„Das Schulwesen ist das Problem“

DGB-Mitarbeiter Safter Cinar hält viele türkische Berliner auf dem Arbeitsmarkt für nicht konkurrenzfähig. Er befürchtet, dass die Unzufriedenheit unter den Türken auch einen übersteigerten Nationalismus fördern kann

taz: Herr Cinar, die Arbeitslosenquote unter den türkischen Berlinern liegt bei 40 Prozent. Was bedeutet das für die türkische Community?

Safter Cinar: Das bedeutet zusätzliche Generationskonflikte. Die Kinder sind weiterhin von den Eltern abhängig, wollen das aber sozial nicht länger sein. Den Satz „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst ...“, den gibt es auch bei Türken. Konsequenz ist bei den jungen Leuten auch ein Defizit an Selbstwertgefühl. Außerdem überlegen sich arbeitslose Jugendliche eben, was sie sonst anstellen können. Und das ist oft nicht angenehm.

Was heißt das für die Integration der türkischen Berliner?

Das Erwerbsleben ist ein wichtiger Integrationsfaktor, auch im Zusammenleben mit der Mehrheitsgesellschaft, weil man sich am Arbeitsplatz am besten begegnen kann. Wenn das wegfällt, schadet das der Integration.

Warum gibt es so wenig Proteste aus der türkischen Community gegen diese dramatische Situation?

Das weiß ich auch nicht. Man versucht, aus eigener Kraft etwas hinzukriegen, und wenn das nicht klappt, nimmt man das hin. In Zweiergesprächen beschweren sich die Leute zwar, aber sie werden selten aktiv.

Federn soziale Einrichtungen der türkischen Community, zu denen ja auch die islamistischen Organisationen gehören, das Problem ab?

Organisationen, die den betroffenen Menschen Angebote machen, fangen natürlich Aggressionen auf. Das ist wichtig, löst das Problem aber nicht.

Erhöht diese schwierige soziale Situation den Zulauf für islamistische und extreme Organisationen?

Natürlich. Wenn die Leute mit ihrem Leben unzufrieden sind, sind sie natürlich eher geneigt, extremen Sprüchen auf den Leim zu geben. Dazu gehören übersteigerter Nationalismus und auch eine Religionsauffassung, die sich außerhalb des Grundgesetzes bewegt.

Wenn es die so genannte Onkelökonomie nicht geben würde, wie sähe dann die Arbeitslosigkeit in der türkischen Community aus?

Es wird ja immer von 5.000 türkischen Betrieben in Berlin gesprochen, aber das sagt nichts über die Anzahl der Arbeitsplätze aus. Es ist schwer, Zahlen zu nennen, aber die Bedeutung ist groß. In der letzten Zeit wird versucht, in diesen Betrieben Ausbildungsplätze zu schaffen, aber das scheitert oft an ihrer Größe und daran, dass ihnen die Ausbildereignung fehlt. Seit zwei Jahren gibt es Kurse in Zusammenarbeit mit dem türkischen Unternehmerverband, bei denen etwa 70 Unternehmen diese Eignung bekommen haben.

Was muss noch getan werden?

Menschen türkischer Herkunft sind oft nicht konkurrenzfähig. Die erste Generation hat immer noch wenig Sprachkenntnisse, keine Qualifikation, ist mittlerweile alt und gesundheitlich angeschlagen. Aber 53 Prozent der nichtdeutschen Arbeitslosen in Berlin sind jünger als 40. Bei den Jüngeren ist ein Problem sicher das Schulwesen: Die Schule ist nicht in der Lage, die Jugendlichen zu einem qualifizierten Schulabschluss zu führen. 65 Prozent der türkischen Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss oder nur mit Hauptschulabschluss. Der zweite Punkt ist, dass es an Fördermaßnahmen vom Arbeitsamt fehlt, die auf diese Gruppe zugeschnitten sind. Dazu müsste das Sozialgesetzbuch III geändert werden.INTERVIEW: SABINE AM ORDE

Safter Cinar ist beim DGB-Landesverband zuständig für Migrationspolitik