Mensch oder Virus – wer überlebt?

Die Krankheitserreger sind winzig klein und bestehen fast nur aus Erbmaterial und einer Hülle. Aufgrund ihrer schnellen Wandelbarkeit sind Viren eine besondere Herausforderung für Mediziner ■ Von Claudia Borchard-Tuch

Sie können gefährlicher sein als die Pestbakterien, weil sie ihre Wirtszelle vollständig unter Kontrolle bringen, ohne dabei bemerkt zu werden: Viren. Diese winzigen Krankheitserreger sind auf andere Zellen angewiesen, um sich überhaupt vermehren zu können. Einst hatte man gehofft, Infektionskrankheiten mit Hilfe der modernen Medizin vollständig in den Griff zu bekommen. In den letzten Jahren jedoch entdeckten Mediziner immer wieder neue, und auch gefährlichere Virenarten.

So hat ein vorher unbekanntes Virus von September 1998 bis jetzt 111 Menschenleben in Malaysia und Singapur gefordert. Dem ersten Ausbruch der Viruserkrankung im malaysischen Ort Sungai Nipah verdankt der Erreger seinen Namen – Nipah-Virus. Das Nipah-Virus gehört zu einer beunruhigenden Reihe neu aufgetauchter Viren, die schwere, oftmals tödliche Erkrankungen auslösen. Es ähnelt dem 1994 beobachteten Hendra-Virus, das nach einem Vorort der australischen Stadt Brisbane benannt ist. Dort befiel es mehrere Pferde und zwei Stallknechte, von denen einer starb. Gleichzeitig kam es unter merkwürdigen Bedingungen zum Tod zweier weiterer Pferde im mehr als 800 Kilometer entfernten Mackay. Autopsien wiesen zunächst auf eine Vergiftung hin. Doch kurze Zeit später traten bei einem Mann, der die Kadaver seziert hatte, Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und geistige Verwirrung auf. Ärzte fanden im Gehirn seiner Leiche und im Gewebe der Pferde das bisher unbekannte Virus, das von Fledermäusen auf Pferde und von Pferden auf Menschen übertragbar ist. Zwar sind das Hendra- und das Nipah-Virus wieder untergetaucht. „Aber ihre Rückkehr ist jederzeit möglich“, erklärte Clarence Peters von den US-Centers for Desease Control (CDC) auf einer Konferenz über Mikrobenbekämpfung in San Francisco.

Viren stehen an der Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur. Sie beschränken ihre Lebensform auf das Wesentliche: sich vermehren und sich gegen konkurrierende Erbmoleküle durchsetzen – und dies ohne eigenen Stoffwechsel. Ein Virus besteht hauptsächlich aus einer Hülle und Erbmaterial – DNA oder RNA –, das es in den Kern seiner Wirtszelle einschleust. So bringt es die Wirtszelle unter seine Kontrolle und benutzt ihre Funktionen für den eigenen Stoffwechsel. Virus und Zelle verschmelzen zu einer Einheit und sind kaum mehr voneinander unterscheidbar – auch nicht für Medikamente. Gleichzeitig verändern sich Viren ständig und können sich so veränderten Lebensbedingungen anpassen. Ist ein Antivirusmittel einmal wirksam, gelingt es dem Virus oft in kurzer Zeit, gegenüber dem Medikament unempfindlich zu werden.

Tödliche Infektionen in den Marburger Behringwerken

Einige der neu aufgetauchten Viren verursachen ein ähnliches Krankheitsbild mit hohem Fieber und inneren, oft tödlichen Blutungen – das hämorrhagische Fieber. Am 15. Januar 2000 starb in der tropenmedizinischen Abteilung der Missionsärztlichen Klinik Würzburg eine 23-jährige Frau an mehrfachem Organversagen. Sie hatte sich auf einer Reise durch die westafrikanischen Staaten Elfenbeinküste und Ghana eine Infektion mit dem Lassa-Virus zugezogen. Die behandelnden Ärzte sind besorgt, weil es sich um eine unbekannte Untergruppe des Virus handelt. Das Lassa-Fieber trat erstmals 1969 in Lassa auf. Eine Nonne erkrankte dort in dem Hospital, in dem sie arbeitete. Ein Jahr später brach im selben Krankenhaus eine Epidemie aus. Eine nachträgliche Untersuchung zeigte, dass 17 der 25 infizierten Personen sich wahrscheinlich in dem Raum angesteckt hatten, in dem die erste Kranke untergebracht worden war.

Ein hämorrhagisches Fieber, wie es das Lassa-Virus verursacht, kann durch ganz unterschiedliche Erreger ausgelöst werden. International für Aufregung sorgte im Sommer 1967 ein mysteriöser Krankheitsausbruch in Marburg, in deren Folge mehrere Mitarbeiter der Behringwerke schwer erkrankten. Sie hatten aus den Nieren grüner Meerkatzen, die aus Uganda importiert worden waren, Zellkulturen für die Impfstoffherstellung angelegt. Sieben der 25 Betroffenen starben. Virologen der Uni Marburg gelang es, einen bis dahin unbekannten Erreger zu identifizieren: das Marburg-Virus.

1976 tauchte dann ein mit dem Marburg-Virus eng verwandter Erreger fast gleichzeitig an zwei Orten in Afrika auf – in Zaire und im südlichen Sudan. Er erhielt seinen Namen nach dem Fluss Ebóla in Zaire. Wie die Krankheit übertragen wird, ist noch immer rätselhaft. Nach der letzten größeren Epidemie 1995 in Kikwit, Zaire, gibt es immer wieder Meldungen über einzelne Krankheitsfälle.

