In der Überschuldungsfalle

von KARL-HEINZ RUCH

Das Problem der bilanziellen Überschuldung begleitet die taz seit ihrer Gründung. Überschuldung heißt: Ein Unternehmen verfügt nicht über ausreichend Eigenkapital, um aufgelaufene Verluste zu decken. Mit der Überschuldung droht immer Konkurs.

Gegründet wurde die taz 1978 von Initiativen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, die viel Engagement einbrachten, aber kein Kapital. Die laufenden Kosten des Zeitungsbetriebs wurden in den ersten Jahren durch die vorausbezahlten Abonnements finanziert. Mit steigender Abokurve wurde dieser Finanzierungsspielraum im Laufe der Jahre immer weiter ausgenutzt und das damit verbundene Problem der Überschuldung angelegt. Zu diesem Zeitpunkt interessierte es in der taz nur niemanden. Das Kollektiv fühlte sich als Projekt und nicht als Unternehmen.

Erste Maßnahmen gegen die Überschuldung gab es 1991. Die taz hatte nur kurzzeitig von dem Fall der Mauer profitiert. Sehr schnell zeigte sich, dass die taz, wie andere Berliner Unternehmen, mit dem Wegfall von Subventionen und dem harten Konkurrenzkampf in Schieflage geraten würde. Die taz zog Konsequenzen. Die MitarbeiterInnen übergaben das Projekt 1992 an die Genossenschaft. Die Genossenschaft reformierte die Strukturen des Unternehmens und stärkte die Eigenkapitalbasis.

In der Gründungsphase der Genossenschaft zeichneten 2.851 Mitglieder 4,7 Millionen Mark, die vollständig zur Deckung der Jahresverluste 1992/93 aufgebraucht wurden. Ein glücklicher Umstand kam der taz in diesen Jahren zu Hilfe. Das Verlagshaus Kochstraße 18, ein denkmalgeschützter Altbau, konnte 1991 zu einem Preis gekauft werden, der lange vor der Wende vereinbart worden war. Dadurch entstanden stille Reserven in Millionenhöhe. Ein entscheidender Schritt gegen die Überschuldung.

90er-Jahre – Defizit-Jahre

Die taz erscheint seit 1992 unter dem Dach der taz-Verlagsgenossenschaft e. G. Von dem bisher in zwei Jahrzehnten aufgelaufenen Bilanzverlust in Höhe von 13,67 Millionen Mark fallen 10,33 Millionen in diesen Zeitraum. Allein in den Jahren 1992 und 1993 musste die taz durch den Wegfall der Berlinförderungen und Umstrukturierungskosten Verluste in einer Höhe von 5,9 Millionen Mark verkraften.

Der überwiegende Anteil am Gesamtumsatz der taz wird durch Zeitungsverkäufe erzielt (80 %), davon 67,1 % durch Abonnements und 12,9 % durch Einzelverkauf. Die Entwicklung der Auflage seit 1992 zeigt, dass Auflagensteigerungen nur durch zwei drastische Rettungskampagnen, bei denen die bedrohte Existenz der taz in den Mittelpunkt gestellt wurde, in den Jahren 1992 und 1996 erreicht wurden. Im Zuge dieser Kampagnen erhöhte sich gleichzeitig der Abonnementanteil an der Gesamtauflage auf bis zu 80 %.

In den jeweils vier Jahren nach diesen Rettungskampagnen führten die vielfältigen Bemühungen nur zu vorübergehenden Auflagengewinnen, aber zu unbefriedigenden Ertragssituationen, die nur durch neues Kapital aus der Genossenschaft aufgefangen werden konnten. So wurde seit 1996 wieder aktiv um neue Beteiligungen für die taz-Genossenschaft geworben. Mit neuem Kapital sollten nach dem „Dreilitermodell“ Verbesserungen und Erweiterungen der taz, verbunden mit Marketingmaßnahmen, die Auflage steigern. Der Erfolg war allerdings nicht ausreichend. Von dem 1997 erreichten hohen Niveau der Auflage von 61.577 verkauften Exemplaren, davon 50.674 Abos, sank die Auflage im Jahr 1999 auf durchschnittlich 57.984, davon 47.676 Abos.

