Vier Kilo Würstchen für den Dschungel

Plaudern mit dem Mythos: Der spanische Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán hat den Subcomandante Marcos in dessen Versteck besucht. Herausgekommen ist ein Konversationsbuch über die Globalisierung, das Kino, den Sänger Manu Chao und die Strategien der libertinären Linken

von ANNE HUFFSCHMID

Am Anfang, so will es die Legende, sollen ein paar Würstchen gewesen sein. Oder besser: der Heißhunger drauf. Gegenüber dem spanischen Fernsehen verkündete Subcomandante Marcos vor ein paar Jahren, ab sofort keine Romane aus der Feder seines Lieblingsautors Manuel Vázquez Montalbán lesen zu wollen, da die raffinierten Rezepte von Detektiv Pepe Carvalho im unwirtlichen Lacandonenurwald nur Magenknurren verursachen. Reuevoll versprach der Katalane daraufhin in einer Kolumne in El País, im nächsten Detektivroman ein paar dschungeltaugliche Rezepte einzubauen. Und so nahm der transatlantische Flirt zwischen Chiapas und Barcelona seinen Lauf. Als Nächstes landete eine – auch an Carvalho adressierte – persönliche Einladung bei Vázquez Montalbán. Bei seiner Chiapas-Visite, hieß es darin, möge dieser ein paar chorizos, die legendären spanischen Paprikawürste, mitbringen. Der Schriftsteller nahm Marcos beim Wort. Im Februar 1999 reiste er – zunächst incognito – in den mexikanischen Südosten, im Gespäck jede Menge Bücher, Nougat und vier Kilo Würstchen („schwerer zu schmuggeln als subversive Propaganda“).

Als der Literat hinterher von mexikanischen Journalisten gefragt wurde, ob er denn wirklich den Wortführer der zapatistischen Guerilla EZLN getroffen habe, antwortete dieser weise: „Ich bin da einem begegnet, der ihm sehr ähnlich ist.“ Außerdem sei es schwierig, zu behaupten, man habe Marcos leibhaftig getroffen, „mit Skimütze sehen die ja alle gleich aus“. Marcos, so der Schriftsteller weiter, interessiere ihn ohnehin in erster Linie als „Metapher für eine neue Moderne“. Mit seiner listigen Entgegnung umschiffte Vázquez Montalbán nicht nur geschickt die Neugier der Reporter und nebenbei das geheimdienstliche Interesse am Aufenthaltsort des zu dieser Zeit schon länger von der öffentlichen Bühne entschwundenen Subcomandante, sondern lenkte das Gespräch auch auf die weit interessantere Frage: nicht die nach dem Kopf, sondern die nach dem Konzept.

Denn in Montalbáns Buch „Marcos – Herr der Spiegel“, in dem das Treffen dokumentiert ist, geht es um so gut wie alles, nur nicht um Biografisches. Sieben Jahre nach jener spektakulären Sylvesterrevolte ist der Subcomandante noch immer – allen offiziellen Enthüllungsversuchen zum Trotz – eine sprechende Skimaske. Und ein wandelndes Paradox: Kein Guerillero war je präsenter in der modernen Medien- und Cyberwelt, keiner war je zuvor wohl derart gründlich verhüllt. Nicht nur das Antlitz, auch alles andere, was den vor 16 Jahren untergetauchten Intellektuellen etwas greifbarer machen könnte. Ohne jeden Vorwurf, eher mit Bewunderung, stellt Vázquez Montalbán fest, wie schnell Marcos ein „Instantmythos“ auf dem globalisierten Medienmarkt geworden sei, der mittlerweile sogar dem Kommerzfernsehen Interviews gibt.

Der katalanische Essayist, Romancier und Gelegenheitsreporter ist bei weitem nicht der erste Promi, der den Subcomandante im Dschungel aufgesucht hat. Viele andere waren vor ihm da, leibhaftig oder in postalischer Korrespondenz. Neben einigen der klügsten Köpfe Mexikos – Autoren wie Carlos Fuentes, Carlos Monsivais oder Adolfo Gilly – auch Autoren aus anderen Teilen der Welt, etwa José Saramago, Regis Debray, John Berger, Eduardo Galeano oder Alain Touraine. Seit 1994 zählt Vázquez Montalbán zu jener Spezies solidarischer Intellektueller, deren Sympathiebekundungen der militärisch dürftig bestückten Revolte etwas Luft verschafft haben dürften.

Nicht ohne Eitelkeit, aber angenehm selbstironisch beschreibt Vázquez Montalbán seine heimliche Visite als „Eindringling und Voyeur“ im Reich der Aufständischen. Um zum geheimen Treffpunkt zu gelangen, sieht sich der beleibte 61-Jährige gezwungen, als „Indiana-Jones-Verschnitt“ durch die Berge zuckeln. Auch der eigenen Ignoranz in Sachen Indios ist sich der Besucher wohl bewusst – nicht selbstverständlich angesichts der verbreiteten Selbstgefälligkeit seiner Zunft. Allerdings bildet er sich auch nicht ein, dass man sich in wenigen Tagen gegen alle Folkloreklischees und hispanische Arroganz ein Bild von der indigenen Wirklichkeit machen kann. An neugierigsten ist er ohnehin auf jenen maskierten Herrn und seine Spiegel.

