„Wir duzen uns nicht!“

MODERATIONHANNA GERSMANN
UND BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Bode, wenn morgen der Kanzler anrufen und Sie in den Nachhaltigkeitsrat berufen sollte – dann lehnen Sie ab, oder?

Thilo Bode: Ja.

Warum?

Bode: Weil ich keine Zeit habe. Und weil ich finde, dass der Rat viel zu wenig pointiert Kritik übt an der nicht nachhaltigen Politik der Regierung. Am Ende wird im Konsens entschieden, und was politisch nicht geht, wird nicht gemacht. Ich halte solche Gremien für überflüssig.

Sie sitzen im Nachhaltigkeitsrat, Frau Zahrnt. Ist dort nur Friede, Freude Konsens?

Angelika Zahrnt: Ich halte das Gremium nicht für überflüssig. Es hat eine wichtige Funktion.

Bode: Keiner kennt den Rat. Was er sagt, ist völlig irrelevant.

Zahrnt: Das sagen Sie.

Bode: Beweisen Sie mir das Gegenteil.

Zahrnt: Zu unseren Veranstaltungen kommen 1.000 Besucher.

Bode: Die kommen alle aus einer Gemeinde.

Zahrnt: Das ist ein Kristallisationspunkt für die Nachhaltigkeitsdebatte. Die Kritik „viel zu zahm, bewegt nichts“ ist falsch. Wir fordern die massive Reduzierung des Flächenverbrauchs, und die Bundesregierung hat das in ihre Nachhaltigkeitsstrategie übernommen. Wir fordern die Abschaffung der Pendlerpauschale und der Eigenheimzulage, ein CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020. Außerdem macht niemand sonst so viel Kommunikation für Nachhaltigkeit.

Ihnen reicht das nicht, Herr Bode.

Bode: Nein. Die Frage ist doch, wofür setzen die Umweltverbände ihre Ressourcen ein. Ein Gremium wie der Rat fördert den Konsens. Die Themen, über die es Dissens gibt, die kommen nicht an die Öffentlichkeit. Angesichts der nationalen und internationalen Umweltsituation müssen wir aber fragen: Ist es richtig, sich so einbinden zu lassen? Ich sage: Das ist Inzucht, was der Rat treibt. Er macht Politikberatung, und das ist nicht Sache der Umweltverbände.

Was ist denn Sache der Umweltverbände?

Bode: Die Fragen zu thematisieren, die nicht angesprochen werden. Zum Beispiel: Dass das Wirtschaftswachstum, das alle ersehnen, die Umwelt zerstört. Dass Sozialreformen wie Hartz IV zur ökologischen Katastrophe beitragen, weil sie Verteilungskonflikte über forciertes Wirtschaftswachstum lösen wollen. Dass es eine Außenpolitik geben müsste, die die Länder in die Pflicht nimmt, die den Regenwald zerstören. Da hört man die Umweltverbände nicht.

Zahrnt: Stimmt nicht. Die Umweltverbände haben eine lange Tradition der Wachstumskritik. Wir haben den wachstumskritischen Kongress McPlanet zusammen mit Attac organisiert. Wir orientieren unsere aktuelle Politik aber auch daran, welche Themen aktuell gehört werden und zu den derzeitigen Politikzielen passen. Beim Thema Innovation zeigen wir Arbeitsplatzpotenziale im Umweltschutz auf. Aber wir üben auch Kritik. Ihre Wahrnehmung entspricht also nur begrenzt dem, was wir wirklich tun. Außerdem sitzen nicht die Umweltverbände im Rat, sondern Einzelpersonen.

Bode: Ich sage, das Thema fehlt – und Sie sagen, dazu haben wir vor zwei Jahren etwas gesagt. Die Umweltverbände müssen Kontrapunkte setzen. Und wenn keiner über die negativen Folgen des Wachstums redet, dann müssen die Verbände das jeden Tag tun. Und sie müssen Alternativen aufzeigen.

Zahrnt: Es bringt nichts, wenn wir am Ende jeder Presseerklärung sagen: Im Übrigen sind wir gegen jedes Wachstum, solange es nicht vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt ist. Unsere Position schlägt sich in unserer aktuellen Politik nieder, in unserer Arbeit zu den Themen Verkehr, Chemie oder Energie.

