Very Important Grown-Ups

Marktneuheit Humanes Bomben: Der Krieg im Kosovo verleiht den rot-grünen Akteuren das fehlende Autoritätssiegel, nach dem es sie so flehentlich verlangt. 20 Antworten auf die Frage, warum Alt-68er und Ex-Pazifisten zur Nato übergelaufen sind  ■ Von Klaus Theweleit

Ja, natürlich hätte es sein können, theoretisch wunschgemäß, Mr. Miloevic hätte das Handtuch geworfen nach drei Tagen, die grüne Friedensstifterwelt wäre glänzend bestätigt worden, die alliierte Westwelt hätte das glatte 3:0 der Humankonföderation mit deutschen Flügelstürmern über Jugoslawien enthusiastisch bejubelt, die Friedenskommissare wären einmarschiert, Frau Beer, der gequälte Engel, hätte wieder schlafen können, und auch ich wäre, mit weichgeklopfter Birne, übergetreten in den Günter-Grass-Fischer-Chor der „Leicht-fällt-es-mir-nicht, aber-nötig-war-es“-Sänger, der Troubadoure der Marktneuheit Humanes Bomben. Die Verfallsdaten von „Reden zum Krieg“ sind äußerst kurz. Muß ich „morgen“ schon was ganz anderes sagen? Nein, in den hier folgenden Punkten nicht.

Zur Frage, warum sind Ende März 99 so viele Alt-68er und Ex-Pazifisten für die Nato-Bombardierung Jugoslawiens, fällt mir als erstes ein: „Das ist möglicherweise ihre Art, sich endlich erwachsen zu fühlen.“ Als zweites: „Für Krieg war ein Teil von '68' immer“, wenn ein gerechter Krieg zur Hand war, Vietnam, Angola, Startbahn West, Black Panthers, RAF, Kuba usw. Immer wenn die Underdogs der Welt, die sog. „Verdammten dieser Erde“, uns nicht so allein ließen mit unserer ultra-tiefen Deutsch-Pein der Nazibewältigung und stellvertretend zu- und zurückschlugen gegen die geballten Imperialismen der Welt.

Zum Komplex Wachsen ist kurz zu sagen: Der Zustand eines gesellschaftlichen Erwachsenseins ist „unserer Generation“ wie auch den bis ca. 1960 Geborenen nie zugestanden worden. Generallinie: Um unsere Nazigeschichte wirklich verstehen zu können, seid ihr zu klein (zu übersetzen in: Wir lassen uns nicht von unseren Kindern richten. Basta), eine Haltung, die die Jungen mit der bekannten „Verweigerung“ als politischer Grundhaltung konterten, Verweigerung u. a. auch des Erwachsenwerdens. Der Komplex läßt sich als anhaltende Dauerentmündigung unter trotziger Zustimmung beschreiben. Zugestanden wurde ein Verbleib in einer Art avancierter Kluges-Kind-Rolle. Diese halb verordnete, aber auch halb gewollte und gepflegte Kleinbleibrolle versuchen besonders jene Linke seit Jahren zu überspielen, die Berufspolitiker geworden sind. Bei ihnen ist eine Art Einfluß-Aufblasballon daraus geworden. In diesem, scheint es, haben sie zum ersten Mal in ihrem Leben das sichere Gefühl, jetzt durch Kriegführung erwachsen zu sein und als Erwachsene zu handeln.

Antwort 3: Vermutlich und leider spielt es eine Rolle, daß das angegriffene Land des Nato-Märzkriegs 1999 (das bei CNN und n-tv korrekt Federal Republic of Yugoslavia heißt), auf deutsch sich schlicht „SERBIEN“ spricht. Ich weiß nicht, warum der/die/das Deutsche, ob links, rechts, grün, gelb, braun, schwarz, rot, oliv oder tarnfarben, seine 20.-Jhd.-Notdurft zielsicher auf dem „Balkan“ verrichten muß: Es ist aber so. Warum ein Teil der (Alt)-Linken keine Ausnahme machen will hiervon, weist die Leute immerhin als Doch-Irgendwie-Deutsche aus. So wie die Nicht-Anbindung Rußlands an die Nato kein Kohl-Kabinett besser hätte betreiben können als Fisherman's Grüne.

