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: Die Geschichte des Boxers Sonny Liston

Ein Mann – ein Bösewicht

Boxen ist einfach. Da stehen sich zwei Männer gegenüber. Der eine haut den anderen und umgekehrt. Manchmal trägt der eine Mann eine weiße Hose, der andere eine schwarze. Dann weiß man, wer der Böse ist. Wenn Sonny Liston im Ring stand, der Schwergewichtsweltmeister von 1962 bis 1964, wusste man immer, wer der Gute war: Es war immer genau der Mann, der gegenüber von Liston stand. Zwei Mal musste Liston doch den Guten geben, und beide Male scheiterte er: 1964 im ersten Kampf gegen Muhammad Ali, der damals noch Cassius Clay hieß, als er zu Beginn der siebten Runde einfach sitzen blieb. Und im zweiten Kampf gegen Muhammad Ali 1965, da schlug Ali Liston in der ersten Runde K.o. Liston musste dort scheitern, das zeigt die Geschichte seines Lebens, das am 30. Dezember 1970 vermutlich wegen einer Überdosis Heroin endete. Auf seinem Grabstein steht schlicht „A Man“.

„Der Teufel und Sonny Liston“ heißt ein Buch, das diese Geschichte erzählt. Der New Yorker Autor Nick Tosches hat es geschrieben, und er erzählt so gut und so gut recherchiert, wie es man es vom amerikanischen Journalismus erwartet. Charles L. Liston, aus Gründen, die keiner kennt „Sonny“ gerufen, wurde irgendwann zwischen 1926 und 1933 geboren. Er wuchs auf einer der Plantagen auf, wo noch in den dreißiger Jahren faktisch die Sklaverei fortbestand, ohne Vater, mit überforderter Mutter, seine Geschwister kannten sich kaum untereinander. Liston blieb Analphabet, er setzte auf körperliche Fähigkeiten. Und das hieß bei ihm: Raubüberfälle. Er kam ins Gefängnis, dort lernte er boxen. Sonny Liston wurde einer der gefährlichsten K.o.-Schläger der Boxgeschichte.

Seine Finanzen übernahmen recht schnell Manager, die der Mafia nahe standen, so war das in den 40er- und 50er-Jahren. Aber Liston war ein so typischer Vertreter des miesen Gewerbes, dass sich ihm viele entgegenstellten: Das Boxbusiness, weiße Senatoren und große Teile der Presse wollten einen Weltmeister Liston verhindern. Es gelang ihnen nicht: 1962 bekam Liston einen WM-Kampf gegen Floyd Patterson, den schwarzen Weltmeister, der auch vom weißen Establishment gemocht wurde. Liston schlug einen verängstigten Patterson in der ersten Runde K.o.

Anfang der Sechzigerjahre betrat ein junger Mann namens Cassius Clay die Szene des amerikanischen Boxgeschäfts. Clay hatte keine Angst – oder er versteckte sie hinter seinem großen Maul. Liston-Biograf Nick Tosches schildert Clay als einen „guten, sauberen Junge der Mittelklasse, der Amerika keine Schande und Feindseligkeit bescherte“. Aber aus Clay wurde 1964 Muhammad Ali, ein Mitglied der Nation of Islam, und die weiße US-Öffentlichkeit stellte sich gegen Clay/Ali.

Tosches jedoch meint, dass Ali keineswegs ganz Amerika gegen sich hatte, sondern sich zum Helden des linksliberalen Amerikas der Ostküste stilisierte. Sonny verhöhnte und missachtete Intellektuelle, Ali aber kannte ihren Wert und war ihnen gefällig. „Viele jener Autoren, die nicht besser schreiben konnten als boxen,“ schreibt Tosches, „fanden in ihm einen willigen und geeigneten Komplizen für ihre eingebildete Intelligenz und den Betrug an sich selbst und anderen.“

Liston ist ihm der Mann, der das korrupte, also das ehrliche Berufsboxen repräsentiert. Ali, sein Gegner, derjenige, der es mit Kitsch überzieht, ihm Bedeutungen beimischen will, die nicht in den Boxring gehören, und dem dazu alle Mittel recht sind: Als Liston im ersten Ali-Kampf aufgab, hinderte ihn angeblich eine Schulterverletzung am Weiterkämpfen. Tosches hält dies für unglaubwürdig. Nach seiner Beweisführung, die freilich so ganz wasserdicht nicht ist, wurde Ali nur durch Betrug Weltmeister. Der Rückkampf hingegen war für Tosches „nicht nur eine Schiebung, er war eine zur Schau gestellte Schiebung“. Und endete durch K.o. in der ersten Runde für Ali. „Der offenkundig abgesprochene Kampf schien auf die Einschüchterung durch eine Legion von Black Muslims zurückzuführen zu sein.“ Die Macht der italienischen Mafia im Boxbusiness, für die Liston kämpfte, war gebrochen. Eine neue Macht, die der Nation of Islam, hatte begonnen – und für die stand Ali.

Ein Sonny Liston aber, der nicht mehr K.o. schlagen durfte, zerbrach. Obwohl er sich nicht richtig von der Faszination seiner Verschwörungstheorie lösen kann, hat es Nick Tosches mit seinem „Der Teufel und Sonny Liston“ doch geschafft, nicht nur die Geschichte eines großen Boxers und Menschen zu erzählen, der immer den bad guy geben musste, sondern auch eine andere Sicht auf den Boxer Muhammad Ali zu ermöglichen. Das war der in den weißen Hosen. MARTIN KRAUSS

Nick Tosches: „Der Teufel und Sonny Liston“. Aufstieg und Fall einer Boxlegende. Heyne-Verlag München 2000. 312 Seiten, DM 39,90