Bode: Es wäre vielleicht ganz gut, bei jeder Pressekonferenz zu sagen: Im Übrigen meinen wir, dass es so nicht weitergeht. Wir müssen nämlich das ganze Wachstumsparadigma in Frage stellen. Wachstum können wir uns nur leisten, wenn es ökologisch verträglich ist. Und die Einzigen, die es sich aus ökologischer Sicht noch leisten können, Mercedes zu fahren, das sind die Chinesen. Das wäre ein Argument für globale Klimagerechtigkeit. Das Thema muss auf den Tisch, und zwar drastisch: Malt euch doch mal aus, was passieren würde, wenn wir vier Prozent Wachstum hätten. Die Umweltverbände sind bei dieser Debatte völlig unwichtig geworden.

Was wäre denn ein Erfolg in Ihren Augen?

Bode: Ein Erfolg wäre es, Vertreter der Umweltverbände mal zu Sabine Christiansen zu bringen oder das Thema mit einem großen Beitrag in einer etablierten Zeitung auszubreiten. Versuchen Sie, eine Gegenstimme aufzubauen! Aber Sie versuchen es ja gar nicht. Weil Sie ganz entlarvend gesagt haben, Sie behandeln das Thema Wachstum an Hand der Eigenheimzulage.

Zahrnt: Die Themensetzung und Einladungspraxis von Sabine Christiansen sind ein Kapitel für sich. Und die Eigenheimzulage hat sehr wohl etwas mit Wachstum zu tun, mit dem Wachstum des Flächenverbrauchs und der Bauindustrie. Wir kritisieren die Wachstumspolitik an verschiedenen Punkten und zeigen, dass wir unseren Konsum- und Lebensstil nicht aufrechterhalten können, dass der Verbrauch von Ressourcen und Energie bis 2050 um 80 Prozent runter muss. Denken Sie nur an die Studie und Kampagne „Zukunftsfähiges Deutschland“. Damit erreichen wir durchaus auch die etablierten Medien.

Bode: Aber wir haben doch kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. In der Lissabon-Strategie der EU zum Wachstum in Europa kommt der Begriff Ökologie kein einziges Mal vor. Die Debatte des Mainstreams berücksichtigt ökologische Grenzen viel weniger als noch vor fünf Jahren. Heute geht es um Arbeitsplätze, Globalisierung, Sozialstandards und Standorte. Was haben die Umweltverbände dazu zu sagen?

Zahrnt: Wir machen Studien und Demonstrationen, nehmen Einfluss auf die Politik und wir informieren die Öffentlichkeit. Wir fordern immer wieder, Soziales und Ökologisches stärker zu verbinden. Gerade, wenn wir kein Wachstum haben, ist die Verteilungsfrage wichtig. Und wir müssen darüber reden, wie Wohlstand definiert wird, materiell oder vielfältiger. Aber als Umweltverband werden wir zu Sozialthemen kaum gehört. Uns wird da wenig Kompetenz zugestanden.

Bode: Dann muss man sich solche Kompetenz eben aneignen und sie mit langem Atem verteidigen. Wir haben 1991 bei Greenpeace mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die erste wirklich durchgerechnete Studie zur Ökosteuer vorgelegt. Am Anfang hat man uns die Kompetenz abgestritten, aber wir waren hartnäckig, bis der Gedanke sich durchgesetzt hat.

Aber bei der Ökosteuer haben Sie das getan, was Sie den Verbänden jetzt gerade vorwerfen: Sie haben sich in den politischen Nahkampf begeben und nicht nur von draußen protestiert. Wie nah am politischen Geschehen muss man sein, wenn man etwas politisch bewegen will?

Bode: Da gibt es keine goldene Regel. Nur eine Illusion darf man nicht haben: zu glauben, Macht und Einfluss zu besitzen, wenn man mit Ministern spricht. Ich habe unseren Lobbyisten immer gesagt: Ohne die Leute, die draußen stehen und Rabatz machen, hätte sich diese Tür für euch gar nicht geöffnet.

Zahrnt: Ich wehre mich gegen den Eindruck, die Umweltverbände wären handzahm. Es war der BUND, der das Thema Ökosteuer Ende der 80er-Jahre in die Debatte gebracht hat. Jetzt fordern wir eine Weiterentwicklung der Ökosteuer, die viele am liebsten vom Tisch hätten. Wir fordern die Kerosinsteuer, womit wir uns auch nicht beliebt machen. Wir gehen in alle Parteien und in die Gremien und werben für Mehrheiten. Auch die Grünen müssen verstehen, dass wir Kritik an ihnen äußern und nicht zur Verstärkung ihrer Ziele da sind.

