Liebe in Zeiten der Flexibilisierung

Mit „Der schöne Tag“ (Forum) hat Thomas Arslan seine Trilogie über junge Türken in Deutschland abgeschlossen

Das Berliner Leben beginnt in Cafés. Mal langsam, wie bei Angela Schanelec, die in ihrem neuen, tollen Film „ Mein langsames Leben“ zwei Freundinnen bei Himbeereis und Cappuccino plaudern lässt. Oder mit einem kurzen Knatsch, den Thomas Arslan an den Anfang seines Films „Der schöne Tag“ gestellt hat. Deniz (Serpil Turhan) ist gestresst von ihrem Job, Jan (Florian Stetter) findet ihre Beziehung zu wenig spannungsgeladen, flirtet mit der Kellnerin, stichelt darüber, dass sich seine türkische Freundin nicht richtig Gefühlen hingeben kann – und wird prompt von ihr sitzen gelassen, am Wannsee.

Aber es stimmt. Deniz ist nie sicher, wie sie sich zwischen Beruf, Karriere, Liebe und Familie entscheiden soll. Beim Casting für eine Filmagentur erzählt sie eine sehr romantische Geschichte, zum Geldverdienen synchronisiert sie Eric Rohmers „Sommer“ – leidenschaftliche Dialoge über kaputte Partnerschaften, die ebenso gut zu ihrem eigenen Leben passen könnten. Aber dann ist da wieder dieser Drang nach etwas Unbestimmten, der Deniz durch die Stadt treibt, von U-Bahn zu U-Bahn, vom Alexanderplatz in den Tiergarten. Die Kamera lässt ihr bei alledem viel Platz, damit sie sich finden kann. Und wenn es nicht klappt, an diesem schönen Tag, dann eben morgen.

Die Freiheit ist da, die jungen Türken sind angekommen in Deutschland. Das könnte zumindest das Ziel seiner Trilogie gewesen sein, die Thomas Arslan nach „Geschwister“ und „Dealer“ mit „Der schöne Tag“ zu Ende gebracht hat. Entsprechend liest sich sein eigener Kommentar über die Rolle von Deniz sehr programmatisch: „Die viel beschworene Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen entspricht nicht ihrer Lebenserfahrung. Sie bewegt sich mit Selbstverständlichkeit durch die Umgebung, in der sie lebt. Sie ist eine Person mit eigenen Geheimnissen, Widersprüchen und Besonderheiten, die sich nicht auf ihre Herkunft reduzieren lassen.“ Dieser souveräne Umgang mit dem Alltag wird von Arslan keineswegs stilisiert, sondern einfach mit unendlich großer Ruhe festgehalten. Als ein paar türkische Jungs Deniz beschützen wollen, bügelt sie die Schmalspurmachos mit einem kühlen Blick ab. Das muss genügen, die Konflikte um Integration oder ethnische Zugehörigkeit sind passé.

Dennoch muss sich Deniz im Film oft entscheiden, wie sie es mit ihrer Herkunft hält. Da ist die Mutter, die keine eben glückliche Ehe geführt hat und die sich nach dem Tod ihres Mannes schutzlos fühlt. Diese Art der „Gewöhnung“ will Deniz auf keinen Fall in ihrem Leben zulassen. Andererseits starrt sie ein paar Stunden später fassungslos ihre Schwester Leyla an, als die von ihrer Schwangerschaft erzählt, und dass sie abtreiben will, weil ein Kind dem beruflichen Erfolg im Weg stehen könnte. Da wird es Deniz dann doch zu kalt in der Wirklichkeit.

Zum Glück muss die junge Frau bei Arslan solche Widersprüche bis zum Schluss aushalten: Diego, der Portugiese, in den sie sich am Nachmittag verliebt hat, erklärt ihr am Abend, dass er zur Zeit allein lebt, weil seine Freundin in den USA einen Studienaufenthalt verbringt – sie kommt am nächsten Morgen zurück. Für Deniz bleiben von diesem Tag nur schöne Gespräche und Spaziergänge. Leider wird diese Schönheit des Flüchtigen, das sich so sehr in die Nichtsesshaftigkeit der jungen Darsteller einfügt, unverhofft gebrochen. Dann sitzt Deniz im Café einer Lehrerin für Alltagskultur (Elke Schmitter) gegenüber, die ihr recht langatmig und doch seltsam unberührt erklärt, wie Liebe in Zeiten von biografischen Brüchen und Flexibilisierung funktioniert. Danach schwirren die Probleme bloß konturlos im Kopf von Deniz herum, während sie wieder Rohmer synchronisiert. Der Text ist ihr jetzt noch vertrauter als am Anfang, aber er klingt aus ihrem Mund weit weg. Noch fremder als das Fremde ist die Fremde, die man zu sich selbst empfindet. HARALD FRICKE

„Der schöne Tag“. Regie: Thomas Arslan, Deutschland, 74 Min.