Klare Fronten – so weit das Auge blickt

■ Die Memoiren des aufrechten Till Meyer, der mit der Bewegung 2. Juni den Kampf aufnahm, dann die unsichtbare Front erkundete und am Ende zur Feder griff

Zur ordentlichen Preisverleihung kam es am Ende doch nicht: 1.000 Mark hatte der West-Kundschafter mit dem Decknamen „Willi Waldoff“ von seinem Ost- Führungsoffizier erhalten, es war eine Prämie für besondere Verdienste an der unsichtbaren Front. Anlaß war der 40. Jahrestag der DDR. Den zur Prämie dazugehörigen Orden, den „kriegst du beim nächtsen Mal“, sagte Führungsoffizier Helmut Voigt beim konspirativen Treff, nicht ahnend, daß ein historischer Einschnitt das Vorhaben vereiteln wird: der Zusammenbruch der DDR.

Mit der Implosion des realen Sozialismus geht ein Kapitel im abwechslungsreichen Leben des Till Meyer zu Ende. Bekannt wird Meyer als Mitglied der militanten „Bewegung 2. Juni“, da ist er 22. Er baldowert die spektakuläre Entführung des Berliner CDU-Landeschefs Peter Lorenz mitten im Wahlkampf 1975 aus, im Juni 1976 wird er in Bulgarien, vier Wochen nach seiner Befreiung aus einem Berliner Knast, erneut festgenommen. 13 Jahre sitzt er alles in allem in Haft, wieder in Freiheit, wird er 1987 Journalist. Im Januar 1992 schließlich folgt seine Enttarnung als früherer Stasi-Agent: Deckname „Willi Waldoff“.

„Staatsfeind“ hat Till Meyer seine Memoiren überschrieben, die jetzt pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

Meyers Erinnerungen sind das Tagebuch eines Militanten, eines in der Frontstadt Berlin aufgewachsenen Proletariers, der, von der Studentenrevolte 1968 fasziniert, zur anarchistischen „Bewegung 2. Juni“ kommt, der sich immer mehr zum orthodoxen Kommunismus bekennt, dann Mitglied des Westberliner SED-Ablegers SEW wird, und der am Ende die Stasi als einen zuverlässigen Verbündeten im Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus sieht.

Wer die 477 Seiten hinter sich bringt, kennt dann zwar im Detail die Ereignisse der Lorenz-Entführung, kennt auch die Zwänge eines Lebens im Untergrund, auch wird er einiges über die Motive der DDR-Sicherheitsorgane für die Duldung der westdeutschen Militanten auf dem eigenen Territorium wissen. Nur: Wie aus einem undogmatischen Linken am Ende ein überzeugter Stasi-Mitarbeiter wird, das bleibt vage, kaum nachvollziehbar.

Nach seiner Haft kommt Till Meyer Anfang 1987 als Volontär zur taz. „Von der Waffe zur Feder“, den „politischen Kampf wieder aufnehmen“, schreibt Till Meyer, das habe er sich in den letzten Knastmonaten immer wieder vorgenommen. Und wer außer der taz „sollte mich bei meiner Biographie auch sonst nehmen“? Er landet als Reporter in der Berliner Lokalredaktion, Schwerpunkt: Innere Sicherheit.

Im Sommer des gleichen Jahres wird der Journalist Meyer von der Stasi kontaktiert. Meyer: „Natürlich war ich für die Stasi interessant. Als Ex-Terrorist mit guten Verbindungen und Kenntnissen und nun auch noch als politischer Redakteur der einzigen linken Tageszeitung im Westen. Und ich war bekanntermaßen ein Verfechter der DDR und vehementer Verfechter der deutschen Teilung.“ Der Reporter sagt sofort zu. Und so ist der Titel der Biographie nicht ganz korrekt gewählt. „Staatsfeind“ war Meyer nur einem der damals real existierenden beiden deutschen Staaten.

Nicht nur in Moskau hieß 1987 die Losung längst Glasnost und Perestroika. Meyer bereist in dieser Zeit an Wochenenden mit seinen Führungsoffizieren die DDR. Er will sehen, „warum es sich lohnt, die DDR zu verteidigen“. Der neue Job als Kundschafter ist anstrengend und nervenaufreibend. Aber: „Ich machte es mit Verve, es war meine Sache, und ich hätte auch mehr gemacht, wenn die Stasi es von mir verlangt hätte.“ Er berichtet auch über die taz, wichtiger sind aber Papiere, die über seinen Schreibtisch bei der Stasi landen. Zum Beispiel die ersten Dialogpläne der Bundesregierung mit den untergetauchten RAFlern über den möglichen Ausstieg aus dem Untergrund.

Probleme hat Meyer nicht: „Zu keiner Zeit hatte ich Skrupel, mit den Überlebenden von Auschwitz, Buchenwald, den Exilierten, den Befreiten aus den Zuchthäusern Brandenburg (...) gemeinsam in einer Front zu stehen.“ Niemand habe von ihm erwarten können, „daß ich, nachdem ich sowohl draußen mit der Waffe wie auch in der Haft gegen das kapitalistische System in der BRD gekämpft hatte, diesem Staat nun Loyalität entgegenbringen würde. (...) Ich wollte weiter angreifen. Als Einzelkämpfer konnte ich das nur mit einem mächtigen Verbündeten: das war für mich die DDR. Unbeirrbar zog ich mein Ding durch: hier mit der DDR im Rücken, dort mit aggressiver Feder.“

Und dann kommt das Jahr 1989. Für Meyer folgerichtig eine „politische und damit für mich auch persönliche Katastrophe“. Die taz, schreibt er, beschäftigte sich am liebsten mit den Bürgerrechtlern, ihre Berichterstattung über die DDR lag nur noch auf „Feindkurs“. Im November 1989 verläßt er die Zeitung.

Till Meyer ist bis heute mit sich im reinen. „Ich komme von unten, und ich bin Sozialist.“ Und auch dieser Satz fehlt nicht: „Ich bereue nichts.“ Wolfgang Gast

Till Meyer, „Staatsfeind“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, 477 Seiten, 44 DM