Bode: Mit den Grünen sind Sie viel zu nachsichtig. Diese Partei hat ihre eigenen umweltpolitischen Ziele verraten. Sie hat kein Konzept für ein Energiesystem nach dem Atomausstieg, die Verkehrspolitik ist ein Desaster, die Regenwaldpolitik ist ein Desaster. Bei den Sozialfragen sitzen Sie mit den Gewerkschaften zusammen, die auch ans Wirtschaftswachstum glauben. Die Grünen bieten schon längst keine ökologischen Perspektiven mehr. Der öffentliche Druck, den die Regierung braucht, den üben die Umweltverbände nicht aus. Und zwar auch, weil sie zu viel in Gremien sitzen und gar nicht die Zeit dafür haben.

Sie wollen die Öko-APO?

Bode: Na und? Das ist doch legitim. Man muss Koalitionen suchen und die Machtfrage stellen: Wie kann man gegen die Macht derer vorgehen, die die Umwelt zerstören?

Zahrnt: Das mit der Machtfrage ist doch Verbalradikalismus, der nicht weiter hilft. Wir stellen die Machtfrage doch in jeder Auseinandersetzung. Bei der Gentechnik, wenn es darum geht, ob Monsanto mehr Macht hat oder die Verbraucher. Oder bei unserer Kampagne, die verbindliche Regeln für internationale Konzerne fordert.

Die Umweltbewegung war am Anfang eher ideologisch und antikapitalistisch. Inzwischen ist sie sehr pragmatisch. Muss sie wieder ideologischer werden?

Bode: Als ich zur Umweltbewegung gekommen bin, war für die meisten klar: Kapitalismus ist gleich Umweltzerstörung. Dann kam mit der Konferenz in Rio 1992 die Überzeugung, man könne diese Probleme auch in einer wachstumsorientierten Gesellschaft lösen. Da hieß es, Effizienz ist das Wichtigste. Heute muss man das wieder grundsätzlich diskutieren. An einem System, in dem Wachstum das einzige Ziel ist, muss man etwas ändern. Natürlich hat niemand was gegen die kleinen Gruppen, aber wenn lauter Leute kleine Löcher flicken und gleichzeitig der Kahn absäuft, dann haben wir ein großes Problem. Und das muss man den Leuten auch sagen.

Aber diese Leute haben inzwischen ein weitaus größeres Bewusstsein für Umwelt als früher.

Bode: Die Leute verprassen Energie und trennen den Müll. Man muss ihnen sagen, dass das völlig bescheuert ist.

Zahrnt: Man muss Verschiedenes tun: vor Ort arbeiten, die Öffentlichkeit informieren, Bündnisse schmieden, Politik beeinflussen. Sie sind bei Greenpeace doch auch eine Strategie der Konfrontation und der Kooperation gefahren. Ich denke da an den ersten FCKW-freien Kühlschrank, den Sie mit der Firma Foron entwickelt haben.

Bode: Das ist ein großes Missverständnis. Wir haben immer nur Konfrontation gemacht. Die Greenfreeze Kampagne war ein frontaler Angriff gegen die gesamte Kühlschrankindustrie. Und Foron war dann auch pleite. Eine Strategie der Konfrontation führt zur Radikalisierung. Aber die ist notwendig. Gerade auch im internationalen Bereich.

Zahrnt: Der BUND ist nicht weniger radikal, weil er in Gremien mitarbeitet. Wir haken ein, wenn es um Hermesbürgschaften für Staudämme geht, oder wenn Rot-Grün etwa das Siemens-AKW Angra III in Brasilien fördern will. Ich war in der Delegation und habe zu Trittin gesagt: Das ist ein Problem, das kannst du nicht unter den Tisch fallen lassen.

Sie duzen Trittin?

Zahrnt: Ja. In unserer Generation ist das so üblich.

Bode: Ich bin die gleiche Generation und duze Sie nicht.

Zahrnt: Wir haben auch sehr wenig miteinander zu tun gehabt. In grünen und Umweltkreisen ist das Du oft üblich.

Herr Bode, darf man als Umweltaktivist den Umweltminister duzen?

Bode: Ich würde das Duzen vermeiden, es muss allerdings nicht gleich Abhängigkeit bedeuten. Aber natürlich ist die Gefahr da, dass eine zu große Nähe zwischen Rot-Grün und den Umweltverbänden dazu führt, dass Konflikte nicht thematisiert werden, wo es nötig wäre.

Zahrnt: Wir sprechen die Konflikte an. Aber ich finde auch, dass die Umweltverbände zu wenig gehört werden, das liegt sicher auch an der Dominanz anderer politischer Themen.