Obladi Oblada, war goes on, yeah, lalalalalalala.

Das war für mich immer ein Hauptproblem, daß die Leute, die für Krieg und Gerechtigkeit sind, die beschissenen Popstücke unfehlbar am besten finden. Cold War goes on: Wenn das alles einen „ökonomischen Sinn“ haben soll, dann den, daß der Westen, Frankreich, GB, BRD, Italia usw., ein zerstörtes „Serbien“ bräuchten, um an den Großen Wiederaufbau, Titel: „Neues Wirtschaftswunder Balkan“, ganz in eigener Humanitär-Regie gehen zu können. (Die Grenzen „Rußlands“ wollen sie selbstverständlich respektieren dabei!) Vom „militärischen Sinn“ rede ich hier nicht. Für Militärs macht's immer Sinn, wenn's knallt.

Antwort 4: Mit Karl Krausens „Zu Hitler fällt mir nichts ein“ konnten die Linken noch nie was anfangen. Sie sehen Hitler an jeder Ecke, und Einfälle haben sie auch. Sie fallen auch militärisch ein, wenn ihnen Flugzeuge zur Verfügung stehn und ein „Balkan“, auf dem die sog. Menschenrechte anders buchstabiert werden. Diesmal ist es Miloevic, der in den Denk-Einfällen des Links-wie-Rechts-Westens den Hitler-Saddam-Part abgeben muß, so wie die Albaner aus dem Kosovo den Körperstoff für die zugehörige Rolle der Opfer eines Genozids. Für diese militärisch Partei zu ergreifen ist automatisch ein Akt nachträglichen Hitler-Tötens. Einen Hitler töten ein alter linker Wunschtraum sowie pazifistisches Trauma: Diesmal sind wir die Alliierten, die das Hitler-Monster wegbomben: durch Humanität zum Humus. (Für Leute mit politisch suizidalen Tendenzen eine ideale Konstruktion.)

Antwort 5: Im Mittelpunkt aller Strategien steht die Beseitigung von Diktatoren und steht der Mensch (im Frieden im Mittelpunkt ausbleibender Lohnerhöhungen, im Krieg im Mittelpunkt von Bombenfeuer und Humanitär-Strategien). Unter den verschärften Bedingungen einer Neuen Mitte ergibt sich zwingend der Primat des Strategischen über alle anderen Wirklichkeitssorten; d. i. im Mitte-Links-Klartext die Verwechslung des Lebens mit einem Brettspiel oder Videogame. Nicht die geschmähte nachwachsende Schülergeneration macht sich dieser Verwechslung schuldig, sondern ihre Eltern: die natürlich-genuinen Kritiker der elektronischen Kinderverderbnis. Die Grünen sind nicht die Typen, „vor denen unsere Eltern uns immer warnten“, sie sind selber das Unglück, vor dem sie unentwegt warnen: dehumanisierte Regierungs-Technokraten mit Humanitär-Sticker am Polit-Revers. Das Feld „humanitärer Katastrophen“, eine Wortbildung aus friedensnobelpreisverdächtigen Matschköpfen, ist eins der wenigen, auf dem alt-linkes „strategisches Welt-Spiel-Denken“ noch erfolgreiche Anwendung verspricht. Anders: Die Zauberlehrlinge absolvieren ein Strategie-Praktikum beim Meister Kapital.

