Mutwille zum Gefühl

Heute und übermorgen rappt der Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier in Hamburg aus seinem neuen Gedichtband „Heartcore“  ■ Von Ralf Poerschke

„Im Gegensatz zu meinen Stü-cken, die wie Lyrik erscheinen, funktionieren meine Gedichte wie kleine Theaterstücke“, sagte Albert Ostermaier in einem Interview in der August-'97-Ausgabe von Theater heute. Die neueste Wendung im Genregrenzen auflösenden Werk des 32-jährigen Münchners ist aber diese: Während sein jüngstes, sechstes Stück, Death Valley Junction (siehe auch Querschnitt), (fast) alle Kriterien eines well made play erfüllt, ließ er seinen neuen Gedichtband Heartcore tatsächlich auf die Bühne hieven, im Januar im Münchner Marstall-Theater, wenngleich klein und experimentell, mit zwei Wochen Probenzeit und vier Vorstellungen, so doch nicht weniger ambitioniert.

Ostermaiers Lyrik lebt vordergründig von ihrer bisweilen rauschhaften Geschwindigkeit, einem delikat entwickelten Rhythmus, in dem Binnenreime, Versbrechungen und Zeilensprünge die Musik machen. Diesen zunächst poppig leicht klingenden Wort-Sound-Strom hat er von jeher mit radikaler Kleinschreibung und dem Verzicht auf Interpunktion noch ein wenig flüssiger gestaltet; wie kleine Brecher wirken da die &-Zeichen, die er kategorisch an die Stelle jedes „und“ platziert. Und mit seinem Lieblingsthema, der Liebe, wäre er vollends dem hippen Genre Pop zu subsumieren.

Doch ganz so einfach bekommt man Albert Ostermaier freilich nicht. Wie schon die Titel seiner beiden ersten Gedichtpublikationen, Herz Vers Sagen (1995) und fremdkörper hautnah (1997), so markiert auch das Wortspiel „Heartcore“ wieder eine programmatische Zweischneidigkeit. Der Mutwille zum zeitgemäßen Gefühl in der Lyrik setzt die Anerkenntnis seiner inneren Härte voraus. Romantischer Illusionismus ist hier nur noch als ironisches Zitat zu haben, und sei es um den Preis, eine Metapher auf den Boden der Tatsachen zurückzubefördern: „mein mädchen steht/ in flammen besser ich/ werf sie ins wasser“. Stattdessen liefert er haptische Momentaufnahmen aus Bad und Bett, die sich in längeren Gedichten zu kleinen Filmen auswachsen dürfen.

Und wie selbstverständlich bricht bei dem Toller- und Brecht-Experten irgendwann das Politische hervor, bestenfalls mitten im Geschlechtsakt, wie in „abrüstung“: „wir werden lange unterwegs/ sein ich will dich mitten in/ der wüste auf einem flugzeug/ friedhof lieben in einem gräber/ feld aus bombern die ihre flügel/ nicht mehr hochbekommen &/ nur mehr den rost abwerfen/ den die sonne ihnen von der haut blättert“. Ostermaiers Impetus kann gar so stark und konkret werden, dass er selbst vor der Beschreibung eines Skinheads nicht Halt macht: „sein körper spricht fliessend/ deutsch seine augen strahlen/ heute preussisch blau auf/ die kontaktlinsen hat er sich/ mit dem klappmesser ein/ hakenkreuz geritzt die/ stiefel so eng gebunden wie/ es ging & geht damit als/ wär jeder schritt ein sprung/ ins gesicht des nächsten“.

Albert Ostermaier ist eben einer, der dort Position bezieht, wo es schon längst keiner mehr erwartet. So fällt er dem Rezipienten geschickt in den Rücken: ein zeitgemäßer politischer Dichter. Und zu dieser Strategie gehört es, dass er sich nicht allein auf den inneren Sound seiner Lyrik verlässt, sondern sie einer zusätzlichen Instrumentierung aussetzt: Dem gebundenen Buch Heartcore liegt eine CD bei. Die Musik zwischen Ambient, Drum 'n' Bass und Noise-Pop stammt von Bert Wrede; Sylvester Groth, Philipp Moog, Anna Thalbach und andere sprechen die Gedichte. Faktisch neue Erkenntnisse liefert dieses „Hörstück“ nicht, doch die mithin völlig unpeinlich demonstrierte Clubkompatibilität eines Suhrkamp-Autors allein ist schon bemerkenswert.

Eine ganz andere Sache ist es da noch, wenn Albert Ostermaier live zu Bert Wredes E-Gitarre rappt. Denn das tut er gerade nicht im Mojo-Club, wo Dub-Poeten und Jazz-Lyriker bereits offene Türen einrannten, sondern im Literaturhaus und in der Schauspielhaus-Kantine – wo vielleicht noch ein paar reine Leserherzen zu brechen sind.

heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Sonnabend, 23 Uhr, Schauspielhaus-Kantine; Albert Ostermaier: „Heartcore“. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999, 125 Seiten, 39,80 Mark