Stille Reserven reduziert

Heute droht erneut die Überschuldung. Der Wert der Immobilie Kochstraße 18 stellt sich nach einem Verkehrswertgutachten vom Juli 2000 mit 9,8 Millionen Mark um 1,7 Millionen niedriger dar als 1996. Entsprechend reduzieren sich die stillen Reserven. Das Eigenkapital der taz mit 7,79 Millionen Mark und die stillen Reserven in Höhe von 5,95 Millionen Mark entsprechen gerade dem Bilanzverlust in Höhe von 13,67 Millionen Mark. Der ungünstigen Auflagenentwicklung entgegen konnten die Unternehmensergebnisse durch den Ausbau von Nebengeschäften und strikte Kostendisziplin in den letzten drei Jahren sogar jährlich verbessert werden. Das Geschäftsjahr 1999 weist mit 252.000 Mark das für die taz seit langem beste Jahresergebnis aus.

Das Jahr 1999

Der Gesamtumsatz 1999 fiel von 35,55 Millionen DM um 0,7 % auf 35,29 Millionen. Der überwiegende Umsatz wird durch den Zeitungsverkauf, darunter Abonnements mit 23,68 Millionen und Einzelverkauf mit 4,57 Millionen, erzielt. Der Anzeigenumsatz beläuft sich mit 6,12 Millionen auf 17,5 % und konnte im Vergleich zum Vorjahr nicht gesteigert werden. Unbefriedigend ist im Jahr 1999 erneut die Entwicklung der Auflage. Gegenüber dem allgemeinen Auflagenrückgang aller deutschen Tageszeitungen von 1,5 % verlor die taz stärker. Die verkaufte Gesamtauflage ging von 1998 auf 1999 von 59.969 auf 57.984 Exemplare (-3,3 %) zurück.

Der Jahresverlust 1999 in Höhe von 252.000 Mark erhöhte den Bilanzverlust zum 31. 12. 1999 auf 13,67 Millionen Mark. Durch einen Kapitalzuwachs bei der Genossenschaft in Höhe von 650.000 Mark konnte der Verlust finanziert werden. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag reduzierte sich auf 5,88 Millionen.

Das Anzeigengeschäft

Seit 1996 unternimmt die taz durch den Ausbau der Verkaufsorganisation und den Aufbau von Verlagsvertetungen verstärkt Anstrengungen im Anzeigengeschäft. So konnten auch in den ersten Jahren Umsatzsteigerungen erzielt werden. Auf die Stagnation dieser Entwicklung wurde mit weiteren strukturellen Veränderungen in diesem Jahr reagiert. Die taz wird in Zukunft nur auf der Basis stetig steigender Anzeigenumsätze machbar sein.

4.356 GenossInnen

Der Mitgliederzuwachs der taz-Genossenschaft hat auch 1999 erfreulich angehalten. Im Jahr 1999 erhöhte sich die Zahl der Mitglieder um 297 auf 4.356 und das Kapital um 650.000 Mark auf 7,79 Millionen.

Nebengeschäfte

Neben dem Kerngeschäft hat die taz in den letzten Jahren erfolgreiche „Nebengeschäfte“ ausgebaut. Seit 1995 erscheint die deutsche Ausgabe der Le Monde diplomatique als monatliche Beilage zur taz und als separate Ausgabe. Mit der Beilage kostet die taz am Kiosk 1 Mark mehr und erreicht trotzdem eine höhere Auflage. Die Auflage der separaten Ausgabe von Le Monde diplomatique konnte auch 1999 erhöht werden. Hinzugewonnen wurden neben der Schweizer Wochenzeitung weitere Kooperationspartner in Luxemburg (tageblatt) und Österreich (Standard), an die die deutschen Übersetzungen verkauft werden.

