Ein Flüchtling kehrt zurück

„Wenn ich mein Leben riskiere, dann in Sri Lanka“, dachte sich Nava Singham, ein Asylbewerber, als sich in Deutschland die rechten Übergriffe häuften

aus Vavuniya WALTER KELLER

Nava Singhams Tag beginnt morgens um halb sechs. Noch ist es dunkel im Dschungel von Vavuniya, einem Gebiet 250 Kilometer nördlich von Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas. Lärm gibt es genug: Die Enten schlagen laut mit den Flügeln, ein Pfau schmettert seinen Ruf dem neuen Tag entgegen, aus dem nahen Hindutempel dringen religiöse Gesänge. In einer Lehmhütte auf Singhams Farm wird Tee zubereitet. „Ein guter deutscher Kaffee wäre ab und zu auch nicht zu verachten“, sagt der 40-jährige Tamile in perfektem Deutsch. Seit er sich 1995 entschloss, nach 15 Jahren in Berlin nach Sri Lanka zurückzukehren, ist er Entbehrungen gewöhnt.

In Vavuniya hat Nava Singham während der letzten Jahre das Hilfsprojekt Seed (Socio Economic and Environmental Developers) aufgebaut. Seed lehrt Kriegswitwen, Flüchtlinge und Arme, sich selbst zu helfen: ein Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen, die unter den Kriegswirren besonders stark gelitten haben.

Singhams alter und neuer Lebensmittelpunkt sind kaum miteinander vergleichbar. Und doch ist ihnen eines gemeinsam: Das Wort Aufbau kommt ihm über die Lippen. „In Berlin wird überall gebaut und gewerkelt. Auch ich habe die Vision, hier in Vavuniya etwas aufzubauen.“ Aber die Vorzeichen sind ganz andere. „Offiziell gibt es hier zwar noch eine zivile Administration, de facto aber hat das Militär das Sagen.“ Und nur wenige Kilometer nördlich von Vavuniya, auf der anderen Seite der Verteidigungslinie, beginnt das Einflussgebiet der Tamil Tigers (LTTE). Sie beherrschen nahezu das gesamte Vanni-Gebiet, das sich über hundert Kilometer bis hoch zur Halbinsel Jaffna erstreckt. Wenn auch Tamil Eelam, der unabhängige Tamilenstaat, noch keine politische Realität ist, so ist eine tatsächliche Teilung der Insel in ein von den Tamil Tigers und ein von den Regierungstruppen beherrschtes Gebiet unverkennbar.

Bevor Nava Singham 1980 nach Berlin kam, hatte er als Student auf der 900 Quadratkilometer großen Halbinsel Jaffna gelebt, dem Kerngebiet der so genannten Ceylon-Tamilen. Willkommen war der Flüchtling nicht. Er wurde für 40 Tage ins Abschiebegefängnis am Augustaplatz gesteckt. Von dort aus konnte er einen Asylantrag stellen. Der Weg durch die Instanzen begann mit seiner Entlassung aus der Abschiebehaft und der Aufnahme in einem Asylbewerberheim des Roten Kreuzes. Neun Jahre vergingen, bis das Verwaltungsgericht Berlin in erster Instanz über seinen Asylantrag entschied: Singham wurde als asylberechtigt anerkannt. Doch der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten legte Einspruch gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein. Jetzt musste das Oberverwaltungsgericht entscheiden. Von dort hieß es nach weiteren zwei Jahren Wartezeit, Singhams Begehren sei offensichtlich unbegründet. Die Abschiebung zurück nach Sri Lanka musste er jedoch nicht mehr befürchten. Er heiratete eine Deutsche und wurde dadurch eingebürgert.

Deutschland, eine Bedrohung

Als innerhalb kurzer Zeit fünf Ausländer Opfer von rechten Gewalttätern wurden, kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, nach Sri Lanka zurückzukehren. „Dieses Deutschland, in dem ich leben durfte, war zu einer Bedrohung geworden. Wenn ich schon mein Leben riskiere, dann wollte ich dies in Sri Lanka tun.“ Gemeinsam mit Berliner Bekannten machte Singham nun Pläne für seine Rückkehr auf die Insel. „Meine Idee war, den Landsleuten zu helfen, die tagtäglich unter dem Krieg zu leiden haben: Kindern, Alten, Waisen und Witwen.“ Also reiste er Anfang 1995 erstmals wieder in das Land, aus dem er vor 15 Jahren geflohen war. Wenige Monate zuvor wurde Chandrika Kumaratunga zur neuen Präsidentin gewählt. Es bestand Hoffnung auf einen Politikwechsel. Für Singham ein günstiger Zeitpunkt, in der alten Heimat nicht nur wieder Fuß zu fassen, sondern sich aktiv an der Gestaltung des Friedens zu beteiligen. Eine kleine private Unterstützergemeinschaft in Berlin stellte dem Tamilen finanzielle Mittel in Aussicht. „Es war sehr aufwändig, die Behörden von meinem guten Willen zu überzeugen. Es gab Misstrauen, was denn ein Tamile, der vor eineinhalb Jahrzehnten dem Land den Rücken gekehrt hatte, nun im Schilde führen könnte“, sagt Singham.

