caspary baut Brauereien. Er ist Bierprofi, dessen Rat überall auf der Welt gefragt ist. Er baut große Industrieanlagen ebenso wie kleine Braukessel für Gasthausbrauereien. Auch er träumt vom perfekten Bier. Er schwärmt von den Möglichkeiten, die gerade diese Minibrauereien bieten, die nur für den Bedarf einer einzigen Gaststätte produzieren. Deshalb findet er den Berliner Freak nicht nur naiv. Caspary ist fasziniert von Menschen, die auf der Suche nach der Zukunft des Biers sind. Solange es solche gibt, wird auch er mit seiner Firma ein gutes Auskommen haben.

Auslandsgeschäft boomt

Die macht einen Großteil ihres Geschäfts im Ausland. Caspary-Anlagen stehen in Russland, in China, auf den Philippinen oder in Thailand. Meist sind es Gasthausbrauereien, betrieben von einem deutschen Brauhaus, das durch den Ausschank die eigene Marke bewerben will. So stehen in Peking, Manila oder Schanghai Produktionsstätten der Münchner Paulaner-Brauerei, mit der Caspary oft zusammenarbeitet. Das Geschäft funktioniert. Dass das nicht nur an der Qualität des Biers liegt, weiß Rudolf Caspary. Die deutsche Ess- und Trinkkultur profitiere vor allem im Fernen Osten von einem gewissen „Exotenbonus“. Eine gewisse Vorstellung von Deutschland habe man überall auf der Welt. Auch, dass Deutschland eine große Biertradition habe, sei bekannt. Aber Vorstellungen davon, was ein typisch deutsches Bier ausmache, die gebe es nicht.

Rudolf Caspary sitzt im Airbräu am Münchner Flughafen. Am Übergang zwischen den zwei Terminals hat seine Firma eine Wirtschaft mit Mini-Brauerei eingerichtet. „Ein unmöglicher Ort“, weiß der Ingenieur, „aber ich mag ihn.“ Er spricht von den Schwierigkeiten bei der Einrichtung des Schankraums. Auch die hat er mit seinem Betrieb besorgt. Ein Gasthaus zum Wohlfühlen in der Glas- und Stahlwelt des Airports stylen sei nicht einfach gewesen. Aber eben auch nicht wirklich schwierig. Denn in der Mitte des Gastraumes stehen die zwei kupfernen Braukessel. „Da kann man eigentlich nichts falsch machen, das sieht immer gut aus“, sagt der schlanke, grauhaarige Mann, der so frisch aussieht, als sei er einer Infobroschüre über gesundes Altern entsprungen. Es ist elf Uhr vormittags. Im Airbräu sind etwa ein Viertel der Tische besetzt. An beinahe jedem wird Bier getrunken. „Es funktioniert“, freut sich Caspary. So wie es bei den meisten der 140 Brauereien funktioniert, die er bisher gebaut hat. In einer Gasthausbrauerei wird pro Quadratmeter Gastraum mehr als zehnmal so viel Bier ausgeschenkt als in einer normalen Gaststätte.

Bier trinken hat Zukunft. Davon ist Caspary überzeugt, auch wenn er weiß, dass die Absatzzahlen der deutschen Brauereien seit Jahren rückläufig sind. Im Jahr 2007 wurde nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes in Deutschland so wenig Bier getrunken wie schon seit 16 Jahren nicht mehr. Etwas über 103 Millionen Hektoliter wurden verkauft, das entspricht einem Pro-Kopf-Verbrauch von 113 Litern. Zuwächse gab es nur im Bereich der sogenannten Bier-Mischgetränke. Doch die konnten die Verluste insgesamt nicht ausgleichen. Große Hoffnung setzen die Hersteller dieses Jahr auf alkoholfreie Biermixgetränke, Getränke also, die mit dem herkömmlichen Bier nur noch wenig gemein haben. Immer besser kommt das Bier indes bei Jugendlichen an. Die „Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (Espad)“ hat festgestellt, dass bereits 66,8 Prozent der Neunt- und Zehntklässler regelmäßig Bier trinken. Mit Biergenuss im wörtlichen Sinn dürfte deren Konsumverhalten allerdings nur wenig zu tun haben. „Können Sie mir sagen, warum Sie ein bestimmtes Bier trinken?“, fragt Caspary. Er erwartet keine Antwort. Dann erklärt er, worauf es bei einem „Industriebier“ ankommt. „Das Wichtigste ist die Haltbarkeit.“ Klar und hellgelb müsse es sein. Diese Kriterien erfüllen alle großen Biere in Deutschland. Und der Geschmack, der muss massenkompatibel sein. „Wenn Sie nicht beschreiben können, wie ein Bier schmeckt, dann schauen Sie doch auf das Etikett, da steht es meistens drauf.“ Ein Bewusstsein für den Geschmack eines Bieres hat sich im Land der Biertrinker nicht entwickelt. Die „Fernsehbiere“ würden meist über die Glaubwürdigkeitsschiene beworben. Da sieht man Wasser plätschern, das Getreide wiegt sich im Wind und nicht selten ist auch ein Braumeister zu sehen, der noch eine Hopfendolde zur Maische in den Kessel gibt. Ein Bier muss echt sein, dann wird es gekauft. Auf Bierempfehlungen von Gastrokritikern könne man getrost verzichten. „Was soll denn da drinstehen?“, fragt Caspary.