Die Vermarktung der taz in Datenbanken konnte auch 1999 ausgeweitet werden. Verbreitet wird die taz-Datenbank über Genios, GBI, Lexis-Nexis und Reuters. Mit einigen Rundfunkanstalten und Verlagen konnten Vereinbarungen über die Inhouse-Nutzung der taz-Datenbank getroffen werden Die taz-CD-Rom erscheint mittlerweile im 5. Jahrgang. 1999 wurde sie mit dem Jubiläumsheft 20 Jahre taz in hoher Auflage verbreitet.

Regionalisierung

Seit den 80er-Jahren erscheinen in Berlin, Hamburg und Bremen tägliche Lokalseiten der taz. Immer wieder wurde in der taz darüber diskutiert, ob sich eine so kleine Zeitung den Luxus dieser Regionalisierung leisten kann, und immer haben wir uns dafür entschieden. Wir wissen aus Umfragen, dass der Wunsch nach Lokalem bei der Leserschaft weit oben steht, und der Vergleich der taz-Auflage in diesen Städten zeigt, dass dort die taz-Auflage doppelt so hoch ist wie in vergleichbaren Städten ohne Lokalteil. Seit 1999 gibt es in den Hamburger und Bremer Lokalteilen erstmals eine gemeinsame Geschäftsführung, die die vor allem in Hamburg notwendigen Sanierungsmaßnahmen ergreift. Im Ergebnis wurde in Hamburg mit -108.000 Mark auch 1999 noch ein negatives Ergebnis erwirtschaftet, dies konnte allerdings durch einen Überschuss in Bremen in Höhe von 80.000 Mark zum Teil ausgeglichen werden. Das Halbjahresergebnis 2000 weist für beide Betriebsstätten überplanmäßig gute Ergebnisse aus. Verbunden mit diesem Erfolg konnte die taz-Hamburg im August 2000 neue Redaktionsräume beziehen.

Die seit Oktober 1998 herausgegebenen wöchentlichen Regionalbeilagen Ruhr und Münster konnten die gesteckten Auflagenziele nicht erreichen. Trotzdem wollte der Vorstand das Experiment weiterer Regionalisierung der taz im Westen nicht aufgeben. Seit Mai 2000 erscheint nach einer Neukonzeptionierung die taz-nrw mit lokalen Seiten für Ruhr, Münster und Köln.

Neue Redaktionstechnik

Nach Jahren der Entwicklung wurde 1999 das neue Redaktions- und Produktionssystem eingeführt. Neben der Neuausstattung sämtlicher Redaktions- und Produktionsarbeitsplätze wurden alle Kommunikationssysteme und auch Belichter in den Druckereien ersetzt. Hierfür wurden in zwei Jahren 1,8 Millionen Mark investiert. Die taz ist nun technisch auf dem neuesten Stand und auch gut gerüstet, um in der Zukunft ihr System kostengünstig zu modernisieren.

Das Jahr 2000

Für das Jahr 2000 wurde ein ausgeglichener Wirtschaftsplan aufgestellt, bei dem die Gesamtauflage mit einem leichten Rückgang und die Aboauflage mit einer leichten durchschnittlichen Steigerung von 200 Exemplaren eingeplant wurde. Mit der Einführung der neuen taz wurde erstmals die sonst im Herbst übliche große Jahreskampagne auf das Frühjahr vorgezogen. Der Marketingerfolg der 15.006 gewonnenen Kurzabos und der daraus umgewandelten 2.250 Vollabos entspricht auch bei dieser Kampagne ähnlichen Ergebnissen aus den Vorjahren. Aber wie in den Jahren zuvor reicht dieser Erfolg nicht aus, den negativen Trend der Abo-Entwicklung zu brechen. Nach Ablauf des ersten Halbjahres 2000 liegt die erreichte Abo-Auflage um 3.500 Exemplaren unter der geplanten.

Mindestens 50.000 Abos

Um die taz bei vorhandenem Seitenumfang und personeller Ausstattung wirtschaftlich zu halten und minimale Spielräume für Entwicklungen zu öffnen, ist eine Basis von mindestens 50.000 bezahlten Abonnements notwendig. Diese Auflage wurde im Jahr 1997 durchschnittlich erreicht. Sie muss auch im Jahr 2001 wieder erreicht werden. Dies kann mit einer Reduzierung des Seiten- und damit des inhaltlichen Angebots nicht gelingen, sondern es würde damit eine Spirale nach unten eröffnet. Im Gegenteil muss die taz dem stärker werdenden Konkurrenzdruck etwas entgegensetzen.