Bode: Vielleicht liegt es daran, dass Sie so wenig zu sagen haben.

Zahrnt: Das ist jetzt Ihre Vermutung. Ich habe Ihnen einen Stapel Material mitgebracht, der zeigt, dass das nicht stimmt. Und: Man kann auch in Gremienarbeit Druck machen. Es hat was für sich, unmittelbar mit den Leuten sprechen zu können. Das funktioniert aber natürlich nur, wenn man gleichzeitig auch öffentlich Druck macht und seine kritische Distanz bewahrt. Ich sitze im Nachhaltigkeitsrat mit Eggert Voscherau, dem stellvertretenden Vorstandschef von BASF, zusammen. Trotzdem haben wir eine Plakatkampagne zur Chemiepolitik mit dem Titel „Endstation Mensch“ gemacht, in der die Belastung durch gesundheitsgefährdende Chemikalien angeprangert wird. Darüber hat sich der Verband der Chemischen Industrie mächtig aufgeregt.

Bode: Die Debatte gibt es schon seit zwanzig Jahren.

Zahrnt: Die Wachstumsdebatte ist auch zwanzig Jahre alt. Das heißt nicht, dass es nicht richtig ist. Es gibt sicher eine Gefahr, das Konfrontative unter den Tisch zu kehren. Wir müssen Optionen suchen, die für alle von Vorteil sind und gleichzeitig deutlich machen, wo es heftige Konflikte gibt.

Frau Zahrnt, erreichen Sie mehr als andere, weil Sie in Gremien sitzen und hinterher mit den zuständigen Leuten ein Bier trinken gehen?

Zahrnt: Das ist ein Weg der Beeinflussung. Man ist mit seinen Argumenten dichter dran. Es macht einen Unterschied, ob ich einen Brief an jemanden schreibe oder mit jemandem sprechen kann.

Wichtiger, als mit jemandem zu sprechen, wäre es vielleicht, sich vor seiner Bürotür anzuketten?

Bode: Das würden Sie nicht machen.

Zahrnt: Doch, wir machen beides. Bei der Debatte um den Emissionshandel stand ich vor dem Wirtschaftsministerium.

Bode: Warum haben Sie denn nicht bei Trittin demonstriert?

Zahrnt: Weil ich es wichtig fand, bei Clement zu protestieren.

Bode: Aber Trittin hat sich über den Tisch ziehen lassen.Wäre es ein CDU-Umweltminister gewesen, hätten Sie bei ihm demonstriert, da wette ich mit Ihnen.

Zahrnt: Falsch, denn Clement ist der ökologische Versager.

Bode: Aber Trittin ist zuständig fürs Ressort. Clements Aufgabe ist nicht, die Umwelt zu retten, sondern die Wirtschaft zu schonen.

Zahrnt: Aber der Emissionshandel ist ein Projekt der gesamten Bundesregierung. Clement war der Bremser. Deshalb muss man dort demonstrieren. Die Begründung liefern wir in einer Presserklärung, in der auch der Umweltminister kritisiert wird.

Bode: Eine Pressemitteilung! Das ist ja wirklich toll!

Die Umweltverbände sagen, mit der Union wäre alles noch viel schlimmer.

Bode: So kann man nur argumentieren, wenn man sich selbst schon als Teil der ganzen Gemengelage sieht. Das ist zu parteitaktisch gedacht. Natürlich können Sie die gesamte Regierung angreifen, aber das ist nicht effektiv. Das läuft darauf hinaus: Die Grünen sind eine tolle Partei, aber leider mit der SPD zusammen, die wirtschaftsfreundlich ist. Damit entschuldigen Sie alles. Man könnte ganz anders argumentieren. Gerade weil die Grünen als einzige Partei eine wirklich ökologische Agenda haben, darf man es ihnen nicht nachsehen, wenn sie sich über den Tisch ziehen lassen, bei der Ökosteuer, beim Verkehr oder beim Emissionshandel.

Zahrnt: Wir haben da ein anderes Verständnis. Der Umweltminister kann den Emissionshandel nicht allein machen. Die Grünen sind die kleinere Partei. Umweltschutz ist nicht die Aufgabe nur eines Ressorts, und Nachhaltigkeit schon gar nicht.

Bode: Und das ist genau die Schärfe, die ich vermisse. Haben Sie schon mal eine Demo gegen Trittin gemacht?

Zahrnt: Da muss ich nachdenken.

Bode: Dass Sie überhaupt nachdenken müssen, ist ein schlechtes Zeichen.