Das Zusammentreffen mit K. Ganesh führte zum Durchbruch. Der Government Agent, eine Art Regierungspräsident für den Vavuniya-Distrikt, war von der Idee angetan und bot Singham ein Stück Land an, das in Bharatipuram liegt, einem kleinen Weiler mitten im Dschungel. Hier sollte das erste Projekt entstehen: der Bau von Unterkünften für zehn Kriegswitwen, die bislang in den Flüchtlingslagern von Vavuniya lebten. „Das war eine sehr hektische Zeit“, erinnert sich Singham. Vor allem deshalb, weil ab Mitte 1995 der Krieg zwischen LTTE und Regierungstruppen wieder voll entfachte. Verhandlungen, die nach dem Regierungswechsel zwischen den beiden Konfliktparteien begannen, wurden von der LTTE abgebrochen.

Ein eigenes Einkommen

Aber das konnte Singham nicht mehr zu einem Rückzug bewegen. „Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, geplant und diskutiert. Wir mussten das Land roden, Baumaterialien kaufen, und dann brauchte ich natürlich noch lokale Mitarbeiter. Obendrein musste ja auch eine Organisation gegründet werden, unter deren Dach das ganze stattfinden konnte.“ Seed entstand. Schnell sprachen sich die Aktivitäten auch bei internationalen Organisationen herum, die in Vavuniya arbeiteten. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR bot Hilfe an, die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) finanzierte eine Wasserpumpe,und auch Unicef und der Dänische Flüchtlingsrat (DRC) stellten Mittel zur Verfügung.

„Seed hat uns geholfen, ein neues Leben zu beginnen“, sagt Saraswathy Bevi, eine 38-jährige Tamilin. Ihr Mann gilt seit vier Jahren als vermisst. Wie die anderen Frauen in Bharatipuram baut sie Gemüse und Bananen an, flicht Seile aus Kokosfasern und erwirtschaftet so ein eigenes Einkommen. Hilfe zur Selbsthilfe und keine langfristigen Abhängigkeiten sind die Grundprinzipien von Seed. Nach den guten Erfahrungen in Bharatipuram entsteht in einer zweiten Phase ein Projekt für 65 Frauen und deren Kinder in Pudiyakovilkulam.

Am Abend kehrt Singham auf seine Farm nach Ganeshapuram zurück. Den Vormittag hat er sich in seinem neuen Büro in Vavuniya mit seinen Mitarbeitern besprochen. Mittlerweile beschäftigt Seed zwölf hauptamtliche Kräfte, die heute über die zunehmende Anzahl von Straßenkindern diskutiert haben, die ihre Eltern im Krieg verloren. Am Nachmittag hat er eine Schule für Gehörlose in Thekkawatha besucht, die Seed im April letzten Jahres eröffnete. Hier werden 16 gehörlose Kinder von einem dafür ausgebildeten Lehrer unterrichtet.

Auf der Farm gönnt er sich für einen Moment Ruhe in seiner Hütte, die von Fruchtbäumen und hohen Bananenstauden umrankt wird. Singham hat seinen Entschluss zurückzukehren nicht bereut. Zugleich warnt er davor, seine Erfahrungen zu verallgemeinern. „Ich habe Glück gehabt, dass ich meine Visionen realisieren konnte. Es ist schlichtweg unmöglich, alle Tamilen aus der Bundesrepublik zurückzuschicken in der Annahme, ihnen könne es ähnlich wie mir ergehen.“ Damit spielt er auf die Versuche der deutschen Behörden an, Tamilen nach abgeschlossenem und erfolglosem Asylverfahren in die Heimat zurückzuschicken. „In den Gebieten, aus denen die Tamilen stammen, herrscht weiterhin Krieg. Man kann diese Leute nicht einfach dorthin zurückschicken, weil sie weder eine Arbeit finden noch ihre Sicherheit garantiert ist.“