Eine Asphaltpiste für BMW

Im Landkreis Stade formiert sich kompetenter Widerstand gegen die Pläne, die Ostsee-Autobahn A 20 westlich um Hamburg herum gen Süden zu führen  ■ Von Gernot Knödler

Erst stehen da ein Haus und zwei Bäume. Dann kommt eine Planierraupe herangerattert, und ein Engel schwebt vom Himmel, der die Planierraupe zu stoppen versucht. Am Ende sind der Engel, das Haus und die Bäume platt. Ein LKW gießt den Asphalt für eine feine Autobahn über die Landschaft und die website www.engelschoff.de, der wir diese kleine Animation entnommen haben, kann gelöscht werden. Der Ortsname auch.

Damit es nicht so weit kommt, haben Jörg Stark und Peter Wortmann von der „Bürgerinitiative gegen den Bau der Westtrasse der A20“ zum Informationsabend in dem kleinen Ort Hagenah zwischen Stade und Bremervörde eingeladen. Der Saal ist so voll, dass die beiden Bedienungen nicht mehr nachkommen mit dem Nachschub an Bier und Alsterwasser.

Der diplomierte Psychologe Stark, im hellen Anzug mit Weste, bietet den schätzungsweise 250 Leuten eine Präsentation, mit der er sich in jedem Konzern-Meeting sehen lassen könnte: Planungsschritte, Position der BI, Entscheidungsstand in den betroffenen Gemeinden – alles vom Laptop auf die Wand projeziert. Keine Frage: Im Landkreis Stade formiert sich kompetenter Widerstand gegen die Pläne des Bundes und der Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die Ostsee-Autobahn A 20 westlich um Hamburg herum gen Süden zu führen.

Von Prenzlau in Mecklenburg-Vorpommern kommend ist die Trasse entlang der Ostsee-Küste bis Bad Segeberg durchgeplant. Ein Drittel der Strecke, von Ros-tock bis zur schleswig-holsteinischen Landesgrenze, hat der neue Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) neulich dem Verkehr übergeben.

Südwestlich von Bad Segeberg ist noch alles offen. Das Land Hamburg bevorzugt eine Variante, die östlich von Barmstedt, Uetersen und Stade zur A 1 bei Heidenau führt, um das Stadtgebiet möglichst stark vom Verkehr zu entlasten. Schleswig-Holstein und Niedersachsen hätten lieber einen großen Bogen, der über Bad Bramstedt, Glückstadt und Drochtersen ins Elbe-Weser-Dreieck führt, um ihre strukturschwachen Räume zur erschließen. Wenn Ulrike Dettmer vom Niedersächsischen Verkehrsministerium sagt, „das Ganze ist ja eine Hamburg-Umfahrung“, dann meint sie das in einem ganz anderen Sinne als die Hamburger Verkehrsplaner.

Auf dem Gebiet des Landkreises Stade mäandern die Planungsvarianten für die neue Autobahn wie in einem Flussdelta durch die Landschaft. Neben den beiden Korridoren bei Buxtehude und hart östlich von Stade ist kürzlich ein dritter westlich von Stade wieder in der Diskussion aufgetaucht. Der damalige Bundesverkehrsminister Günter („Sause“-)Krause hatte diese Westkurve vorgeschlagen. Sie führt direkt über das Gebiet der Samtgemeinden Himmelpforten und Oldendorf und hat dort für entsprechende Unruhe gesorgt. Wie das Verkehrsministerium bestätigt, ist statt einer Anbindung an die A1 neuerdings im Gespräch, die Trasse zum Wesertunnel abbiegen zu lassen – eine Autobahn für die Nordsee-Küste. Im Frühjahr 2002 soll das Raumordnungsverfahren beginnen, bei dem eine der Varianten ausgewählt wird.