Ob sich die taz auf Dauer am Markt halten kann, hängt einerseits von Rahmenbedingungen ab, die nur zum Teil aus dem Haus beeinflusst werden können. Andererseits muss sich die taz auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen einstellen.

Die Zukunft von Zeitungen im Internetzeitalter ist ungewiss. Die Ablösung des Print- durch das digitale Medium vollzieht nicht der aktuelle Leser, sondern der Nachwuchs. Die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen sind gleichzeitig eine Chance. Es bilden sich neue interessante Milieus für die taz. Im „New Market“ handeln Unternehmen und Personen, die, ähnlich wie die taz vor zwei Jahrzehnten, etablierte Strukturen in Frage stellen.

Das grün-alternativeMilieu, traditionelle Zielgruppe der taz, befindet sich in Auflösung. Das heißt aber nicht, dass die Themen, die uns in den letzten zwanzig Jahren bewegt haben, überkommen sind.

Die taz hat die deutsche Zeitungslandschaft verändert. Gerade die überregionalen oder Berliner Zeitungen haben viel von der taz übernommen und setzen so manche ursprüngliche taz-Idee mit großen personellen und finanziellen Ressourcen um. Einerseits freut uns das, denn es bestätigt uns darin, dass unsere kleine Zeitung großen Einfluss hat. Andererseits macht es dies für uns nicht einfacher, in dem Wettlauf um neue Leser vorn zu sein. Das in diesem Jahr umgesetzte Schwerpunktkonzept ist dabei wieder ein mutiger Schritt in die richtige Richtung.

Reichen die Ressourcen?

Für die Ausstattung des seit März 2000 umgesetzten redaktionellen Konzeptes sind die Ressourcen denkbar knapp – zu knapp. Für das Verbreiten von durch taz-Autoren verfasste Nachrichten waren die redaktionellen Ressourcen bereits eng. Für die der gestiegenen Komplexität der Ereignisse angemessene Darstellung auf Schwerpunktseiten braucht die taz-Redaktion mehr. Eine der Zukunftsfragen für die taz ist, ob die taz-Genossenschaft in der Lage sein wird, ausreichend Kapital für diese und zukünftige Entwicklungen zur Verfügung zu stellen. Alte und neue GenossInnen werden ihr Engagement dabei immer von der Attraktivität des Gesamtkunstwerks taz abhängig machen. Das ist in erster Linie das Blatt, aber damit auch das Unternehmen, das dieses Blatt authentisch bewahren kann.

Neue Finanzquellen

Mit dem Spiegel-Verlag wurden Gespräche über eine paritätische Beteiligung neben der Genossenschaft geführt, um einen Investitionsplan über 5 Jahre mit 30 Millionen Mark umzusetzen. Diese Gespräche haben zu keinem Ergebnis geführt. Und der Spiegel hat in der deutschen Verlagsszene eine Ausnahmestellung. Beteiligungen oder Kooperationen der taz mit dem „Sturmgeschütz der deutschen Demokratie“, in dem eine stattliche Anzahl ehemaliger taz-Mitarbeiter arbeiten, sind mit den eher synthetischen Ambitionen anderer Verlage oder auch privaten Interessenlagen nicht zu vergleichen.

Selbstverständlich sind Vorstand und Aufsichtsrat dennoch verpflichtet, geeignete Finanzierungsquellen, die Investitionen in die Verbesserung der taz ermöglichen, zu erschließen. Wichtigste Voraussetzung aber ist die unverzügliche Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit der taz durch eine hinreichende Anzahl kurzfristig gezeichneter zusätzlicher Abonnements. Dazu brauchen wir die Mithilfe und Solidarität aller LeserInnen, GenossInnen und sonstigen der taz wohlgesinnten Menschen.