Verletzung auf der Festplatte

Highspeed-Texten: Das Laboratorio Teatro Tra Le Righe zeigt mit „Drei Originale“ eineuropäisches Multimediaprojekt nach Ivan Golls „Methusalem oder der ewige Bürger“

Alle Texte machen das. Sie verweisen auf Dinge und Menschen und Zeiten und auch auf andere Texte. Manche Texte tun dies ausdrücklicher als andere. „Drei Originale“, präsentiert vom Laboratorio Teatro Tra Le Righe, nimmt das Stück des Surrealisten Ivan Goll „Methusalem oder der ewige Bürger“ zum Ausgangspunkt, bezeichnet dieses als Original und schreibt es zwei Mal fort. Einmal als Video, „Methusalem, ein Kinodram“ von Thomas Martius, und das andere Mal als Theatertext von René Pollesch, „Der Hype von bürgerlichen Lebensstilen“. Diese beiden Fortschreibungen gelten ebenfalls als Originale. Sie werden als so original angesehen, dass auf den Ursprungstext, das Original-Original, verzichtet wird. Zu kompliziert? Also fangen wir noch mal anders an.

Vier sehr junge Menschen lümmeln sich auf diversen Sitzgelegenheiten, Sitzsack, Flauschkissen, Schlafsack und Rasenmäher. Sie sprechen, so heißt es im Programmheft, „kapitalismuskritische Highspeed-Texte“. Ihre Worte bewegen sich konzentriert und in Kreisen um bestimmte Begriffe, um Liebe, Tod, Straße, Bewegung, Zuhause, Kaufhaus, Zelluloid, Emotionlinks. Sie beklagen, dass sie zu Hause vom Homeshopping gefickt werden und dass bei Attentaten engagierter Hacker auf Kaufhäuser nicht das Geld verletzt wird, sondern nur die Festplatte.

Dabei könnte es durchaus ein Abend in einer WG sein, die Sitzung einer Seminargruppe oder die Gründungsveranstaltung einer terroristischen Vereinigung. Die jungen Menschen malen mit Koks ein Peace-Zeichen auf den Fußboden, spielen Golf mit Popcorn und verwandeln Geld in Konfetti. Sie sind sehr vergnügt und sehr zornig zugleich. Die Rede, die sie führen, ist nicht als Gespräch zu verstehen, sondern eher als rhythmisches Nachdenken in der Gruppe.

René Pollesch verweigert sich den Zuschauern zweifach, einmal als Autor und einmal als Regisseur. Die assoziativen und zugleich streng komponierten Texte entkommen erfolgreich einer oberflächlichen Logik. Das erzeugt Spannung. In seiner Inszenierung lässt Pollesch aber seine (Highspeed)-Texte so schnell und teilnahmslos sprechen – „wie aus der Pistole geschossen“ nennt man das wohl –, dass sie im Ergebnis fast unverständlich sind. Das ist schade, denn Pollesch pflegt eine kraftvolle, verrückte, poetische Sprache, in der ermüdender Alltag und erfrischende Lebensgier aufeinander prallen, eine Sprache, die ruhig gespielt und gesprochen und belebt werden dürfte.

Aber das ist noch nicht alles. Man müsste auch darüber sprechen, dass dem Theaterabend ein studentisches Projekt verschiedener europäischer Hochschulen voranging. Alles voller Italiener und Engländer auf der Premierenfeier und unglaublich viel, ungewohnt gutes italienisches Essen. Da steckt das Geld der Europäischen Komission drin. Und was ist mit dem Video „Methusalem, ein Kinodram“, einem Stummfilm, der parallel gezeigt wird, dessen Bilder nur bedingt wahrgenommen werden können? Das gehört zum künstlerischen Konzept. So viel Theorie, so viel Text, so wenig, zu wenig Theater. REGINE BRUCKMANN

Nächste Vorstellungen: 15./16. Juli, 20.30 Uhr, Theater ZerbrocheneFenster, Schwiebusser Str. 16,Tel. 6 94 24 00