„Wenn die Autobahn kommt, muss ich mir 'ne Ampel für meinen Schulweg kaufen“, sagt Lehrer Peter Wortmann. Variante 1.5a kreuzt den Ortsverbindungsweg von Weißenmoor nach Estorf und wird wohl kaum untertunnelt werden. Doch sein Schulweg, das weiß auch Wortmann, ist nur eine Marginalie beim Kampf gegen die Autobahn. Viel stärker werde der Lärm der 36.000 Autos stören, die täglich auf der Westkurve lang brettern, und die Lichterkette, die sie über die Landschaft legen würden.

Jörg Stark, der selbst in Himmelpforten wohnt, haut seinen Zuhörern die gesammelten Argumente gegen die Autobahn im Schnellkurs um die Ohren:

– Eine 55,8 Meter breite Trasse zerschnitte die Landschaft.

– Die Natur würde zerstört. Mit dem sanften Tourismus wäre es aus und vorbei.

– Abgase verpesteten die Luft.

– Familien würden aus ihren Häusern vertrieben, Lebensentwürfe zerstört und Dorfgemeinschaften auseinander gerissen.

– Wohnhäuser verlören an Wert und taugten nicht mehr zur Alterssicherung.

– Der Verkehr von und zur Autobahn verstopfte die Landstraßen.

– Die geplante A 26 von Hamburg nach Stade würde über kurz oder lang zur Westtrasse hin verlängert und brächte weitere Belastungen mit sich.

– Wirtschaftliche Vorteile der Autobahn seien nicht nachgewiesen.

– Das Pendlertum würde gefördert.

– Die Leute führen über die Autobahn in die Einkaufszentren; der örtliche Einzelhandel hätte das Nachsehen.

– Kein Mensch wäre schneller in Hamburg, zumindest nicht bis die A26 irgendwann einmal fertig gebaut ist.

– Wenn die A 20 käme, hieße das keineswegs, dass auch notwendigen Ortsumgehungen gebaut würden.

Stark muss nicht einmal Luft holen nach diesem Stakkato an Argumenten. Seine ZuhörerInnen sind allerdings so geplättet, dass sich keine Hand zu einer Frage hebt und Peter Wortmann zum politischen Teil überleitet: Zur Vorbereitung des Raumordnungsverfahrens hatte das Landratsamt die Zustimmung der Gemeinden zu der Autobahn-Planung einholen wollen und oft auch erhalten. Ehe die Bürger so recht mitkriegten, was lief, hatte die Mehrheit der Räte bereits die Hand für die Asphaltpiste gehoben. Im Kreistag stimmten lediglich die Grünen gegen die Autobahn.

„Es ist ein Unding, dass die Politiker so ein Thema im kleinen Kreis abmachen“, schimpft Frauke Engelbart, BI-Mitglied aus Kranenburg. Jetzt versucht die Bürgerini-tiative, die Beschlüsse zugunsten der Autobahn nachträglich wieder zu kippen. „Schreiben Sie Ihrem Gemeinderat einen Brief“, schlägt Jörg Stark vor. Auch ein persönliches Gespräch über die negativen Folgen der Autobahn könnte eine Meinungsänderung bewirken. Nächstes Jahr ist Kommunalwahl – die Bürgerinitiative sieht das als Chance.

Stark & Co. setzen darauf, dass aus möglichst vielen Orten entlang der geplanten Trasse Widerstandsnester werden. „Wir sollten uns bewusst sein, dass Widerstand für jeden Planer Gift ist“, sagt er. Wortmann stellt den Prototypen eines Schildes gegen die West-Trasse vor. Text: „Hier will die Bundesrepublik Deutschland demnächst die Transit-Autobahn A 20 bauen. Wir sind dagegen.“ Eine Liste wandert durch den Saal, auf der sich alle eintragen können, die sich auf eigene Kosten so ein Schild in den Garten stellen wollen. Einer hat inzwischen eine Kuh an die Landstraße gestellt, die auf die Autobahn scheißt.