Kein Wunder also, dass das Brauereisterben in Deutschland weitergeht. Immer weniger unabhängige Brauereien können sich den Übernahmeangeboten der Getränkekonzerne verweigern. Die belgische InBev-Gruppe ist als großer Global Player auch am deutschen Markt überaus präsent. Mit den Traditionsmarken Löwenbräu, Beck’s, Hasseröder, Franziskaner oder Diebels sind die Belgier der zweitgrößte Bierproduzent Deutschlands mit einem Ausstoß von 9 Millionen Hektolitern pro Jahr. Größter Bierhersteller ist die Radeberger-Gruppe mit einem Marktanteil von über 14 Prozent. An 14 Standorten werden knapp 15 Millionen Hektoliter Bier im Jahr gebraut, unter anderem die Marken Jever, Schöfferhofer, Tucher oder Brinkhoff’s. Bis 2010 strebt die Radeberger-Gruppe einen Marktanteil von 20 Prozent an. Auf dem Weltmarkt ist sie dabei eine kleine Nummer. Der wird von der InBev dominiert, die in 130 Ländern aktiv ist und bei einem Absatz von 275 Hektolitern im Jahr 2007 insgesamt 14 Milliarden Euro umgesetzt hat. Mit der Marktkonzentration ist auch eine Vereinheitlichung des Geschmacks verbunden. So ist das deutsche Industriebier beinahe zu einem Einheitsgebräu geworden. Kleine Brauereien werden geschluckt, große Braukonzerne entstehen. In den Regalen der Getränkemärkte wird immer ein Gebräu stehen, das nach Bier schmeckt, das den Erwartungen der meisten Konsumenten gerecht wird. Welcher Konzern, welche Investoren hinter den Marken stehen, das interessiert den Konsumenten nicht. Weil die deutschen Brauereien ihr Land nie verlassen hätten, werden die bekannten Marken bald alle in ausländischer Hand sein. „Die deutschen Brauereien haben die Chancen der Globalisierung nicht erkannt. Jetzt sind sie selbst Objekt von Übernahmefantasien ausländischer Investoren.“ Caspary weiß, wovon er spricht. Er stammt aus einer Brauerdynastie in Trier. Deren Brauhaus, gegründet 1788, wurde vor beinahe 30 Jahren von einer Großbrauerei übernommen. Die Marke Caspary verschwand vom Markt. Die große Bierindustrie frisst die kleinen Braustätten. Sie sieht ihre Zukunft in den Fernsehbieren.

Ruhig mal was wegkippen

Eine Zukunft haben aber auch die Biere der kleinen Mini-Brauereien, davon ist Caspary überzeugt. „Was brauche ich die ganze Großstadt“, sagt er, „wenn ich 2.000 Leute habe, die mich gut finden.“ Er schaut durch das Airbräu. „Ist Ihnen aufgefallen, dass hier ganz wenige Koffer stehen?“, fragt er. Nicht nur Reisende trinken ein schnelles Bier am Flughafen. Das Airbräu kommt bei den Bewohnern der näheren Umgebung an. Der Anteil der Reisenden am Umsatz liegt bei 50 Prozent. Es könnte am ungefilterten Bier liegen. Am eigenen Geschmack des „Flieger-Quells“ oder des Weißbiers, des „Kumulus“.

Ja, das Bier sei schon nicht schlecht, sagt Caspary, der seine Firma im Chiemgau, im tiefsten Oberbayern, angesiedelt hat. „Aber die Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft.“ Die Braumeister müssten einfach mehr ausprobieren. Wenn sie einen Sud wegkippen müssen, dann sei das doch nicht schlimm. 200 Euro koste das, mehr nicht. „Die müssten einfach anders denken.“ Ein bisschen so vielleicht wie der Berliner Tüftler, der demnächst wieder ein Fass Selbstgebrautes an den Hahn seiner Kneipe hängen will.