Viele Viren können sichsehr schnell verändern

Offenbar kommt es zu einem vermehrten Auftreten neuer Viren, weil sich ihre seit Jahrmillionen bestehenden Existenzbedingungen infolge menschlicher Eingriffe verändert haben. In bestimmten Fällen lässt die veränderte Umgebung ihre Vermehrung und Verbreitung zu, und bei gleichermaßen günstigen Bedingungen für Viren wie ihre Überträger tauchen dann plötzlich unbekannte Krankheitsbilder auf. Die meisten der neuen Viren sind jedoch nicht wirklich neu, sondern gehen durch Erbgutänderungen aus bereits existierenden hervor – mit dem Risiko, dabei zu einem gefährlicheren Stamm zu werden. Die Aids-Erreger und die Influenza-Viren sind Beispiele hierfür. Das Aids-Virus bedient sich des menschlichen Immunsystems zu seiner eigenen Vermehrung. Dabei richtet es die körpereigene Abwehr allmählich zugrunde. Wahrscheinlich stammen die Aids-Erreger HIV-1 und HIV-2 von Affenviren ab, die auf den Menschen „übergesprungen“ sind. Viele wild lebende afrikanische Affen sind mit HIV-ähnlichen Viren – Simian Immunodeficiency Viruses (SIV) – infiziert; sie werden jedoch nicht krank. Es ist möglich, dass Menschen mit zufällig passenden Virusvarianten angesteckt wurden, die sich in dem neuen Wirt vermehren konnten und zum Aids-Erreger wurden.

Influenza-Viren verursachen bei Mensch und Tier – vor allem bei Schweinen, Pferden, Hühnern und Wasservögeln – die Grippe. Gefährlich ist die schnelle Wandelbarkeit des Influenza-Virus. Sein Erbgut liegt in Form von acht Abschnitten vor, die sich in verschiedener Weise miteinander mischen können. Als „Mischgefäß“ dient dabei häufig das Schwein. Es lässt sich sowohl mit den Geflügelviren als auch mit den Influenza-Viren des Menschen infizieren. Dabei können Viren entstehen, in denen Abschnitte des menschlichen Influenza-Virus durch Abschnitte des Geflügel- oder des Schweinevirus ersetzt wurden. Die neuen Viren können völlig anders als die alten sein und für den Menschen sehr gefährlich werden.

Andere der „neuen“ Viren wurden dank besserer Diagnosemöglichkeiten in der jüngeren Zeit lediglich erstmals isoliert. Das trifft für die Hanta-Viren zu, die ein hämorrhagisches Fieber auslösen, das mit einem Nierenversagen einhergeht. Dieses Krankheitsbild wurde in China schon vor 1.000 Jahren beschrieben. Doch der Erreger wurde erst Ende der Siebzigerjahre identifiziert: Nachdem mehrere tausend Soldaten der Vereinten Nationen in den Fünfzigerjahren im Koreakrieg an einer seltsamen Infektionskrankheit erkrankten und einige an Nierenversagen starben, begann mit großer Anstrengung die Suche nach dem Erreger – allerdings dauerte es noch Jahre, bis man ihn schließlich fand und nach dem koreanischen Fluss Hantaan benannte.

Das rasche Wachstum der Bevölkerung und ihr Vordringen in früher unbesiedelte Gebiete bringt zuvor stabile Ökosysteme aus dem Gleichgewicht und erleichtert den Kontakt zwischen Menschen und virustragenden Tieren. Als 1989 fünfzehn Mitglieder eines Dorfes in der Mitte Venezuelas versuchten, ein Waldgebiet urbar zu machen, kam es zu einer Virusepidemie, bei der schließlich das Guanarito-Virus entdeckt wurde. Bei ihren Rodungen hatten die Bauern Staub aufgewirbelt und eingeatmet, der mit Urin oder getrocknetem Kot von virustragenden Ratten kontaminiert war.

Neben dem Bevölkerungswachstum verschieben schnelle Verkehrsmittel und dicht gedrängtes Zusammenleben das Gleichgewicht zwischen Menschen und den sie befallenden Viren. Die Zeit, die dem menschlichen Immunsystem zur Virenabwehr zur Verfügung steht, ist kürzer geworden. Das Leben in Millionenstädten erhöht die Kontaktmöglichkeiten und beschleunigt drastisch die Ausbreitung von Infektionen.

Wahrscheinlich wird es niemals möglich sein, Viren vollkommen zu vernichten – obwohl die Entwicklung von Impfstoffen die Hoffnung aufleben ließ, dass dies eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Immerhin ist dieses Ziel in einem Fall erreicht worden: 1979 wurden die Pockenviren offiziell für ausgerottet erklärt. In einigen Jahren könnten die Polioviren folgen. Die Grippe verliert vielleicht ihren Schrecken: Belgische Forscher setzten im Tierversuch einen Impfstoff ein, der gleichzeitig gegen verschiedene Varianten des Grippeerregers schützt.

Doch trotz dieser Erfolge werden die meisten Virusarten niemals vollkommen ausgerottet werden können. Denn Viren infizieren im Allgemeinen sowohl Mensch als auch Tier, und es ist unmöglich, die Viruserkrankungen bei den Tieren unter Kontrolle zu bringen. In der nächsten Stunde werden weltweit insgesamt 1.500 Menschen an Infektionen sterben – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Ein großer Teil davon wird auf Viren zurückzuführen sein.