Antwort 6: Die Rückkehr der vertriebenen Kosovo-Albaner in ihre Wohngebiete setzt die vollständige Niederlage von Miloevic' Jugoslawien voraus. Wie diese in entsprechend kurzer Zeit zu bewerkstelligen sei, weiß niemand, d. h.: wissen erfahrungsgemäß nur geübte Alternativ-Strategen. Als ihr größter zeigt sich J. Außen-Fischer abends im Fernsehn. Er stellt fest, mit Autoritätsblick über Hängebrille, daß das, was Miloevic heute wieder gemacht habe, „nicht hinnehmbar sei“: unwiederbringliche Gelegenheiten, sich als Erich-Böhme-Darsteller zu beweisen (der bekam Preise). Inhaltlich wird dabei die Verkehrung antiautoritärer Politik in das Abspulen professioneller Autoritätsgestik besiegelt. Der Krieg verleiht das fehlende Autoritätssiegel, nach dem Schröderfischers Gebaren bar aller diplomatischen Fähigkeiten so flehentlich verlangt. Die Karikatur jeder üblen Geste des Erwachsenseins als Zugehörigkeitsausweis zur Welt des Seriösen ist dabei notwendig und gewollt. Diese Feststellung gilt auch für den Fall, daß Fischer den Krieg morgen „gewonnen“ haben sollte.

Antwort 7: Immer allein und un-alliiert, das war Scheiße. Und immer verlieren auch. Das hält der humanste Linke nicht aus. Deshalb Koalitionen, deshalb Umarmungen, Mehrheitsbildungen, Siegerpodeste: Kann ich die Unteren nicht bewegen, muß ich es von oben versuchen. Können wir die Nato nicht abschaffen, müssen wir sie selber kommandieren: also Bomben ins Herz der Finsternis. Der Tag wird kommen, da wird Spielberg es verfilmt haben. Dem Mann entgeht keine gerechte Tat der Geschichte.

Antwort 8: (heimlich, beiseite): „Wenn es schon keine gerechten Gesellschaften gibt, brauchen wir wenigstens ne ordentliche Polizei. Und wir sind die beste.“

Antwort 9: In diesem Fake von Erwachsensein, Modeanzügen und ausgesuchtem Sortiment aufgesetzter Profi-Gesten ahmen die Protagonisten dieser Entwicklung – völlig gleich, ob sie früher mehr Marxisten, Pazifisten oder immer schon Postenjäger waren – genau den Quark nach, den sie im Gestenrepertoire von Very Important Grown-Ups gesehen haben: als eine Art Identitätsstiftung für Alt-Linke mit durchhängender Lebens-Vision: Verantwortung tragen, Konsequenzen demonstrieren, durchgreifen, Standhaftigkeit zeigen, sich nicht verarschen lassen usw., mit einem Wort: Größe; der ganze Lachsack des Lächerlichen; der verzweifelte Versuch leerer Flaschen, sich ernst zu nehmen.

Antwort 10: Wenn es in den hyperrationalen Spielszenarios dieser Gilde stocknüchterner Süchtiger nicht weitergeht, wird logisch die Wahl der Mittel verschärft, wird eine Stufe höher geschaltet, das walte sowohl Lenin wie die Nato-Räson wie die Kommandozentrale des Raumschiffs Enterprise. Manchmal kommt da ganz zwingend Krieg raus aus den Schaltungen, und ihre Betreiber erstrahlen im Charme jenes ausgewachsenen Infantilismus, dem niemals das fröhliche Lied ausgeht: Joshua fit the battle of Kosovo / And the walls came tumbling down.