In seinem Buch hat Montalbán in der Tat die zentrale Metapher des Zapatismus erkannt: den Spiegel, in doppelter Bedeutung. Zum einen als Aufforderung, in der zapatistischen Spiegelmaske so etwas wie das wahre Antlitz des Landes zu erkennen: Rassismus, Indio-Misere, Repression. Zum anderen aber auch das Spiegelbild als „Grenze dieser Realität, die durchquert werden will“. Die paradoxe Spiegeltür, die in den zapatistischen Texten immer wieder den Blick vor und zurück ermöglichen soll, ist eine der vielen Anleihen bei Lewis Carrol, einem anderen Lieblingsautor des Subcomandante. Entscheidend ist der interaktive Charakter dieser Spiegelstrategie, die sich am Feedback, dem permanenten Wechselspiel von Lesen und Gelesenwerden, Reden und Zuhören, ausrichtet. „Wir sind nicht auf der Suche nach Anhängern“, sagt Marcos, „sondern nach Gesprächspartnern.“

An dieser unorthodoxen Strategie verzweifeln Realpolitiker jeder Coleur regelmäßig. „Deine Gegner wären dir für einen klassischen revolutionären Diskurs sehr dankbar gewesen“, meint Vázquez Montalbán. Aber auch das Unbehagen der konventionellen Linken ist mit den Jahren eher größer als kleiner geworden. So beklagen seriöse MarxistInnen wie selbst ernannte Linksradikale den „bürgerlichen“ Charakter der Zapatistenguerilla, die zwar eine „schöne“, aber eben keine klassenkämpferische Bewegung sei, wie Rossana Rossanda einmal schrieb. Mit ihrer penetranten „Idealisierung von Demokratie und Zivilgesellschaft“, so stand vor ein paar Jahren allen Ernstes in der Jungle World zu lesen, vertrete die EZLN letztlich nichts als „die Doktrin des globalen Marktes“. Die „mexikanischen Armen“ hingegen, weiß der Autor zu berichten, „brauchen weder Demokratie noch Zivilgesellschaft“, sondern vielmehr gleich „die weltweite Abschaffung“ von Markt und Staat. Kaum eine Bezeichnung aber bringt die ideologische Missbilligung so liebevoll auf den Punkt wie das Etikett, das Berliner Antiimperialisten den Zapatistas einst verliehen hatten: diese seien nichts als eine „Plüschguerilla à la Winnetou.“

Manuel Vázquez Montalbán hingegen macht aus seiner Faszination für die Bewegung keinen Hehl. Dass er dabei neugierig und nicht allwissend auftritt, macht die Lektüre seiner kleinen, unprätentiösen Entdeckungsreise gut verträglich, leicht, nicht light. „Pamphlet“ nennt er seinen Text, in dem Reportage, O-Töne und Transkriptionen, Essay und Expertenzitate – leider ohne alle Quellenangaben – verwoben sind. Es ist das vor allem das Dokument einer intellektuell-politischen Komplizenschaft. „Wir sind Überlebende desselben Schiffbruchs“, heißt es zum Auftakt des Gesprächs mit Marcos lakonisch, „und wir haben fast das Gleiche gelesen, das ist alles.“ So entspinnt sich eine Plauderei über allerlei gemeinsame Themen: Globalisierer und Globalisierte, Demokratie und Sprache, Neoliberalismus („Striptease des Staates“) und das Phantom der „guten Zivilgesellschaft“, aber auch Blade Runner, Herr Kissinger und Manu Chao. Insgesamt also eine dieser aus der Mode geratenen Konversationen über Chancen und Strategien der libertären Linken. Mit dem kleinen Unterschied, dass über den Sprechenden ab und an ein Tiefflieger kreist.

Zumindest das mit den Tieffliegern könnte sich nach dem Zusammenbruch der Staatspartei ein wenig ändern. Der neue Präsident Vicente Fox will Truppen abziehen, Gefangene freilassen und Indio-Gesetze beschließen. „Ein Fenster ist geöffnet worden“, schrieb Subcomandante Marcos kürzlich zum Machtwechsel. „Einige wollen es schnell wieder zumachen. Andere begnügen sich mit der Betrachtung. Und wieder andere schauen schon, wie sie die Tür aufbekommen, um heraustreten zu können.“ Immerhin: Das lange Schweigen ist vorbei, nach vier Jahren Funkstille könnte zwischen Regenwald und Regierungspalast demnächst wieder geredet werden. Bei allen stilistischen wie semantischen Ähnlichkeiten zwischen dem zapatistischen Ya Basta (Es reicht) und dem foxistischen Ya-Slogan, den sein PR-Designer heute freimütig als von der EZLN inspiriertes „Mantra“ bezeichnet: Liebesbriefe aus dem Dschungel wird es für Fox nicht geben. „Oberflächlichkeit“ und „Ahnungslosigkeit“ sind noch das Harmloseste, was dem Business-Präsidenten bescheinigt wird. Und: „In Sachen Glaubwürdigkeit und Vertrauen beginnen Sie für uns bei null“ – was ja zumindest auch bedeutet, noch nicht im Minus zu sein. Ein Ende des Konflikts, wie in so vielen Presseberichten zu lesen stand, ist damit noch lange nicht in Sicht. Möglicherweise aber schon mal das Ende des Krieges.

Auf- oder abtauchen, irgendwann könnte das auch für Marcos die Frage werden. Bislang war es, so Montalbán, eher das Dilemma seiner Gegner: „Entweder bringen sie ihn um oder sie geben ihm den Nationalen Literaturpreis.“ Auf beides legt Marcos erklärtermaßen keinen Wert. Und vielleicht gibt's ja doch noch was dazwischen. Dann wäre der Subcomandante eines schönen Tages kein schillernder Herr der Spiegel mehr. Aber dafür könnte er dann seine Chorizos wieder selbst im Laden kaufen.

Manuel Vázquez Montalbán: „Marcos - Herr der Spiegel“. Aus dem Spanischen von Gerda Schattenberg-Rincón. Wagenbach-Verlag, Berlin 2000, 219 Seiten, 34 DM