Werdet mutig, glaubt nicht an Parteien!

Auf dem ersten Bremer Sozialforum plädiert der Berliner Hochschullehrer Peter Grottian für eine mutige Protestbewegung, die sich nicht auf die etablierten Parteien verlässt. Die Bremer „Eine andere Welt ist möglich“-Streiter widersprechen nicht

Bremen taz ■ „Abschließendes Plenum“ stand am Sonntag gegen 15 Uhr auf der Tagesordnung beim ersten Bremer Sozialforum im Kulturzentrum Lagerhaus. Immerhin hatten trotz des wunderbaren Wetters noch etwa 80 Menschen ausgehalten und waren in den fast fensterlosen Raum gekommen. Da wurde Bilanz auf eine etwas andere Art gehalten: Die Organisatoren des Treffens saßen vorn auf dem Podium und trugen ihre Bilanz vor.

Zwischen 200 und 300 Menschen hatten zwei volle Tage lang in diversen „Foren“ und „zentralen Podien“ über fast alle aktuellen sozialkritischen Themen diskutiert, gedanklich die Trennung von Arbeit und Einkommen aufgehoben und Hartz IV abgeschafft. Dabei waren einige bärtige Veteranen der Bremer Protestbewegung, aber auch Studierende unter 30, Neugierige aller Art. Wirklich zusammenfassen lassen sich die Diskussionen nicht und daher beschränkten sich auch die Organisatoren auf das Formale: Die Stimmung war recht gut, auch wenn kein „Happening-Charakter“ aufgekommen war. Es wurde ernsthaft diskutiert und auch viel gelacht, erfuhren die Teilnehmer von ihren Organisatoren. Die Kasse stimmt einigermaßen – da die Räume kostenlos waren, reichten Spenden einiger Tausend Euro (fast) aus. Die Demonstration am Samstag sei mit 100 bis 150 Teilnehmern ganz erfolgreich gewesen, berichtete Peter Erlansson, „es hätten ein paar mehr sein können“, und beim nächsten Mal sollten vielleicht die 60 Gruppen und Organisationen, die den Aufruf unterschrieben hatten, mit ihren Transparenten dabei sein. Das Kulturangebot, berichtete der Kulturverantwortliche, sei nicht so richtig angenommen worden, viele habe man ausfallen lassen, das müsse beim nächsten Mal besser werden. Und es geht weiter – weg, sollte man am 21.–24. Juli mit nach Erfurt fahren. Dort findet das „Erste Sozialforum in Deutschland“ statt.

Und was wurde beim ersten Bremer Sozialforum diskutiert, zum Beispiel? Am zweiten Tag hatten sich unter den roten und blauen Scheinwerfern gut hundert BremerInnen versammelt. Sie sind zwischen 20 und 70, bei attac, bei Verdi, in Arbeitslosen- und Eine-Welt-Initiativen engagiert, bei der PDS, bei der WASG oder in der Bremer Commune. Sie halten „eine andere Welt“ für „möglich“, „auch in Bremen“. Und sie wollen dafür streiten. Peter Grottian, seit Jahrzehnten als Streiter für Sozialreformen bekannt, Professor für Politologie an der Freien Universität Berlin, Mitstreiter im Berliner Sozialforum und jetzt auf dem Podium in Bremen, weiß jedenfalls, wie es nicht geht: Man solle „nicht erneut glauben, dass eine Partei gesellschaftliche Verhältnisse ändern könne“, ein deutlicher Seitenhieb auf PDS und WASG. Statt sich auf die bevorstehende Bundestagswahl zu „fixieren“, so Grottians Empfehlung, solle man besser „überlegen, wie man die Sozialproteste dynamisiert“.

Nur eine von vielen getragene und schlagkräftige Protestbewegung könne dem „Disziplinierungsprojekt Hartz IV und Agenda 2010“, der Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen und der Abschaffung einst mühsam erkämpfter Rechte Einhalt gebieten. Was PDS und WASG da zu programmatisch zu bieten hätten, „das sieht doch ziemlich schwach aus“, kritisierte Grottian: „Weg mit Hartz IV reicht einfach nicht.“ Der Saal schreibt eifrig mit. Ein einziger, Mitglied der WASG, wagt leisen Protest. Die parlamentarische und die außerparlamentarische Linke, wirft er ein, „muss in der Diskussion bleiben“. Beifall bekommt er nicht.

„Wie lassen sich Widerstand gegen und Alternativen zu Kürzungspolitik, Hartz IV und Bildungsabbau praktizieren?“, lautet die Leitfrage für diesen Abend. Dirk Jenke vom Bremer Sozialforum empfiehlt die „Entdeckung der Mikroebene“. Die Globalisierungskritiker dürften nicht nur gegen G8, WTO-Tagung und Weltwirtschaftsforum protestieren, sondern müssten ihre Kritik auch vor Ort in die Diskussion bringen.

Ein schwieriges Unterfangen. Beispiel Hartz IV: Als „Ekstase des bürokratischen Wahnsinns“ geißelt Grottian diese „Verwaltung der Arbeitslosigkeit“ – und setzt ihr seine Forderungen nach einem angemessenen Grundeinkommen, nach Mindestlöhnen und nach der Finanzierung von gesellschaftlich sinnvoller, selbst gewählter Arbeit entgegen. Die Realität draußen, im Alltag, schildert eine Zuhörerin, eine, wie sie sich vorstellt, „ganz normal Beschäftigte“: „Jeder hat Angst vor Hartz IV, aber alle akzeptieren die Reform als ,irgendwie notwendig‘.“ Vom zivilen Ungehorsam, von dem Grottian träumt, ist das noch meilenweit entfernt.

Gegen die Existenzangst der Einzelnen, sagt Jenke, hülfen nur „neue Sicherheiten“. Sein Resümee: „Wenn wir den nächsten Angriff überstehen und agieren wollen, brauchen wir solidarische Netzwerke.“

kawe/Armin Simon

„Wie weiter?“ Auswertungstreffen Donnerstag, 19.30 Uhr, Bauernstr. 2.