Antwort 11: Zum Erwachsensein gehört das Recht auf „Unmoral“. Von politischer Ehrenhaftigkeit allein kann sich auf Dauer kein erwachsenes Handeln ernähren. Eine gut berechnete Dosis Schwein-Sein-Dürfens ist unverbrüchliches westliches Menschenrecht. Immer honest sein ist furchtbar. Die Rocker durften böse werden und hatten ihren Punk und ihr Techtelmechtel mit den Nazisymbolen, die Feministinnen durften gleichberechtigt normal, d. h. normal fies sein, sie nahmen sich dies Recht; die Jugendlichen kriegten Horrorglatzen, Baseball- und Stiefel-Techno-Freiheit eingeräumt, jeder Arsch, der mit Sorge um die Erde das Gift der Welt entschlossen bekämpft, bekam seinen ökologischen Priesterverband mit Trennschärfe-Orden, & waren jetzt nicht endlich „wir“ dran: Wir haben am längsten durchgehalten mit Peace & Love im Fußballpark; wer nimmt uns noch ernst, wenn wir nicht nachziehn. Bestes Mittel dazu ist, wie überall in männlich dominierten Doof-Welten (= Gewalt-Welten) die gemeinsame Transgression ins erlaubte Kriminelle. Was könnte unverdächtiger sein dafür als der gerechte Krieg.

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider / Grün, grün, grün ist alles, was ich hab' / Darum lieb' ich alles, was so grün ist / Weil mein Schatz ein Jäger ist.

Ja, in einer F 117 Stealth, schöner Name für diese grüne (Un)-Heimlichkeit. „Theo, wir fahrn nach Lodz“.

Ergibt Antwort 12: Wo es keine „Alternativen“ mehr gibt im Politischen (übersetzt: wenn man nicht mehr weiß, wie man das Leben organsieren soll und welche Lüste noch Lust haben, auf einen zu warten), ist auch der Tod (der der andern) eine Alternative und gern gesehener Gast am Gabentisch des unerfüllten Lebens. Erwachsen werden will nur der, der selbst nicht mehr wächst. Jeder dieser Bon-Vivanten führt seine dritte bis sechste Frau im Geschirr; wir sollen das nehmen als genuinen Ausdruck elementarster Steigerungsprozesse im Elan vital dieser Herrn, denen das vorhandene feminine Material einfach nicht standhält oder genügt, jedenfalls nicht in einem einzelnen seiner Exemplare. Sehen Sie sich das jetzige Exemplar an der Seite der jeweiligen Herrn an, und entscheiden Sie selbst über seine historische Notwendigkeit: Die einzige Alternative lautet da wohl auf Krieg.

Insgesamt eine Spätvariante zu Stanley Kubricks Dr. Strangelove, die Kubrick nicht mehr sehen wollte. Er starb pünktlich zum Einsatz des Nato-Balkan-Kriegs, entnervt. Kubricks Film endet mit dem Abwurf einer Atombombe, auf der ein Nato-Krieger herunterreitet zur Konfliktbereinigung ins Irdische; man hört dazu den Song einer Countrysängerin (Loretta Young?) mit dem globalen Versprechen „We'll meet again“.

Antwort 13: Mach's noch mal, Sam, aber diesmal mit uns als Bogey oder Bombenreiter. Schröder & Fischer mit Paul Breitners Havanna im Weltmeister-Maul schließen gewisse 1974er-Regelkreise: Der Primat des Politischen vor dem Militärischen und vorm Fußball ist zu beweisen; 1999 leider mit dem Mittel des Krieges.

Antwort 14: Wo wirklich verantwortet wird, fallen Späne. Hauptsache: vollverantwortlich durchgerungen. Hauptsache: ganze Nacht nicht geschlafen. Hauptsache: gordischer Knoten. Hauptsache: aufs Haupt des Diktators. „Wir stehen randvoll in der Verantwortung, ohne Wenn und ohne Aber“, verantwortet Frau Beer, die die ganze Nacht (zum wiederholten Mal) nicht geschlafen hat. Sie kriegen den Mund nicht zu vor lauter Verantwortungs-Wörtern (mit der Folge, daß einige Leute woanders den Mund nie mehr aufkriegen). Aber: Wir verantworten das. Zwar weiß jeder, daß niemand von ihnen sich wird verantworten müssen, für das, was sie tun (vor welchem Gericht denn?), das ist ja das Schöne: Wer die volle Verantwortung trägt, darf sich dafür was rausnehmen im Leben: Immunität.

