SPD will Schulabbrechern helfen: Ein Recht auf Hauptschulabschluss

Arbeitsminister Scholz will Schulabbrechern das Recht auf einen Hauptschulabschluss einräumen. Doch die Idee ist umstritten.

Schulabbrecher sollen eine zweite Chance bekommen, findet die SPD. Bild: dpa

BERLIN taz Die Schulkarriere des Arbeitsministers verlief vorbildlich. Olaf Scholz besuchte die Grundschule in Hamburg-Großlohe und legte am Gymnasium im beschaulichen Vorort Rahlstedt ein hervorragendes Abitur ab. Die neueste Idee aus Scholz Ministerium richtet sich an die, die in ihrer Bildungskarriere nicht so viel Glück hatten wie er: an Jugendliche, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Jedes Jahr sind das rund 80.000 in Deutschland. Viele von ihnen stammen aus armen Familien oder sind Einwandererkinder.

Olaf Scholz versucht, die Arbeitsmarktpolitik zu straffen und neu auszurichten. Dazu gehört das Recht auf einen Hauptschulabschluss in Fördermaßnahmen des Bundes. Die Idee, an der sich andere Länder bereits orientieren, lautet: Die Schulen sind dafür verantwortlich, ihren Schülern etwas beizubringen, anstatt sie ohne Abschluss zu entlassen.

Scholz will auch die unübersichtliche Zahl der Förderinstrumente entrümpeln und die bisher 52 Fördertöpfe auf 25 vermindern. Einzelne Bearbeiter sollen ein Vermittlungsbudget erhalten, mit dem sie unbürokratisch Hilfen zuteilen können. Die Bundesagentur soll zudem ein Budget für Experimente bekommen, um neue Ideen zu testen.

Ihnen will die SPD einen Rechtsanspruch darauf geben, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Ein Gesetzentwurf, welcher der taz vorliegt, justiert die klassische Arbeitsmarktpolitik neu - indem sie die Bildung zu ihrer Aufgabe macht: "Die Vorbereitung auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses", heißt es in dem Entwurf, "soll durch einen Rechtsanspruch gefördert werden." Allerdings sollen Jugendlichen nur dann Angebote unterbreitet werden, "wenn der Hauptschulabschluss voraussichtlich erreicht werden kann".

Auch Erwachsenen, deren erste Schulkarriere ohne Abschlusszeugnis geendet hat, will die SPD das Recht auf einen neuen Anlauf verbriefen. Dabei sollen die Aspiranten ab Januar 2009 nicht nur die Schule besuchen, sondern sich gleichzeitig beruflich qualifizieren. Das Nachholen des Abschlusses solle nicht isoliert erfolgen, steht im Scholz-Papier, "da integratives Lernen mit Fachtheorie und Fachpraxis erfolgsversprechender ist". Ob es nun der Hauptschulabschluss, eine Ausbildungsprämie oder die stärkere Förderung benachteiligter Jugendlicher ist - das 13-seitige Papier konzentriert die Aufmerksamkeit auf diejenigen, die erst noch in den Arbeitsmarkt wollen.

Die SPD-Linke begrüßt die "neue Philosophie" von Olaf Scholz. "Die Arbeitsmarktpolitik muss nachholen, was die Schulen nicht geschafft haben", sagt Andrea Nahles im Gespräch mit der taz. Auch vom Koalitionspartner kommt Unterstützung: "Die Union ist offen für die Vorschläge des Ministers", sagt Ralf Brauksiepe, der Arbeitsmarktexperte der CDU-Fraktion. "Die Notwendigkeit, möglichst allen einen Schulabschluss zu ermöglichen, steht außer Frage."

Bei Politikern, Gewerkschaftern und und Experten setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine vorbeugende Arbeitsmarktpolitik die sinnvollere ist. "Die Idee, Bildungsdefizite auszugleichen, ist richtig. Auch weil Prävention kostengünstiger als Nachsorge ist", sagt Wilhelm Adamy, der beim DGB für Arbeitsmarkt zuständig ist.

Im Jahr 2006 verließen knapp 970.000 junge Erwachsene die Schule, rund 8 Prozent davon ohne jedes Abschlusszeugnis. Dem Statistischem Bundesamt zufolge steigt die Zahl der Abbrecher seit den Neunzigerjahren. Vor allem aber: Aus 8 Prozent Schulabbrechern werden am Ausbildungsmarkt 15 Prozent Jugendliche ohne Berufsabschluss, sogenannte "junge Ungelernte". Sie und die Schulabbrecher gelten als die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt schlechthin: Im April 2008 waren den Angaben der Arbeitsagentur zufolge gut 510.000 Menschen ohne Abschluss arbeitslos - aber nur 260.000 Abiturienten.

"Ohne Abschluss ist die Stellensuche unglaublich schwierig", bestätigt Frauke Wille, die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. "Ein Hauptschulabschluss verbessert die Chancen deutlich. Auch wenn er in den letzten zehn Jahren auf dem Lehrstellenmarkt abgewertet wurde, weil Firmen lieber Realschüler einstellen."

Dennoch ist die Idee des Arbeitsministers umstritten. Wie die taz erfuhr, ist man im CSU-geführten Wirtschaftsministerium der Ansicht, dass das Papier gegen den Koalitionsvertrag verstößt. Darin sei festgelegt, dass die Mittel der Bundesagentur "zielgenauer, sparsamer und effizienter eingesetzt werden".

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Bildung und Schulpolitik sind Ländersache. Bezahlen soll den Hauptschul-Plan aber die Bundesagentur für Arbeit. Im Eckpunktepapier steht, dass jugendliche Hartz-IV-Empfänger den Hauptschulabschluss auf Kosten der Arbeitsagentur nachholen sollen, obwohl für ihre Betreuung die Kommunen zuständig sind und Schulen über Steuern finanziert werden. Bei Erwachsenen soll die Agentur die Hälfte der Kosten übernehmen.

Der CDU-Politiker Brauksiepe sieht hier noch Klärungsbedarf, betont aber: "Die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen, gehört zum arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium. Die Menschen dürfen nicht zwischen Institutionen und Zuständigkeiten zerrieben werden." Die Arbeitsagentur trägt die Neuausrichtung nicht nur mit, ihr Vorstandsvorsitzender Frank-Jürgen Weise treibt sie aktiv voran. Bei jeder Gelegenheit betont er, wie wichtig "systematische Prävention" sei. Wer die Schule abschließt, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst Beitragszahler, anstatt das System dauerhaft zu belasten.

Interessenvertreter der Arbeitnehmer sehen die Aufgabenvermischung naturgemäß weniger lässig. "Es gibt keine Rechtfertigung für einen solchen Verschiebebahnhof", sagt Adamy. Den Beitragszahlern dürften "nicht mehr und mehr Aufgaben der staatlichen Fürsorge aufgebürdet werden". Er verweist auf Projekte, in denen längst Geld aus der Arbeitslosenkasse in Bildungsarbeit gesteckt wird. In der vertiefenden Berufsorientierung gehen etwa Berufsberater und Firmenchefs in Hauptschulklassen, um Jugendliche früh auf den Job vorzubereiten. 80 Millionen Euro wollte sich die Arbeitsagentur das Projekt im Jahr 2007 kosten lassen, wenn die Länder noch einmal so viel beisteuern. "Leider konnte die Agentur nur 20 Millionen ausgeben", sagt Adamy. "Denn die Länder trugen ihren Teil nicht mit."

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