Regierung will Sperrgebiete für Neonazis

Kanzler und Bundestags-Grüne unterstützen Schily-Vorstoß zur Verschärfung des Versammlungsrechts. Demo-Verbot an besonders symbolträchtigen Orten wie dem Holocaust-Mahnmal und überall, wo NS-Verherrlichung zu erwarten ist

VON ASTRID GEISLER

Mit einem Überraschungscoup hat sich die Bundesregierung in die Debatte über den Umgang mit der NPD eingeschaltet. Innenminister Otto Schily (SPD) will das Versammlungsrecht so verschärfen, dass Neonazis an besonders exponierten Orten wie dem Holocaust-Mahnmal nicht mehr aufmarschieren dürfen. Bei Rot-Grün gab es unterschiedliche Reaktionen auf den Vorstoß. Schily kann aber auf prominente Mitstreiter setzen.

Nicht nur der Bundeskanzler tat gestern via Regierungssprecher seine „ausdrückliche“ Unterstützung kund. Auch das Justizministerium von Brigitte Zypries (SPD) brachte keine Einwände gegen den Gesetzentwurf vor. Mit den Ländern sei der Vorstoß ebenfalls „sehr breit abgestimmt“, versicherte Schilys Sprecher. Selbst die Spitze der Bundestags-Grünen signalisierte ihre Unterstützung: „Wohlwollend“ werde man sich die Vorschläge anschauen, versprach Fraktionschefin Krista Sager.

Den Inhalt des Gesetzentwurfs wollte das Innenministerium gestern nur skizzieren. Kein Kommentar zu einzelnen Formulierungen. Bereits kursierende Zitate aus dem Regelwerk bestritt Schilys Sprecher aber nicht. Demnach könnten künftig Demonstrationen an einem Ort grundsätzlich verboten werden, der „an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert und als nationales Symbol für diese Behandlung anzusehen ist“. Darunter, so Schilys Sprecher, falle zum Beispiel das Holocaust-Mahnmal, aber nicht das Brandenburger Tor. NPD-Aufmärsche dort könnte aber eine andere Regelung verhindern: Nach Schilys Plänen soll ein Verbot auch ortsunabhängig möglich sein, wenn „nach erkennbaren Umständen zu erwarten ist, dass in der Versammlung nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost wird“.

Ob das schärfere Versammlungsrecht noch vor der geplanten NPD-Demo am Brandenburger Tor am 8. Mai kommt, ist allerdings ungewiss. Denn bei Rot-Grün können sich noch nicht alle für die Schily-Pläne begeistern. Mehrere Innenpolitiker meldeten gestern Bedenken an, darunter auch die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD). Es dürfe keine „Gesinnungsverfolgung“ geben, mahnte sie. Auch Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, appellierte an die Koalition, sich nicht von der NPD zu solch gravierenden Einschnitten in Grundrechte verleiten zu lassen. Zuvor hatte bereits Grünen-Chefin Claudia Roth ihr „Nein“ zu Schilys Plänen angekündigt. Ihre Begründung: Das geltende Versammlungsrecht biete ausreichend Möglichkeiten, „um mit dem Rechtsextremismus auf der Straße umzugehen“.

Einig sind sich aber bisher von Roth bis Schily alle Koalitionspolitiker: Von einer Ausweitung der Bannmeile um den Bundestag, wie sie die Union gefordert hat, halten sie nichts. Das hat auch ganz simple Gründe: Die Bannmeilenregelung gilt nur, wenn das Parlament tagt.

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