Antwort 15: „Wir hassen den Krieg, deshalb Bomben.“ Fragen Sie dazu Cohn-Bendit; der erklärt Ihnen jeden Widerspruch. Wie man das macht, ist ein Alt-68er-Berufsgeheimnis. Plus (dazugelernt) die Tränendrüse der TV-Produktionen: „Ich habe das Gebiet bereist, persönlich, und das Elend gesehen. Dort wird gelitten! Haben Sie schon mal Menschen weinen sehen? Da wird Ihnen ganz anders! Und halten Sie dies aus? Doch wohl auch nicht!“ Die Bomben ergeben sich so aus der Macht des Mitleidens. Man hat so wenig Gelegenheit sonst, sein Mitleiden wirklich wirksam zu gestalten. Got it? Der Pimpf, der aus meinem und deinem Kragen rausschaut, muß auch zu seinem Recht kommen, bevor es hundert schlägt im Endlos-Jugend-Leben. Und Recht bekommt der Pimpf nirgendwo (zu Hause), nur auf dem Balkan, in Polen, in der Ukraine. Im Fernsehn heißt der Pimpf Fischer und spricht die Worte: „Nie wieder Krieg! Wir haben aber auch gesagt: Nie wieder Auschwitz!“ Und: „Wir sind die Generation, die die Eltern gefragt hat, wieso habt ihr das zugelassen.“ Worte, zu denen er mit erhobenem Schreibstift sechs-, siebenmal die umgebende Luft durchlöchert. Got it?: Wenn wir Bomben werfen, ist es Auschwitz-Verhinderung.

Antwort 16: Ein Krieg ist immer auch ein Betätigungsfeld für allerlei analytischen Scharfsinn. Als neolinker Nato-Symphatisant durchschaut man z. B. exakt, wie von hiesigen Medien die serbische Frau gezielt als Hexe ideologisch in den miloevicschen Schuld-Zusammenhang involviert wird. In Bildern des jugoslawischen Staatsfernsehns sieht man die serbische Staatshexe z. B. herumtanzen auf runtergefallenen Flugzeugflügeln; sie hat den Nato-Piloten gegessen vorher. So was glaubt der nicht mehr rotierende grüne Vollzeitabgeordnete aber nicht; seinem zwar nicht mehr pazifistischen, aber immer noch super-frauenfreundlichen Scharfblick entgeht nicht, daß er hier reingelegt werden soll. Er schützt entschlossen die serbische Frau vor ihrem drohenden Mißbrauch durch den Propaganda-Macho Miloevic. Nato-Bomben auf serbische Paläste zum Schutz der serbischen Frauen sind ein linkes Minimal-Erfordernis zur Durchsetzung der Parole Make Love Not War auch in der momentan entmenschten Balkan-Region.

Antwort 17: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehn. Die Geltungsdauer dieses Satzes entscheidend begrenzt zu haben sichert dem neohumanitären Mutlangen-Kämpfer mit Sicherheit den Platz in den Geschichtsbüchern, den ihm sonst vielleicht ein putschender Bundeswehrgeneral streitig gemacht hätte. Da sei Ludger Volmer vor – der Ex-Ober-Pazifisten-Generalissimo der Grünzeug-Fraktion, dessen Brillengläser sich sichtbar biegen bei seinen Kriegsbegründungen.

Antwort 18 dahinter könnte lauten: Nur Bomben auf „Serbien“ halten uns länger als ein Jahr in diesem Schröder-Schrott-Kabinett. Carpe diem! Es gibt nicht mehr viele (Tage) in der Staatssekretär- und Ministerposition.

