„Buback – Ein Nachruf“

DOKUMENTATION: Ein Text von 1977 sorgt erneut für Aufruhr. Der anonyme „Mescalero“ freute sich über den RAF-Mord an Buback – und war dennoch gegen Gewalt

„Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.“

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ERKLÄRUNG: Wir sehen uns veranlasst, einen Nachruf zu veröffentlichen – einen Nachruf, den zu veröffentlichen unter Strafe gestellt worden ist: es geht um den erstmals in der Göttinger Studentenzeitung publizierten Nachruf auf Buback. Dieser Nachruf hat heftige Reaktionen ausgelöst: seine Verbreitung wird von Justiz und Polizeiorganen sowie von Hochschulleitungen verfolgt; in den Massenmedien, auch in den bürgerlich-liberalen Zeitungen, wird dieser Nachruf als Ausgeburt „kranker Gehirne“ und als Musterbeispiel für „blanken Faschismus“ (Frankfurter Rundschau) deklariert. Der vollständige Text wird nirgends veröffentlicht; im Gegenteil, die zentrale Intention des Artikels – seine Absage an Gewaltanwendung – wird unterschlagen.

Warum wird dieser Artikel unterdrückt? Die Publikation der unbotmäßigen Gefühle eines Studenten trifft auf eine Situation, in der der Staat Trauer für einen seiner Repräsentanten verordnet und in Szene setzt. Der Artikel verletzt in Form und Inhalt staatsbürgerliche Anstandsregeln – der Bundesjustizminister zeigt die „Verunglimpfung des Andenkens Toter“ an. Der Artikel aber will auf seine Weise nichts weiter, als verordnete Gefühlsregungen infragestellen und einen Denkprozeß über die Gewaltverhältnisse in unserer Gesellschaft in Gang setzen.

Wir halten diesen Denkprozeß für notwendig. Die Unterdrückung und Verfolgung des Artikels ist selbst Ausdruck dieser Gewaltverhältnisse: während jeder Ansatz sozialistischer Kritik und Praxis erstickt werden soll, können sich faschistoide Tendenzen ungehindert breit machen. Die politische Öffentlichkeit in der Gesellschaft und speziell an den Hochschulen wird weiter eingeschränkt. Durch die exemplarische Kriminalisierung einzelner Studentenvertreter wird an den Hochschulen ein Klima der Angst erzeugt, in dem viele politische Diskussionen nicht mehr geführt werden und Äußerungen, die möglicher Weise politischen Charakter haben könnten, nur noch hinter vorgehaltener Hand gemacht werden.

Wir sind der Auffassung, daß eine öffentliche Diskussion des gesamten Artikels möglich sein muß. Mit seiner Veröffentlichung wollen wir zugleich dazu beitragen, der Kriminalisierung, der Illegalisierung und dem politischen Äußerungsverbot entgegenzutreten, indem wir das Recht auf freie politische Meinungsäußerung praktisch wahrnehmen.

BUBACK – EIN NACHRUF: Dies soll nicht unbedingt eine Einschätzung sein oder ein kommentierender Verriß vom Schreibtisch aus, mit päpstlichen Gestus vorgetragen und als „solidarische Kritik“ bezeichnet. Ausgewogenheit, stringente Argumentation, Dialektik und Widerspruch – das ist mir alles piepegal. Mir ist bei dieser Buback- Geschichte einiges aufgestoßen, diese Rülpser sollen zu Papier gebracht werden, vielleicht tragen sie ein bißchen zu einer öffentlichen Kontroverse bei.

Meine unmittelbare Reaktion, meine „Betroffenheit“ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte. Wer sich in den letzten Tagen nur einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen, welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender Weise verkörperte (...) So eine richtige Freude, wie etwa bei der Himmelfahrt von Carrero Blanco konnte einfach nicht aufkommen [Anm. d. Red.: spanischer Regierungschef unter Franco, 1973 von der ETA ermordet].

(...) Deutlicher wird das, was ich damit kritisieren will, vielleicht am Beispiel des Roth/Otto Prozeßes in Köln. In diesem Prozeß war die Strategie der Bubacks, die, Linke, die nachweislich nicht geschossen haben, als Polizisten-Mörder zu verurteilen. Revolutionäre Linke sind Killer, ihre Gesinnung, ihre Praxis prädestiniert sie zu Killern, die vor keinem Mittel zurückschrecken – so die Gleichung der Ankläger und (offensichtlich) der Richter.

In mühevoller Kleinarbeit ist es den beteiligten Genossen und Genossinnen wenigstens ansatzweise gelungen, diese Strategie zu durchkreuzen und zwar so zu durchkreuzen, daß selbst die gleichgeschalteten Medien über die Sauereien, unmenschlichen Haftbedingungen, Verfahrensfehler etc. zu berichten gezwungen sind. (...) Ich befürchte aber, daß mit dem Anschlag auf Buback den Genossen die guten Karten aus der Hand genommen worden sind, daß hierdurch eine unfreiwillige Amtshilfe für die Justiz geleistet wurde, die vielleicht sogar den Urteilsspruch negativ beeinflussen wird (...)

Diese Überlegungen alleine haben ausgereicht, ein inneres Händereiben zu stoppen. Aber es kommt noch doller. Ich habe auch über eine Zeit hinweg (wie so viele von uns) die Aktion der bewaffneten Kämpfer goutiert; ich, der ich als Zivilist noch nie eine Knarre in der Hand hatte, eine Bombe habe hochgehen lassen. Ich habe mich schon ein bißchen dran aufgegeilt, wenn mal wieder was hochging und die ganze kapitalistische Schickeria samt ihren Schergen in Aufruhr versetzt war (...)

Ich habe mir auch jetzt wieder vorgestellt, ich wäre bei den bewaffneten Kämpfern (...) Ich müßte völlig umdenken: ich denke immer noch, daß die Entscheidung zu töten oder zu killen bei der herrschenden Macht liegt, bei Richtern, Bullen, Werkschützern, Militärs, AKW-Betreibern. Daß ich dafür extra ausgebildet sein müßte; kaltblütig wie Al Capone, schnell, brutal, berechnend. (...)

Wenn in Argentinien oder gar in Spanien einer dieser staatlich legitimierten Killer umgelegt wird, habe ich diese Probleme nicht. Ich glaube zu spüren, daß der Haß des Volkes gegen diese Figuren wirklich ein Volkshaß ist. Aber wer und wieviele Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über Leben und Tod zu entscheiden?

Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen. (...)

Wir brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen und die Tagesmeldungen zu verfolgen: die Strategie der Liquidierung, das ist eine der Strategien der Herrschenden. Warum müssen wir sie kopieren? (...)

„Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen“

Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz, Knast und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen), dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.

Warum liquidieren? Lächerlichkeit kann auch töten, zum Beispiel, auf lange Sicht und Dauer (...) Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist (...) unsere Tagesaufgabe. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen.

Ein bißchen klobig, wie? Aber ehrlich gemeint ...

EIN GÖTTINGER MESCALERO“