„Ich hab' Verständnis für die Leute, die sagen, ich will keine Autobahn“, beteuert der parteilose Stader Landrat Gunter Armonat. Allerdings findet er, „dass wir mit St. Florian unsere Probleme nicht lösen können“. Das hieße: Jeder will die Autobahn, nur nicht in seinem Vorgarten. Allgemein, sagt Armonat, herrsche zum Beispiel die Meinung, dass es eine Chance für den Landkreis wäre, wenn BMW eine Auto-Fabrik hier errichtete, wofür die eine Autobahn Voraussetzung wäre. Gleichzeitig seien diejenigen gegen das Projekt, durch deren Gemeindegebiet (oder Garten, oder Wohnzimmer) die dicke Verkehrsader einmal führen könnte. Ein tückisches Argument für eine Bürgerinitiative auf dem Land, wo auch ökologisch orientierte Leute in der Regel ein Auto besitzen.

Bei der Bewerbung für die BMW-Fabrik, in der die neue 2er-Reihe der Bayern gebaut werden soll, hat es Stade unter 200 Bewerbern in den Kreis der letzten 15 geschafft. Ausschlaggebend für die Wahl Stades ist nach Ansicht des Stader Stadtdirektor Dirk Hattendorf allerdings die A26 von Stade nach Hamburg. Für diese Piste, die die überfüllte und unfallträchtige Bundesstraße 73 entlasten soll, ist mit den Milliarden aus den UMTS-Mobilfunk-Lizenzen plötzlich das Geld da. Zur Zeit wird sie nur durch eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss aufgehalten. Am 17. Januar wird das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg in der Sache entscheiden.

Die Spitzen von Stadt und Kreis sind sich einig, dass beide Autobahnen gebaut werden müssen, um die Zukunft der Region zu sichern. Zwar hat der Kreis ein hohes Steueraufkommen und eine unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote von etwa sieben Prozent gegenüber gut achteinhalb Prozent landesweit und auch die Einwohnerzahl ist insgesamt gestiegen. Gleichzeitig jedoch werde das Atomkraftwerk geschlossen und es entvölkere sich der Norden des Kreises. Dieser Entwicklung gelte es zu begegnen. Es wäre zwar schön, wenn die Pendler schnell nach Hamburg kämen, sagt Landrat Armonat. „Noch schöner wäre es, wenn wir die Arbeitsplätze hier selbst schaffen könnten.“

Als Beleg für seine Arbeitsplatz-Hypothese gelten Armonat die Autobahn-Landschaften anderswo in der Republik: „Da tut sich was.“ In der Metropol-Region Hamburg seien nur zwei weitere Landkreise ohne Autobahn-Anschluss: Uelzen und Lüchow-Dannenberg, das auf eine andere Art der Entwicklung setze. Die Kreise nördlich der Elbe dagegen seien alle durch Autobahnen erschlossen. „Wir wissen, dass sich dort einiges abspielt“, sagt der Landrat.

Die Bürgerinitiative kann sich dagegen auf Gutachten berufen, nach denen der Straßenbau in ländlichen Gebieten weder zu einem Bevölkerungswachstum noch zu einem nennenswerten wirtschaftlichen Aufschwung führt. Schließlich geht es ja nicht nur um die Stadt Stade, die aufgrund der bereits vorhandenen Industrie für Investoren attraktiv ist. Neben dem AKW gibt es in Stade Werke des Airbus-Bauers EADS, der DOW-Chemical und eine Aluminium-Fabrik.

Auch das Argument der Naturzerstörung hält Armonat nicht für stichhaltig. Für die weltweit geforderte ökologisch nachhaltige Entwicklung fühlt er sich in puncto Autobahn nicht zuständig. „Es nützt auch nichts, wenn man verharrt als kleiner Landkreis und geht nachher mit einer tollen Moral unter“, sagt der Landrat. Ein alter BUND-Streiter formulierte es bei einem Treffen der lokalen Anti-Autobahn-Initiativen von der anderen Warte aus: Er habe in den 80er Jahren geglaubt, mit der Autobahn-Diskussion durch zu sein. Jetzt hat er das Gefühl, eine Neuauflage der auto-gläubigen 60er Jahre zu erleben.