Antwort 19: In all ihren langen Kämpferjahren ist es dem auserwählten Volk der Altlinken ganz selbstverständlich geworden, ihr eigenes Tun (und Blasen) automatisch als die Durchsetzung einer „höheren Gerechtigkeit“ aufzufassen. Ihre unfehlbar treffenden Polit-Analysen, ihre unschuldsvolle Selbstgerechtigkeit, immer dem Wahren, Guten und Schönen auf der Pelle und nie ganz faktenlos, garantieren den Output des eigenen Handelns auf der Seite der fundierten Humanitaria. Dem Schönen dabei vielleicht weniger verpflichtet, da tut es auch die Lindenstraße; die ästhetische Liga, in der Schröder spielt, heißt ohnehin Dieter Bohlen, merkt W. Droste an. Auf einer Tanzfläche sah ich neulich, daß die ästhetische Liga von Links-Alternativen so um die fünfzig zu einem guten Teil Boney M. heißt, Bridges of Babylon, was soll man da erwarten. Man lernt, dies Wort als Baby-lon zu schreiben, und registriert, wie die Baby-Loners endlich und erfolgreich dabei sind, neben dem ästhetischen Unheil, das sie schon immer über die Welt ausstreuen, einem auch noch das Rest-Hirn wegzubomben. Die Ultima ratio des selbstgewissen Entsorgungsdenkens heißt u. U. auch: Krieg.

Das Osterradio spielt The Logical Song von Supertramp und Good Vibrations von den Beach Boys, dazwischen Kriegsmeldungen: 25 amerikanische Apache-Hubschrauber sollen die Ost-Comanchen im Kosovo zivilisatorisches Verhalten lehren. Der Logical Song hat im Text genau die Wortfolge, um die es im Verhalten der alten Pazifisten geht: radical liberal cynical. Then they taught me how to be acceptable, respectable ...

Die Lehre, die der Rocksong unausgesprochen enthält: Akzeptiert und respektiert in dieser Gesellschaft ist, wer letztlich den Krieg annimmt und sich vor den Kriegsherrn beugt bzw. ihr Agent wird, acceptable, respectable. Das Stück beginnt mit den Worten „When I was young“ und handelt von den Qualen des Erwachsenwerdens: dem Einstieg des Kinds in die Begriffswelt. Wörter wie „sensible“ und „natural“ werden überdeckt von langen Wörterketten der Reihe logical, practical, philosophical, cynical, radical, criminal, fanatical, das Altsaxophon spielt die Rolle der Stimme des Kindes, es geht am Ende in Schreie und Stöhnen über, bedrängt von der Gewalt der Begriffssysteme.

Man kann nie genug gewarnt haben vor dieser Gewalt. Wer logical denkt, liefert uns eines Tages, logisch, ans Messer. Das ist so mit der Vernunft der Strategen. Was Menschlichkeit wäre – das zu erfahren, haben sie längst aufgegeben. Wie ihr Umgang mit dem Wort humanitär demonstriert. Sie verwenden es ausschließlich in grammatisch-semantisch falschen oder unsinnigen Konstruktionen: auch sie sind nicht die humanitäre Katastrophe, von der sie dauernd reden – denn Katastrophen sind immer unmenschlich, sie sind bloß eine Katastrophe für das Humanitäre; in dieser Kategorie allerdings vielleicht der gma (= größtmöglichanzunehmende) Super-GAU.

Antwort 20: Die Fischer-Partisanen in der Grünen Partei haben das Stellen der Frage, ob man in der Bundesregierung sitzen muß, um ein Land zu verändern, seit einigen Jahren erfolgreich unter Strafe gestellt. Antwort 1 auf diese Frage: Man muß nicht. Oppositionspolitik in der BRD ist vollkommen neu zu überdenken.

Eine Extended Version dieses Textes wird in der nächsten Ausgabe von „konkret“ veröffentlicht.

Klaus Theweleit, Autor der „Männerphantasien“ und des „Buch der Könige“, forscht über Generationenmathematik, Geschlechterpolitik und Körpergeschichte. In Kürze erscheint bei Stroemfeld „Der Pocahontas-Komplex“.