eine begegnung mit klaus hülbrock

Auf dem Fernsehapparat blüht ein gelbes Blümchen

WER IST MESCALERO? Ein untersetzter Mann wartet am Bahngleis, unauffällig. Brille, graues Haar. „Laufen Sie nicht so schnell, ich hab’s am Herzen.“ – „Sie sind Mescalero?“ – „Ja, Klaus Hülbrock.“ Unscheinbar wie Otto Meier, der Kegelfreund von nebenan. Er bittet in seine „Studentenbude“. Eine Art Universitätsherberge. Küchenzeile im Flur, Ikea-Birkentisch, lachsfarbene Wachsdecke; auf dem Fernsehapparat blüht ein gelbes Blümchen aus Seide. Die Gemeinschaftswohnung ist die Mo.-Di.-Mi.-Do.-Unterkunft des Deutschlehrers. Zwanzig jungen Amerikanern bringt er binnen drei Monaten die fremde Sprache bei. Es ist eine Kraft raubende Arbeit. Vier Tage in der Woche lebt er für den Job. Fast jede Nacht steht Klaus Hülbrock vor 5 Uhr auf, setzt sich an den Birkentisch und bereitet den Unterricht vor. In seinen Kursen fragt er die Schüler: Was ist deutsch?

DIE KLAMMHEIMLICHE FREUDE, die Lust am Sezieren von Wörtern und der Spaß an der Subversion – das ganze Instrumentarium der frühen Jahre steht fein säuberlich aufgereiht in seinem Kopf. Sein Kopf ist eine Scheune. Ein großer dunkler Raum, ein geheimnisvoller Raum, in dem die Zeit stehen bleibt. Doch er hat den politischen Diskurs verlassen, ist total vereinzelt.

MESCALERO. SEIN NAME ruft Erinnerungen wach. 1977. Brokdorf. RAF. Der Staat, der sich in einen Ausnahmezustand versetzte. „Ehrlich“, schreibt Mescalero in seinem Artikel zum Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, „ich bedaure es ein wenig, dass wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot-schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistverhassten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen. Ihn nun nicht mehr – enfant perdu“.

DAS ENTSETZEN war groß. Mescalero wollte die Sympathisanten der RAF bei ihrer „klammheimlichen Freude“ abholen, um sie vom Weg des Terrors abzubringen. Doch die Brutalität seiner Sprache überdeckte den Inhalt. Vor zwei Jahren erklärte sich Mescalero zum ersten Mal in einem Brief an Bubacks Sohn Michael. Der hatte im Fernsehen ein Gedicht von Erich Fried über den Mord und Nachruf besprochen: „Was er getan hat / im Leben / davon wurde mit kalt ums Herz / Soll mir / nun warm ums Herz werden/ durch seinen Tod?“ Buback beklagt: „Im Unterschied zu Fried, der mit offenem Visier in Erscheinung getreten ist, hält sich der ,Mescalero‘ allerdings immer noch im Dunkeln, das ich nicht durchbrechen werde.“ ROGA